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BGH - Entscheidung vom 23.01.2020

StB 1/20

Normen:
StPO § 112 Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 23.01.2020 - Aktenzeichen StB 1/20

DRsp Nr. 2020/2825

Bestehen eines dringenden Tatverdachts im Sinne des § 112 Abs. 1 S. 1 StPO bei Vorwurf der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland; Aufrechterhaltung einer Untersuchungshaft

Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn deren Fortdauer auf vermeidbarer Verfahrensverzögerung beruht. Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig.

Tenor

1.

Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 19. Dezember 2019 wird verworfen.

2.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Normenkette:

StPO § 112 Abs. 1 S. 1;

Gründe

I.

Die Angeklagte ist am 29. Juni 2018 festgenommen worden und befindet sich seit dem Folgetag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 27. Juni 2018 ( 2 BGs 507/18) in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, die Angeklagte habe sich von Sommer 2014 bis Herbst 2015 in F. und M. (Irak) als Mitglied an der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) im Ausland beteiligt, deren Zwecke und Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB ) oder Totschlag (§ 212 StGB ) oder Kriegsverbrechen (§§ 8 , 9 , 10 , 11 oder 12 VStGB ) zu begehen (strafbar gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1).

Der Generalbundesanwalt hat unter dem 13. Dezember 2018 Anklage erhoben wegen des dem Haftbefehl zugrundeliegenden Tatvorwurfs und zweier weiterer Taten der mitgliedschaftlichen Beteiligung an derselben terroristischen Vereinigung im Ausland, zum einen in Tateinheit mit dem Erwerb der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe ohne Genehmigung (§ 22a Abs. 1 Nr. 2 KrWaffKG), zum anderen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB ) und Mord (§ 211 StGB ).

Der Senat hat mit Beschluss vom 30. Januar 2019 ( AK 61/18) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Oberlandesgericht München hat nach Eröffnung des Hauptverfahrens und Anordnung der Haftfortdauer am 18. Februar 2019 mit der Hauptverhandlung am 9. April 2019 begonnen.

Es hat mit Beschluss vom 19. Dezember 2019 einen Antrag der Verteidiger abgelehnt, den Haftbefehl aufzuheben oder hilfsweise außer Vollzug zu setzen. Hiergegen richtet sich die am selben Tag eingelegte Beschwerde, mit der insbesondere gerügt wird, die Dauer und Frequenz der Hauptverhandlung seien nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu vereinbaren. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Aufhebung, hilfsweise Außervollzugsetzung, des Haftbefehls zu Recht abgelehnt.

1. In Bezug auf den im Haftbefehl genannten Tatvorwurf besteht weiterhin dringender Tatverdacht im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO .

a) Im Sinne eines dringenden Tatverdachts ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Angeklagte reiste Ende August 2014 über I. zunächst nach Syrien und weiter in den Irak, um sich dem IS anzuschließen. Ab September 2014 gliederte sie sich in F. und M. als Mitglied in den IS und dessen Entscheidungs- sowie Befehlsstruktur ein und steigerte dadurch die Präsenz und Aktivität der Vereinigung. Sie war sodann in beiden Städten als Mitglied der "Sittenpolizei" des IS (Hisba) tätig. Ihre Aufgabe bestand darin, abends durch Parks zu patrouillieren und bei den Frauen auf die Einhaltung der von der Vereinigung vorgegebenen Verhaltens- und Kleidungsvorschriften zu achten. Für ihre Tätigkeit erhielt sie vom IS eine monatliche Vergütung in Höhe von etwa 70 bis 100 Dollar. Anfang Februar 2016 kehrte sie nach Deutschland zurück.

