Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 09.05.2019

V ZB 188/17

Normen:
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1

BGH, Beschluss vom 09.05.2019 - Aktenzeichen V ZB 188/17

DRsp Nr. 2019/10437

Rechtmäßigkeit der Anordnung einer Haft zur Sicherung einer Abschiebung; Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer; Fehlen von hinreichenden Angaben zum Vorliegen des staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens mit der Abschiebung

Der Haftantrag zur Sicherung der Abschiebung muss Ausführungen dazu enthalten, ob das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt, wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Das Fehlen entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des Antrags.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Schwelm vom 1. August 2017 und der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hagen vom 11. August 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Ennepe-Ruhr-Kreis auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Normenkette:

FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ; AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I.

Der Betroffene reiste im Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 17. März 2017 zurückwies. Seine Abschiebung nach Algerien wurde angedroht. Der Betroffene trat in der Folgezeit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung. Gegen ihn war auf Antrag der beteiligten Behörde vom 6. Juni 2017 Abschiebungshaft bis zum 22. Juni 2017 angeordnet worden. Eine für diesen Tag geplante Abschiebung konnte nicht durchgeführt werden.

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 1. August 2017 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis längstens 12. September 2017 angeordnet. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 11. August 2017 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der am 8. September 2017 nach Algerien abgeschoben worden ist, die Feststellung erreichen, dass er durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

II.

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Haftanordnung rechtmäßig. Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf habe für mehrere Ermittlungsverfahren am 31. März 2017 ihr Einvernehmen erteilt. Auch die übrigen beteiligten Staatsanwaltschaften hätten sich mit der Abschiebung einverstanden erklärt. Es lägen die Haftgründe gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 , 4 und 5 AufenthG vor.

III.

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG ) zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

1. Der Betroffene ist durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde genügt der Haftantrag allerdings in Bezug auf die Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer den Anforderungen des § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG . Wie der Senat inzwischen entschieden hat (Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 11), ist in einem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft eine nähere Erläuterung des für die Buchung eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung erforderlichen Zeitaufwandes in aller Regel dann nicht geboten, wenn sich - wie hier - die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser Zeitraum bis zu sechs Wochen beträgt.

b) Der Haftantrag ist jedoch deshalb unzulässig, weil er keine hinreichenden Angaben zum Vorliegen des staatsanwaltschaftlichen Einvernehmens mit der Abschiebung des Betroffenen (§ 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ) enthält.

aa) Der Haftantrag muss nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung Ausführungen dazu enthalten, ob das nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft vorliegt, wenn sich aus dem Antrag selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Ohne dieses darf Sicherungshaft nicht angeordnet werden; dass das Einvernehmen später hergestellt werden könnte, ist unerheblich. Das Fehlen entsprechender Ausführungen führt zur Unzulässigkeit des Antrags (vgl. nur Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, FGPrax 2011, 148 Rn. 7; Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9; Beschluss vom 29. September 2011 - V ZB 61/11, juris Rn. 5; Beschluss vom 30. Oktober 2013 - V ZB 70/13, juris Rn. 6; Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 145/17, juris Rn. 15). Die Angabe zu dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft soll den Betroffenen darüber informieren, woraus die antragstellende Behörde die Zustimmung der Staatsanwaltschaft entnimmt. Wenn sich aus dem Haftantrag oder den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Betroffenen nicht offensichtlich zustimmungsfreie Strafverfahren anhängig sind, muss daher mitgeteilt werden, welche Staatsanwaltschaft für welches Verfahren das - ggf. auch generelle - Einvernehmen erteilt hat bzw. aufgrund welcher Überlegungen ein Einvernehmen entbehrlich ist. Andernfalls kann der Betroffene nicht überprüfen, ob die Voraussetzungen des § 72 Abs. 4 AufenthG vorliegen. Ob die Behörde die hiernach erforderlichen Angaben in dem Text des Haftantrags aufführt oder aber auf dem Antrag beigefügte, aussagekräftige Anlagen verweist, bleibt ihr überlassen (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2017 - V ZB 129/16, juris Rn. 5; Beschluss vom 13. September 2018 - V ZB 145/17, juris Rn. 15).

bb) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 1. August 2017 nicht.

