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BGH - Entscheidung vom 25.02.2010

V ZA 2/10

Normen:
FamFG § 71 Abs. 1 S. 1
AufenthG § 48 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 5
AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1

BGH, Beschluss vom 25.02.2010 - Aktenzeichen V ZA 2/10

DRsp Nr. 2010/4382

Verfahrenskostenhilfe hinsichtlich einer Rechtsbeschwerde gegen die Anordnung der Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung eines Betroffenen wegen Verhinderung der Abschiebung; Verhinderung der Abschiebung durch unterlassene Mitwirkung an der Beschaffung von Passersatzpapieren

Der Antrag des Betroffenen, ihm Verfahrenskostenhilfe für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 26. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 15. Januar 2010 zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Normenkette:

FamFG § 71 Abs. 1 S. 1; AufenthG § 48 Abs. 3 S. 1; AufenthG § 62 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 , 5; AufenthG § 62 Abs. 3 S. 1;

Gründe

I.

Der Betroffene behauptet, algerischer Staatsangehöriger zu sein; er reiste zu einem nicht bekannten Zeitpunkt vor dem 5. Dezember 2003 ohne die erforderlichen Papiere in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit seit dem 1. März 2004 bestandskräftiger Verfügung der Ausländerbehörde wurde er ausgewiesen; der sofortige Vollzug und die Abschiebung nach Algerien wurden angeordnet.

Zwischen dem 16. April 2004 und dem 24. März 2006 war der Aufenthalt des Betroffenen geduldet. Mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 14. März 2006 wurde er vergeblich aufgefordert, am 22. März 2006 an einer Sammelvorführung vor Vertretern der algerischen Botschaft teilzunehmen. Gleichzeitig wurde er darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, sich einen gültigen Pass oder Ausweisersatzpapiere zu beschaffen, die dazu notwendigen Erklärungen abzugeben und sonstige Mitwirkungshandlungen vorzunehmen.

Am 15. März 2009 wurde der Betroffene festgenommen. Mit rechtskräftigem Beschluss des Amtsgerichts vom 16. März 2009 wurde gegen den Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung im Anschluss an eine seinerzeit zu vollstreckende Ersatzfreiheitsstrafe Haft für die Dauer von höchstens 3 Monaten, längstens bis zum 15. Juni 2009, angeordnet.

Seit dem 6. Juni 2009 befindet er sich in Abschiebehaft.

Seit Anfang Mai 2009 bemüht sich die Ausländerbehörde vergeblich, die Staatsangehörigkeit des Betroffenen zu klären. Derzeit wird davon ausgegangen, dass er marokkanischer Staatsangehöriger ist. Ein Identifizierungsverfahren wird in Marokko durchgeführt. Angaben zur Identifizierung macht der Betroffene nicht.

Auf Antrag der Ausländerbehörde hat das Amtsgericht mehrfach die Verlängerung der Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen angeordnet, zuletzt mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 bis zum Ablauf des 9. März 2010. Die Beschwerde des Betroffenen ist erfolglos geblieben. Dagegen will er Rechtsbeschwerde einlegen. Dafür beantragt er die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts.

II.

Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt, dass begründete Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Betroffene Marokkaner sei, dass die Passersatzpapierbeschaffung zwar noch Zeit in Anspruch nehmen werde, es aber nicht ersichtlich sei, dass die Abschiebung nicht innerhalb der angeordneten Haftdauer erfolgen könne. Zudem habe die Ausländerbehörde das Verfahren immer schnellstmöglich betrieben.

III.

1.

Der Betroffene erfüllt die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat jedoch keine Aussicht auf Erfolg.

2.

Die Rechtsbeschwerde wäre allerdings statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG) und auch im Übrigen nach § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG zulässig. Die Zurückweisung der Beschwerde des Betroffenen gegen die Anordnung der Verlängerung der Haftdauer ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden.

a)