Wegen der weiteren Einzelheiten, namentlich zum IS, wird auf den Haftbefehl Bezug genommen.

b) Das Oberlandesgericht hält den dringenden Tatverdacht nach der bislang durchgeführten Beweisaufnahme weiterhin für gegeben. Diese Beurteilung, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 13. Juni 2019 - StB 13/19, juris Rn. 27 mwN). Das Oberlandesgericht hat in seinem angefochtenen Beschluss die Grundlagen seiner Bewertung ausreichend dargetan und dabei auf Chatkommunikation der Angeklagten sowie ergänzend auf ein überwachtes Gespräch abgestellt. Dies genügt hier, zumal die Annahme des dringenden Tatverdachts in der Beschwerdebegründung nicht beanstandet wird.

c) Demnach hat sich die Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB strafbar gemacht (vgl. bereits Beschluss vom 30. Januar 2019 - AK 61/18, Rn. 14 ff.).

2. Die Haftgründe der Fluchtgefahr und der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 , Abs. 3 StPO ) bestehen fort. Weder aus der Beschwerdebegründung noch sonst ergeben sich Anhaltspunkte, welche die im Haftbefehl und im Beschluss des Senats vom 30. Januar 2019 näher dargelegte Besorgnis entkräften, dass sich die Angeklagte im Falle ihrer Haftentlassung dem Strafverfahren entziehen werde. Unter den gegebenen Umständen kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls (§ 116 Abs. 1 StPO ) und ergänzende Maßnahmen erreicht werden.

3. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft steht derzeit noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO ).

a) Der Entzug der Freiheit eines einer Straftat lediglich Verdächtigen aufgrund der Unschuldsvermutung ist nur ausnahmsweise zulässig. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss - unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - der Freiheitsanspruch der nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten als Korrektiv gegenübergestellt werden. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt in diesem Zusammenhang auch, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung. Daraus folgt, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen, aber auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zunehmen (s. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 f.).

Das damit ausgesprochene Beschleunigungsgebot in Haftsachen erfordert, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die dem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn deren Fortdauer auf vermeidbarer Verfahrensverzögerung beruht. Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Insgesamt ist eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs durchzuführen. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschlüsse vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; vom 23. Januar 2019 - 2 BvR 2429/18, juris Rn. 59; BGH, aaO).

b) Nach diesen Maßstäben sind das Verfahren und insbesondere die Hauptverhandlung bisher noch mit der gebotenen Beschleunigung geführt worden. Zur Verfahrensförderung bis zum Jahresbeginn 2019 wird auf den Beschluss des Senats vom 30. Januar 2019 verwiesen. Mit Blick auf den Umfang der - bei Anklageerhebung aus 28 Ordnern bestehenden - Sachakten und die Komplexität des Verfahrens ist das Zwischenverfahren mit der gebotenen Zügigkeit geführt worden. Dem Hauptverfahren ist schließlich ebenfalls mit der erforderlichen Beschleunigung Fortgang gegeben worden. Zwar hat die Hauptverhandlung in den seit ihrem Beginn im Jahr 2019 zur Verfügung stehenden 38 Wochen lediglich an 27 Tagen stattgefunden. Allerdings ergibt sich nach dem konkreten Verfahrensgang hier noch kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot.

aa) Das Oberlandesgericht hat zunächst mit dem Eröffnungsbeschluss 23 Verhandlungstage im Zeitraum vom 9. April 2019 bis zum 30. September 2019 bestimmt. Bei Berücksichtigung von drei Wochen Sommerferien, die bei der Berechnung der durchschnittlichen wöchentlichen Verhandlungstage außer Betracht zu bleiben haben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2018 - StB 45/18, juris Rn. 11 mwN), ergibt sich nach der anfänglichen Planung eine rechnerische Verhandlungsdichte von mehr als einem Verhandlungstag pro Woche.

bb) Eine bei der Terminierung nicht vorhersehbare Änderung hat sich dadurch ergeben, dass die Zeugin B. im März 2019 gegenüber dem Oberlandesgericht angegeben hat, die Mutter des Mädchens zu sein, dessen Tötung der Angeklagten zur Last gelegt wird, und für eine förmliche Vernehmung zur Verfügung zu stehen. Der Generalbundesanwalt hat im Folgenden die Niederschrift der staatsanwaltlichen Vernehmung der Zeugin vom 20. bis 22. März 2019 und weitere Unterlagen zu den Akten gereicht. Daraufhin hat der Verteidiger angekündigt, eine Unterbrechung bis zum 29. April 2019 zu beantragen, und der Vorsitzende des zuständigen Strafsenats den Hauptverhandlungstermin am 10. April 2019 aufgehoben. Die Aufhebung dieses Termins ist ersichtlich der besonderen Verfahrenssituation geschuldet gewesen und verletzt daher nicht das Beschleunigungsgebot.