(1) In dem Text des Haftantrags weist die beteiligte Behörde zwar auf die Erforderlichkeit des Einvernehmens nach § 72 Abs. 4 AufenthG hin und führt aus, bei dem Betroffenen handele es sich um einen Intensivstraftäter. In dem Haftantrag heißt es dann aber lediglich: "Die notwendigen Einvernehmen (mehrere Diebstähle sowie gefährliche Körperverletzungen) liegen sämtlich schriftlich vor und der Ausländerakte bei." Es werden weder die noch offenen Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen aufgeführt noch wird dargestellt, welche Staatsanwaltschaften ihr Einvernehmen erteilt haben. Eine Überprüfung der Angaben der beteiligten Behörde war dem Betroffenen nach dieser Sachlage nicht möglich.

(2) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die beteiligte Behörde in dem Haftantrag auf die Ausländerakte verweist. Das ist nicht ausreichend, um das Vorliegen des Einvernehmens nach § 72 Abs. 4 AufenthG oder dessen Entbehrlichkeit darzulegen. Zwar haben sowohl das Amtsgericht als auch das Beschwerdegericht die Ausländerakte beizuziehen (Senat, Beschluss vom 19. Juli 2018 - V ZB 223/17, InfAuslR 2018, 413 Rn. 8 u. 9). Diese ist aber weder Bestandteil noch Anlage des Haftantrags.

cc) Die Angaben zu dem nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft in dem Haftantrag vom 1. August 2017 waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil die beteiligte Behörde in ihrem ersten Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft vom 6. Juni 2017 eine als "IVGP-Maske: Vorgänge" bezeichnete Übersicht über die Ermittlungsverfahren beigefügt hatte. Diese Übersicht war am 22. März 2017 erstellt worden und zum Zeitpunkt des (zweiten) Haftantrags vom 1. August 2017 nicht mehr aktuell. Bereits in dem ersten Haftantrag hatte die beteiligte Behörde ausgeführt, der Betroffene sei Intensivstraftäter, und es träfen ständig neue Mitteilungen der Justizbehörden ein, so dass ein Nachhalten sehr zeitintensiv sei. Aus ihrem Vorbringen in der Rechtsbeschwerdeerwiderung ergibt sich, dass jedenfalls noch im Juni 2017 bei der Staatsanwaltschaft H. ein Ermittlungsverfahren wegen Taschendiebstahls anhängig war. Zu einem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft H. bzw. zu dessen Entbehrlichkeit verhalten sich beide Haftanträge, wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt, nicht.

c) Der Mangel des Haftantrages ist auch nicht nachträglich geheilt worden. Das Amtsgericht hat sich mit dem Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht befasst. Während des Beschwerdeverfahrens hat die beteiligte Behörde ihre Angaben nicht ergänzt. Das Beschwerdegericht beschränkt sich darauf, die Ausführungen in dem Beschluss, in dem über die Beschwerde gegen den Haftanordnungsbeschluss vom 6. Juni 2017 entschieden wurde, zu zitieren. Ergänzende Feststellungen hat es nicht getroffen.

2. Die ergänzenden Angaben der beteiligten Behörde in ihrer Erwiderung auf die Rechtsbeschwerde sind schon deshalb unbehelflich, weil neuer Vortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 559 ZPO nicht berücksichtigt werden kann. Im Übrigen änderte der neue Vortrag nichts an der Rechtswidrigkeit der Haft, weil eine Heilung von Mängeln des Haftantrages nur mit Wirkung für die Zukunft erfolgen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rn. 21; Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 6 ff.) und die angeordnete Haftzeit bereits abgelaufen ist.

3. Aus diesem Grund kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG ).

4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG ).

Vorinstanz: AG Schwelm, vom 01.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 85 XIV(B) 2/17
Vorinstanz: LG Hagen, vom 11.08.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 T 342/17