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BGH - Entscheidung vom 22.10.2019

AnwZ (B) 1/18

Normen:
BRAO a.F. § 215 Abs. 3
ZPO § 42 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 22.10.2019 - Aktenzeichen AnwZ (B) 1/18

DRsp Nr. 2019/16195

Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer; Besorgnis der Befangenheit

Die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers gegen die Präsidentin des Bundesgerichtshofs L. , die Richterin Lo. , den Richter Dr. R. , die Rechtsanwältin S. sowie den Rechtsanwalt Prof. Dr. Sch. wird zurückgewiesen.

Normenkette:

BRAO a.F. § 215 Abs. 3 ; ZPO § 42 Abs. 2 ;

Gründe

I.

1. Der Antragsteller wendet sich gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2004, mit dem seine Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer B. widerrufen wurde. Der Anwaltsgerichtshof hat die Anträge des Antragstellers als unzulässig verworfen. Hiergegen hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt.

2. Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs hat als Vorsitzende zusammen mit der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde gemeinsam mit dem Verfahren AnwZ (Brfg) 10/18 verhandelt werden solle, dies aber nur möglich sei, wenn auch im vorliegenden Verfahren öffentlich verhandelt werden könne. Die für das vorliegende Verfahren geltende Verfahrensordnung sehe im Grundsatz eine nicht öffentliche Verhandlung vor. Anders sei dies, wenn der Antragsteller einen Antrag auf öffentliche Verhandlung stelle. Da dieser schon erstinstanzlich erklärt habe, er verzichte nicht auf sein Menschenrecht auf öffentliche Verhandlung gemäß Art. 6 EMRK , gehe der Senat davon aus, dass dies auch für die Beschwerdeverhandlung gelte. Der Antragsteller wurde weiter darauf hingewiesen, dass die Verfahren getrennt verhandelt und nacheinander aufgerufen würden, sofern mangels Antrags auf Herstellung der Öffentlichkeit eine gemeinsame Verhandlung nicht möglich sei.

Bis zur mündlichen Verhandlung ging kein Antrag des Antragstellers auf Herstellung der Öffentlichkeit ein. Der Senat in Besetzung der abgelehnten Richter hat am Verhandlungstag zunächst die vorliegende Sache in nicht öffentlicher Sitzung aufgerufen. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat die Vorsitzende angeregt, einen Antrag auf Herstellung der Öffentlichkeit zu stellen. Der Antragsteller hat dies abgelehnt, die Nichtöffentlichkeit der Verhandlung gerügt und die Vertagung beantragt. Der Senat hat diesen Antrag abgelehnt. Der Antragsteller hat die beteiligten Mitglieder des Senats daraufhin wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Nach Unterbrechung und Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung hat er den Antrag gestellt, die weitere Verhandlung öffentlich zu führen. Der Senat hat daraufhin durch Beschluss die Öffentlichkeit hergestellt. Nachdem der Antragsteller erklärt hat, an dem Befangenheitsantrag festzuhalten, wurde die Sitzung vertagt.

II.

Das Ablehnungsgesuch ist unbegründet.

1. Auf das vorliegende Verfahren sind in entsprechender Anwendung von § 215 Abs. 3 BRAO a.F. die bis zum 31. August 2009 geltenden Bestimmungen weiterhin anzuwenden. Zwar wurden die Übergangsregelungen in § 215 BRAO mit Wirkung vom 18. März 2017 aufgehoben. Grund hierfür war die Vorstellung des Gesetzgebers, die betroffenen, vor dem 1. September 2009 anhängigen Verfahren seien zwischenzeitlich erledigt (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BT-Drucks. 18/9521, S. 139). Dies trifft indes, wie das vorliegende Verfahren zeigt, nicht zu. Die durch die Aufhebung von § 215 BRAO im Hinblick auf die noch anhängigen Altverfahren entstandene planwidrige Regelungslücke ist durch eine entsprechende Anwendung von § 215 Abs. 3 BRAO a.F. zu schließen. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber, wäre ihm bekannt gewesen, dass noch Altverfahren anhängig sind, § 215 BRAO nicht aufgehoben hätte.

2. Auf die Ablehnung von Richtern in den nach der Bundesrechtsanwaltsordnung geregelten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit waren nach dem somit anwendbaren früheren Verfahrensrecht - ebenso wie nach heute geltendem Recht - die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden (vgl. Senat, Beschluss vom 21. November 1994 - AnwZ (B) 41/94, NJW-RR 1995, 887 ). Hiernach findet gemäß § 42 Abs. 2 ZPO die Ablehnung eines Richters wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Maßgeblich ist, ob aus der Sicht der ablehnenden Partei bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (st. Rspr, vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. November 2016 - AnwZ (Brfg) 61/15 und AnwZ (B) 2/16, NJW-RR 2017, 187 Rn. 4 mwN).