cc) Der Vorsitzende hat im Folgenden die - zudem als Nebenklägerin zugelassene - Zeugin für vier bereits bestimmte Hauptverhandlungstermine im Juli 2019 geladen. Ferner hat er der Angeklagten am 8. April 2019 eine zweite Verteidigerin mit der Begründung beigeordnet, dass "nicht mehr auszuschließen" sei, "dass die bisher veranschlagte Hauptverhandlungsdauer bis 30.9.2019 nicht mehr ausreicht und weitere Fortsetzungstermine erforderlich werden". Am 8. Juli 2019 hat er fünf weitere Termine im Oktober sowie November 2019 mit dem Verteidiger abgesprochen und diese mit Verfügung vom 10. Juli 2019 bestimmt. Zusätzlichen Terminen in diesem Zeitraum haben Verhinderungen der Verteidiger entgegengestanden.

Anders als in der Beschwerdebegründung angenommen, ist ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht darin zu sehen, dass der Vorsitzende nicht bereits im April 2019 weitere Termine festgesetzt hat und so einer Verhinderung der Verteidiger wegen anderweitiger Verfahren zuvorgekommen ist. Auch wenn seinerzeit schon die grundsätzliche Möglichkeit abzusehen gewesen ist, zusätzliche Termine bestimmen zu müssen, so hat sich das konkrete Erfordernis und insbesondere das Ausmaß weiterer Termine erst nach Beginn der Vernehmung der Zeugin B. ergeben. Wie dem angefochtenen Beschluss zu entnehmen ist, hat sich bei der Vernehmung gezeigt, dass sich wegen eines Sprachfehlers der Zeugin der zeitliche Aufwand für die Übertragung der Aussage erheblich ausgeweitet hat und daher mit einer längeren als der bislang vorgesehenen Vernehmungsdauer zu rechnen gewesen ist. Obschon die Beschwerdeführerin die vom Oberlandesgericht hieraus gezogenen Schlussfolgerungen beanstandet, zieht sie den Lebenssachverhalt - die in der Vernehmung zum Ausdruck kommenden Sprachschwierigkeiten - nicht in Zweifel.

Vor diesem Hintergrund hat es trotz des Untersuchungshaftvollzugs noch im Ermessen des Vorsitzenden gelegen (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 285/06, NStZ 2007, 163 , 164), nicht schon zu Beginn der Hauptverhandlung weitere Termine zu bestimmen, sondern den Gang der Beweisaufnahme zunächst abzuwarten. Insofern ist zu beachten, dass Termine immerhin bis Ende September 2019 bestimmt gewesen sind und die zur Verfahrenssicherung bestellte weitere Verteidigerin nicht über etwaige bevorstehende Terminkollisionen informiert hat. Demnach handelt es sich durchaus um eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung, wenn sich der Vorsitzende bereits zwölf Wochen vor dem letzten der bestimmten Verhandlungstermine um die Abstimmung weiterer Termine bemüht.

dd) Die kurze Dauer der Hauptverhandlung am 8. und 14. November 2019 ergibt sich daraus, dass die an diesen Tagen geplante Beweisaufnahme nicht wie geplant hat stattfinden können. Der beabsichtigten Fortführung der Vernehmung des medizinischen Sachverständigen . P. am 8. November 2019 hat entgegengestanden, dass die Angeklagte diesen im vorangegangenen Termin wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte und sodann dessen sofortige Entbindung am Verhandlungstag beantragt hat. Der für den 14. November 2019 geladene Zeuge A. hat unter Hinweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht nicht zur Sache ausgesagt, obschon er zuvor seine Aussagebereitschaft zu erkennen gegeben hatte. Daher ist der Vorsitzende nicht gehalten gewesen, jeweils eine alternative tagesfüllende Beweisaufnahme vorzubereiten.