Falls der Betroffene rügen will, dass seine Anhörung vor dem Amtsgericht nicht ordnungsgemäß war, weil sie nicht im Beisein seines Bevollmächtigten stattgefunden hat, hätte das keinen Erfolg. Einem Verfahrensbevollmächtigten muss zwar die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Anhörungstermin teilzunehmen (OLG Karlsruhe InfAuslR 2006, 90; OLG Schleswig OLGR 2007, 495). Das ist hier aber erfolgt. Der Bevollmächtigte ist am Tag des Eingangs des Antrags der Ausländerbehörde bei dem Amtsgericht per Telefax zu dem Anhörungstermin am 10. Dezember 2009 geladen worden. Eine Teilnahme erfolgte wegen einer Terminskollision nicht. Ein Verlegungsantrag wurde nicht gestellt. Daher liegt keine verfahrensfehlerhafte Anhörung vor.

b)

Sowohl das Amtsgericht als auch das Beschwerdegericht haben ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Betroffene nach § 62 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 5 AufenthG zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen war, weil die Ausreisefrist abgelaufen ist, der Betroffene seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Ausländerbehörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist, und die begründete Gefahr besteht, dass sich der Betroffene der Abschiebung entziehen wird. Aufgrund des bestandskräftigen Bescheids der Ausländerbehörde vom 29. Januar 2004 ist der Betroffene seit dem 2. März 2004 vollziehbar ausreisepflichtig. Er konnte jedoch erst am 15. März 2009 festgenommen werden. Aufgrund dieser Umstände und der Tatsache, dass der Betroffene nicht im Besitz gültiger Ausweispapiere ist, besteht der begründete Verdacht, dass er sich der Abschiebung entziehen wird.

c)

Nach § 62 Abs. 3 Satz 1 AufenthG kann die Sicherungshaft bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in den Fällen, in denen der Ausländer seine Abschiebung verhindert, um höchstens zwölf Monate verlängert werden (§ 62 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ). Die Voraussetzungen dafür liegen vor. Der Betroffene hat seine Abschiebung verhindert.

aa)

Ein Verhindern liegt vor, wenn ein von dem Willen des Ausländers abhängiges pflichtwidriges Verhalten ursächlich dafür ist, dass die Abschiebung nicht erfolgen konnte (vgl. Senat, Beschl. v. 11. Juli 1996, V ZB 14/96, NJW 1996, 2796 ; BayObLG, Beschl. v. 16. September 2004, 4Z BR 070/04, [...] Rdn. 13), wenn also das für die Abschiebung bestehende Hindernis auf ein Tun des Ausländers, zu dessen Unterlassen er verpflichtet ist, oder auf ein Unterlassen zurückgeht, während er zu einem Tun verpflicht ist (OLG Saarbrücken FGPrax 1999, 243).

bb)

Die Verpflichtung des Betroffenen, an der Beschaffung von Passersatzpapieren mitzuwirken, ergibt sich aus § 48 Abs. 3 Satz 1 AufenthG . Verweigert er die Mitwirkung, verhindert er gleichzeitig seine Abschiebung, denn dann erhält er von seinem Heimatstaat keine Ersatzpapiere, so dass er in diesen nicht einreisen und auch nicht abgeschoben werden kann (OLG Saarbrücken FGPrax 1999, 243). Gegen diese Mitwirkungspflicht, über die der Betroffene mit Schreiben der Ausländerbehörde vom 14. März 2006 belehrt wurde, hat er schuldhaft verstoßen. Seine Angaben zu seiner Identität und Staatsangehörigkeit haben erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt aufgeworfen mit der Folge, dass umfangreiche Ermittlungen bei konsularischen Vertretungen mehrerer Staaten erforderlich geworden sind. Das hat zur Verzögerung der Abschiebung geführt, was der Betroffene zu vertreten hat. Denn in den ihm zuzurechnenden und von ihm daher hinzunehmenden Zeitraum fällt grundsätzlich auch das Prüfungsverfahren, das die Heimatbehörden bis zur positiven Bescheidung für sich in Anspruch nehmen (OLG München, Beschl. v. 9. Juli 2009, 34 Wx 057/09, [...] Rdn 18; OLG Hamm JMBlNW 2007, 177; BayObLG InfAuslR 2000, 454).

cc)