Nach diesen Maßstäben liegen Ablehnungsgründe nicht vor.

a) Den Schriftsätzen des Antragstellers vom 17. April 2019 ist zu entnehmen, dass er sich zur Begründung seines Ablehnungsantrags auf das Verhalten der Mitglieder des Senats im Rahmen der Ladung zur mündlichen Verhandlung sowie in der Verhandlung selbst stützen will, insbesondere darauf, dass zur mündlichen Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung geladen und die Verhandlung als nicht öffentliche Sitzung begonnen und sein Vertagungsantrag abgelehnt wurde. In seinem Schriftsatz vom 8. Oktober 2019 hat er als Befangenheitsgrund weiter geltend gemacht, die von ihm abgelehnten Richter hätten zu den gegen sie vorgebrachten konkreten verhaltensbedingten Ablehnungstatsachen keine konkrete dienstliche Stellungnahme abgeben können, weil sie sich nach ihrer Einlassung schon kurz nach der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen gar nicht mehr an den Verlauf der mündlichen Verhandlung erinnern könnten.

b) Die vom Antragsteller geltend gemachten Befangenheitsgründe bestehen nicht. Weder aus dem Vorgehen der abgelehnten Senatsmitglieder im Zusammenhang mit der Ladung und der mündlichen Verhandlung noch aus den dienstlichen Stellungnahmen ergibt sich ein Grund, der geeignet wäre, Misstrauen gegen deren Unparteilichkeit zu rechtfertigen.

aa) Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Antragstellers zum Ablauf der mündlichen Verhandlung im Detail und Wortlaut zutreffend ist. Selbst wenn dies unterstellt wird, ergibt sich hieraus kein Ablehnungsgrund.

Der Antragsteller wurde bereits bei Ladung zur mündlichen Verhandlung auf die aus Sicht des Senats geltenden Verfahrensvorschriften und die sich hieraus grundsätzlich ergebende Nichtöffentlichkeit der Verhandlung hingewiesen. Ihm wurden die Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Öffentlichkeit der Verhandlung hergestellt werden kann. Der Antragsteller hat davon, über einen Antrag die Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung zu bewirken, keinen Gebrauch gemacht. Dementsprechend wurde die Sache der Ankündigung folgend nicht öffentlich aufgerufen. Bei vernünftiger Würdigung dieser Umstände hatte der Antragsteller keinerlei Anlass, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richter zu zweifeln, auch wenn er selbst der Auffassung ist, die Herstellung der Öffentlichkeit sei von vornherein geboten gewesen. Der Senat hat nicht willkürlich die Öffentlichkeit ausgeschlossen, sondern sich an die nationalen Verfahrensvorschriften gehalten. Er hat den sich aus den Akten der Vorinstanz ergebenden Interessen des Antragstellers an einer öffentlichen Verhandlung dabei Rechnung getragen, indem er seine Rechtsauffassung mit großem zeitlichem Vorlauf vor der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben und dem Antragsteller die allein ihm obliegende Möglichkeit zur Herstellung der Öffentlichkeit aufgezeigt und eröffnet hat. Bereits zu Beginn der Verhandlung hat der Senat dem Antragsteller erneut aufgezeigt, dass er durch Antragstellung die Öffentlichkeit bewirken kann. Nachdem der Antragsteller hiervon keinen Gebrauch gemacht hat, wurde mit Recht weiter in nicht öffentlicher Verhandlung verhandelt. Die Ablehnung des Vertagungsantrags des Klägers, der mit der Ladung zur nicht öffentlichen Sitzung und der entsprechenden Durchführung begründet worden war, rechtfertigt bei vernünftiger Anschauung keine Besorgnis der Befangenheit. Sie ist offensichtlich nicht willkürlich. Denn ein Anlass zur Vertagung bestand aus Sicht der mitwirkenden Richter des Senats nicht, nachdem die Nichtöffentlichkeit der Sitzung den von ihnen für anwendbar erachteten nationalen Verfahrensvorschriften entsprach.

Allein die von der Meinung des Antragstellers abweichende Auffassung des Senats zu den anwendbaren Vorschriften und den sich hieraus ergebenden Folgen für die Öffentlichkeit der Sitzung begründen die Besorgnis der Befangenheit nicht. Das Ablehnungsverfahren dient - vom hier offensichtlich nicht gegebenen Ausnahmefall des Verstoßes gegen das Willkürverbot nach Art. 3 Abs. 1 GG abgesehen - nicht dazu, richterliche Entscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (vgl. nur Senat, Beschluss vom 20. September 2016 - AnwZ (B) 2/16, NJW-RR 2017, 189 Rn. 9 mwN).