ee) Die verhandlungsfreie Zeit zwischen dem 19. Dezember 2019 und dem 9. Januar 2020 beruht ersichtlich auf den Weihnachtsfeiertagen.

ff) Im Übrigen wird die geringere Terminierungsdichte dadurch relativiert, dass ein Selbstleseverfahren (§ 249 StPO ) durchgeführt worden ist. Dieses hat zu einer Entlastung der Hauptverhandlungstermine und damit einer Verfahrensbeschleunigung geführt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2019 - StB 18/19, juris Rn. 9; BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06, juris Rn. 6).

gg) Angesichts des Beschleunigungsgrundsatzes sowie der steigenden Untersuchungshaftdauer wird das Oberlandesgericht - entsprechend seiner Verfügung vom 19. Dezember 2019 - für das weitere Verfahren in besonderer Weise in den Blick zu nehmen haben, zusätzliche Verhandlungstage zu bestimmen. Gegebenenfalls könnten sogar künftige Termine ungeachtet von den Verteidigern mitgeteilter Verhinderungen in Betracht kommen und die Verteidiger möglicherweise zur Verschiebung anderweitiger - weniger dringlicher Termine - verpflichtet sein (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. Juli 2006 - 2 BvR 1190/06, juris Rn. 9; vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 , 199 f.).

c) Insgesamt ist die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Abwägung des Freiheitsgrundrechts der Angeklagten (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ) einerseits und des Strafverfolgungsinteresses der Allgemeinheit andererseits bislang insgesamt noch nicht unverhältnismäßig.

Zwar kommt dem Freiheitsanspruch bei fortschreitender Dauer der Untersuchungshaft zunehmendes Gewicht zu. Insofern ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagte inzwischen annähernd ein Jahr und sieben Monate in Untersuchungshaft ist. Damit geht eine besondere Belastung dadurch einher, dass sie sich erstmals im Freiheitsentzug befindet und von ihrer dreijährigen Tochter getrennt ist.

Demgegenüber handelt es sich aber bei dem Tatvorwurf um ein Verbrechen, das sich nach den Tatumständen unter anderem durch die besondere Gefährlichkeit des IS und dessen ausnehmend grausames Vorgehen gegen seine Gegner auszeichnet. Die Angeklagte gehörte der Vereinigung mutmaßlich mehr als ein Jahr an und setzte deren Vorgaben als Mitglied der "Sittenpolizei" (Hisba) durch. Eine Strafe an der Untergrenze des nach § 129a Abs. 1 StGB eröffneten Rahmens ist danach nicht zu erwarten. Dies gilt unabhängig von den weiteren Anklagevorwürfen, die nicht Gegenstand des Haftbefehls sind (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. November 1985 - 1 StR 516/85, StV 1986, 65 ; BVerfG, Beschluss vom 13. September 2001 - 2 BvR 1286/01 u.a., juris Rn. 21 aE) und zu denen das Oberlandesgericht keine weiteren Ausführungen gemacht hat. Hinsichtlich der Verfahrenssituation ist schließlich die besondere Komplexität der Beweisaufnahme einzubeziehen, die sich insbesondere aus der elf Verhandlungstage dauernden Vernehmung der Zeugin B. sowie damit in Zusammenhang stehender Zeugen ergibt. Die entsprechende Sachaufklärung ist auch in Bezug auf den im Haftbefehl aufgeführten Vorwurf von Bedeutung.

Mit stetig zunehmender Untersuchungshaftdauer wird das Oberlandesgericht ebenfalls eine - vom Generalbundesanwalt bereits beantragte - mögliche Erweiterung des Haftbefehls in Bedacht zu nehmen haben. Dem Senat ist die sich nach dem bisherigen Verlauf der Hauptverhandlung ergebende Verdachtslage in Bezug auf diejenigen Tatvorwürfe nicht bekannt, die zwar Gegenstand der Anklage, nicht aber des vollzogenen Haftbefehls sind.

Vorinstanz: OLG München, vom 19.12.2019