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BSG - Entscheidung vom 11.07.2019

B 13 R 263/17 B

Normen:
SGB I § 14
SGB I § 15

BSG, Beschluss vom 11.07.2019 - Aktenzeichen B 13 R 263/17 B

DRsp Nr. 2019/12438

Intensität und Bandbreite von Auskunftspflichten und Beratungspflichten Hinweis des Versicherten auf Gestaltungsmöglichkeiten Offensichtlichkeit einer Gestaltungsmöglichkeit

1. Bei Vorliegen eines konkreten Anlasses hat der Versicherungsträger den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen hat, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, dass jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde.2. Ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, beurteilt sich allein nach objektiven Kriterien.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 2017 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGB I § 14 ; SGB I § 15 ;

Gründe:

I

Das LSG Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 12.7.2017 einen Anspruch des Klägers auf einen früheren Rentenbeginn verneint. Zwar seien alle Voraussetzungen für eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen - wegen der rückwirkenden Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft zum 27.6.2012 - bereits ab dem 1.9.2013 erfüllt gewesen. Für eine Rentengewährung ab diesem Zeitpunkt fehle es aber an einer wirksamen Antragstellung; diese liege erst am 5.6.2014 vor. Die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs seien nicht erfüllt. Insoweit führt das LSG aus, dass sich angesichts der Umstände bei dem Gespräch am 4.4.2012 eine Beratung dahingehend, dass der Kläger Mitte 2013 vorsorglich einen Rentenantrag stellen solle, nicht habe aufdrängen müssen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend gemacht.

II

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung vom 6.11.2017 genügt nicht der vorgeschriebenen Form. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) wird nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargelegt (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ).

Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache ist in der Beschwerdebegründung eine Rechtsfrage zu bezeichnen und schlüssig aufzuzeigen, dass diese klärungsbedürftig, in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 19, Nr 22 RdNr 5; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff, Nr 9 RdNr 4, jeweils mwN). Um die Klärungsbedürftigkeit aufzuzeigen, muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen werden, dass das BSG zu diesem Fragenkreis noch keine Entscheidung getroffen hat bzw dass sich aus der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Anhaltspunkte für dessen Beantwortung ergeben (vgl Senatsbeschluss vom 3.1.2011 - B 13 R 195/10 B - Juris RdNr 9). Diese Anforderungen sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG [Kammer] SozR 4-1500 § 160a Nr 12 RdNr 3 f, Nr 16 RdNr 4 f, Nr 24 RdNr 5 ff).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

Der Kläger hält folgende Fragen für grundsätzlich bedeutsam:

"1. Kann eine rückwirkende Rente wegen der Schwerbehinderung ab Antragstellung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch dann fingiert werden, wenn die Antragstellung aufgrund einer Falschberatung unterbleibt, der Antragsteller jedoch ausdrücklich darauf hinweist, dass eine Verschlimmerung seiner Gesundheit eingetreten ist und er einen Schwerbehindertenantrag stellen wird?

2. Wie umfassend sind die Beratungs- und Auskunftspflichten im Rahmen der individuellen Beratung des Antragstellers nach § 14 SGB I und § 15 SGB I ?. Verpflichten diese umfassenden Beratungs- und Auskunftspflichten, alle 'Was-wäre-wenn'-Szenarien im Rahmen eines Beratungsgespräches zu erörtern, wenn eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Antragsteller ein Antrag auf die Anerkennung der Schwerbehinderung stellen wird?"

Es kann dahinstehen, ob dem Kläger damit die Formulierung abstrakt-genereller Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm (vgl § 162 SGG ) mit höherrangigem Recht gelungen ist (zu diesem unverzichtbaren Erfordernis vgl zB BSG Beschluss vom 13.4.2015 - B 12 KR 109/13 B - Juris RdNr 23 mwN). Bei der ersten Frage fällt auf, dass der Kläger das von ihm für richtig gehaltene Ergebnis der Rechtsanwendung ("Falschberatung") bereits als richtig voraussetzt. Damit wird ersichtlich, dass es dem Kläger weniger um die Klärung abstrakter Rechtsfragen als vielmehr im Kern um die vermeintliche inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall geht. Hierauf kann die Beschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

Jedenfalls hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der Fragen nicht hinreichend aufgezeigt. Er behauptet zwar, dass trotz bereits vorliegender Entscheidungen Klärungsbedarf zu Intensität und Bandbreite der Auskunfts- und Beratungspflichten aus § 14 und § 15 SGB I bestehe. Insoweit bezieht er sich jedoch allein auf eine Entscheidung des BSG , wonach es auf das persönliche Verschulden der Beratungsperson nicht ankomme. Mit weiterer Rechtsprechung zum Umfang der Beratungspflichten setzt er sich nicht auseinander. Insbesondere geht er nicht auf die höchstrichterliche Rechtsprechung ein, wonach bei Vorliegen eines konkreten Anlasses der Versicherungsträger den Versicherten auf solche Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen hat, die klar zutage liegen und deren Wahrnehmung offenbar so zweckmäßig ist, dass jeder verständige Versicherte sie mutmaßlich nutzen würde (vgl ua BSG Urteil vom 22.11.1988 - 5/4a RJ 79/87 - SozR 5750 Art 2 § 6 Nr 4, Juris RdNr 16; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr 4 RdNr 47). Ob eine Gestaltungsmöglichkeit klar zutage liegt, ist - so der 11. Senat des BSG - allein nach objektiven Kriterien zu beurteilen ( BSG Urteil vom 27.4.1995 - 11 RAr 69/94 - Juris RdNr 20). Die bloße Behauptung des Klägers, dass einschlägige Rechtsprechung nicht ersichtlich sei, reicht angesichts dessen nicht. Denn ein Beschwerdeführer hat aufzuzeigen, dass sich auch aus der bisherigen Rechtsprechung des BSG keine ausreichenden Anhaltspunkte zur Beantwortung der im vorliegenden Fall aufgeworfenen abstrakten Fragen ergeben (vgl zu diesem Darlegungserfordernis etwa Senatsbeschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - Juris RdNr 4). Nur so gelingt die erforderliche Abgrenzung, dass es dem Kläger nicht nur um die im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde unerhebliche Würdigung der Tatsachen bzw die Anwendung der höchstrichterlich aufgestellten Anforderungen im Einzelfall geht.

Auch die Ausführungen in dem erst nach Ablauf der Begründungsfrist des § 160a Abs 2 S 1 und 2 SGG eingereichten Schriftsatz vom 20.8.2018 zu aktueller Rechtsprechung des BGH verhelfen dem Kläger nicht zur Zulassung der Revision.

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 12.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 4 R 16/17
Vorinstanz: SG Speyer, vom 24.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 16 R 995/14