bb) Aus den dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter ergibt sich ebenfalls kein Grund, der geeignet wäre, Misstrauen gegen deren Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Die Tatsache, dass die abgelehnten Richter in ihren Stellungnahmen sinngemäß angaben, sich an die genauen Einzelheiten des Ablaufs der Verhandlung sowie den Wortlaut des dort Ausgesagten nicht mehr erinnern zu können, bietet bei vernünftiger Würdigung keinen Anlass, an deren Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Die fehlende Erinnerung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers weder Indiz für ein Desinteresse der Richter noch ein Zeichen dafür, dass das Ergebnis der Rechtssache bereits feststand. Vielmehr ist dies eine nachvollziehbare Folge des Zeitablaufs. Es ist bei vernünftiger Würdigung verständlich, dass ein Richter, für den mündliche Verhandlungen zum Kernbereich seiner Tätigkeit gehören, den Wortlaut einzelner Äußerungen sowie die Details des Ablaufs einer konkreten Sitzung mehr als einen Monat nach dieser nicht mehr weiß. Hierfür besteht auch kein Anlass. Denn die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung werden - wie hier auch - in das Protokoll aufgenommen; kommt es auf den Wortlaut einer Äußerung an, wird auch dieser regelmäßig im Protokoll wiedergegeben. Diese Vorgänge sind damit aktenkundig und können bei Bedarf jederzeit wieder ins Gedächtnis gerufen werden.

Das Vorbringen des Antragstellers, dass zur Glaubhaftmachung im nationalen Recht das Zeugnis des abgelehnten Richters zugelassen sei und dieser, wenn er sich weigere, daran mitzuwirken, die konkret vorgebrachten Ablehnungstatsachen glaubhaft zu machen, objektiv die konkrete Glaubhaftmachung vereitele, ist für die Frage der Befangenheit hier nicht relevant. Es kommt vorliegend bereits nicht auf eine Glaubhaftmachung der vom Antragsteller behaupteten Tatsachen an. Denn die äußeren Umstände im Zusammenhang mit der Ladung sowie der mündlichen Verhandlung sind aktenkundig, so dass es insoweit keiner Glaubhaftmachung bedarf. Auf den genauen Wortlaut der Äußerungen in der mündlichen Verhandlung kommt es nicht an, zumal kein hierauf bezogener Ablehnungsgrund geltend gemacht wurde. Zudem kann das Vorbringen des Antragstellers - wie ausgeführt - unterstellt werden, ohne dass sich ein Ablehnungsgrund ergibt. Abgesehen davon ließe sich allein daraus, dass mangels Erinnerung der abgelehnten Richter eine Glaubhaftmachung erschwert würde, ein Befangenheitsgrund nicht herleiten, sofern - wofür hier keinerlei Anhaltspunkte bestehen - die abgelehnten Richter nicht bewusst wahrheitswidrig behauptet hätten, sich nicht erinnern zu können.

3. Eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union kommt nicht in Betracht. Selbst wenn der Auffassung des Antragstellers gefolgt würde, wonach Art. 47 GRCh anwendbar ist, wäre dessen Auslegung und Anwendung hier so offensichtlich, dass für vernünftige Zweifel kein Raum bliebe und damit keine Vorlage erforderlich wäre (acte clair; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. April 2014 - III ZR 87/13, BGHZ 201, 11 Rn. 29; EuGH, Urteil vom 15. September 2005 - C-495/03, juris Rn. 33). Nach Art. 47 Abs. 2 Satz 1 GRCh besteht ein Recht auf Verhandlung von einem unparteiischen Gericht. Auch insoweit kommt es darauf an, ob nach dem äußeren Anschein für einen vernünftig Denkenden Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters bestehen (vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der EU, 3. Auflage, Art. 47 Rn. 22). Dies ist nach den obigen Ausführungen offensichtlich nicht der Fall.

Abgesehen davon stellt sich hier die vom Antragsteller vorgebrachte Vorlagefrage, ob Art. 47 GRCh so auszulegen sei, dass Misstrauen in die Neutralität des Richters gerechtfertigt sei, wenn nach nationalem Recht die Befangenheit tatsächlich glaubhaft gemacht werden müsse, hierzu zwar nicht auf eine eigene eidesstattliche Versicherung, aber auf das Zeugnis des Richters Bezug genommen werden dürfe und dieser sich zu äußern habe, er aber zeitnah nach der mündlichen Verhandlung angebe, sich an die Ablehnungstatsachen nicht zu erinnern, nicht. Denn - wie ausgeführt - bedurfte es hier der Glaubhaftmachung nicht und kann das Vorbringen des Antragstellers zum Ablauf der mündlichen Verhandlung unterstellt werden, ohne dass sich ein Ablehnungsgrund ergibt.

Vorinstanz: AnwGH Berlin, vom 21.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen I AGH 22/05