Sind die Möglichkeiten der Klärung der Staatsangehörigkeit erschöpft und kann die Ausländerbehörde deshalb keine konkreten Maßnahmen zur Vorbereitung der Abschiebung mehr treffen, ist die Anordnung der Abschiebungshaft allerdings nicht mehr zulässig, da sie ihren Zweck, die Abschiebung zu sichern, nicht mehr erfüllen kann (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1. Oktober 2008, I-3 Wx 206/08, [...] Rdn. 11; BayObLG InfAuslR 2001, 446). So liegt es hier jedoch nicht. Die Identitätsfeststellung durch die marokkanischen Behörden ist noch nicht abgeschlossen. Eine Aussichtlosigkeit der laufenden Ermittlungen ist derzeit nicht gegeben, da es ernsthafte Anhaltspunkte für eine marokkanische Staatsangehörigkeit des Betroffenen gibt. Die Sicherungshaft dient hier somit nicht dem Zweck, den Betroffenen zur Abgabe von Erklärungen zu veranlassen (sog. Beugehaft).

d)

Die Haftanordnung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil die Ausländerbehörde die Abschiebungsvorbereitungen nicht mit der gebotenen Beschleunigung betrieben hätte. Seit Mai 2009 wird das Verfahren fortwährend betrieben. Bereits während der Strafhaft wurde der Betroffene der algerischen Botschaft vorgeführt. Auch das marokkanische Generalkonsulat wurde noch während der Strafhaft um Durchführung eines Identifizierungsverfahrens gebeten. Die lange Dauer der Identifizierung hat ihre Ursache in der Beteiligung von drei Staaten, der Notwendigkeit der Durchführung von entsprechenden Sammelvorführungen und den hiermit einhergehenden organisatorischen Maßnahmen. Ferner hat die Ausländerbehörde Ermittlungen in Tunesien, Algerien und Marokko z. T. parallel durchführen lassen. Insbesondere gegenüber Marokko hat sie zudem auf die besondere Dringlichkeit des Verfahrens sowohl mündlich als auch schriftlich hingewiesen. Auf die Bearbeitung der Verfahren durch die beteiligten ausländischen Behörden selbst hat die Ausländerbehörde jedoch keinen Einfluss. Dortige Verzögerungen sind ihr nicht zuzurechnen (OLG München, Beschl. v. 9. Juli 2009, 34 Wx 057/09, [...]; OLG Hamm JMBlNW 2007, 177; BayObLG InfAuslR 2000, 454).

e)

Die Haftanordnung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil absehbar ist, dass die Abschiebung innerhalb des nach dem Gesetz vorgeschriebenen zeitlichen Rahmens unmöglich ist (vgl. hierzu OLG Karlsruhe FGPrax 1995, 207). Zwar hat das marokkanische Generalkonsulat mit Schreiben vom 8. September 2009 mitgeteilt, dass "die Identifizierung der Fingerabdrücke des Betreffenden eine genaue Untersuchung erfordert und daher eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt". Dem kann aber nicht entnommen werden, wann mit einem Ergebnis zu rechnen ist. Zudem hat das Regierungspräsidium dem Amtsgericht im Juni 2009 mitgeteilt, dass von fünf bei dem marokkanischen Generalkonsulat beantragten Identifizierungsverfahren zwei innerhalb von drei Monaten positiv beschieden worden, ein weiteres im Zeitraum von drei bis sechs Monaten und zwei Verfahren aus dem Jahr 2008 noch nicht abgeschlossen seien. Nach den Erfahrungen der Zentralen Ausländerbehörde ist in einem Zeitraum von bis zu 10 Monaten nach Übersenden des Passersatzpapier-Antrages mit einem positiven Rücklauf aus Marokko zu rechnen. Da das Passersatzpapier für den Betroffenen bei dem marokkanischen Generalkonsulat am 18. Mai 2009 beantragt worden ist, ist somit nicht ausgeschlossen, dass es rechtzeitig einen positiven Bescheid geben kann.

f)

Schließlich ist die Haftanordnung bis zum 9. März 2010 auch im Übrigen verhältnismäßig. Sie unterschreitet die mögliche Höchstdauer von insgesamt 18 Monaten nach § 62 Abs. 3 AufenthG . Zudem befindet sich der Betroffene zwar seit dem 15. März 2009 in Haft. Ausweislich des Vollstreckungsblatts musste aber zunächst bis zum 5. Juni 2009 eine Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt werden. Die Vollstreckung der Sicherungshaft begann demnach am 6. Juni 2009 und dauert somit bis heute keine neun Monate.

Vorinstanz: LG Darmstadt, vom 15.01.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 26 T 106/09
Vorinstanz: AG Darmstadt, vom 10.12.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 271 XIV 417/09