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BSG - Entscheidung vom 22.01.2018

B 14 AS 238/17 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 22.01.2018 - Aktenzeichen B 14 AS 238/17 B

DRsp Nr. 2018/2951

SGB-II -Leistungen Grundsatzrüge Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage Über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einer Rechtsfrage Klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage

1. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird. 2. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG prüfen zu können. 3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. 4. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint. 5. Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist; hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Mai 2017 wird als unzulässig verworfen.

Der Antrag des Klägers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin A beizuordnen, wird abgelehnt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe:

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG ).

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Diesen vorliegend allein geltend gemachten Zulassungsgrund hat der Kläger in der Begründung der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG ).

Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX. Kap, RdNr 65 f). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Hierfür ist eine substantielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso erforderlich wie die Darlegung, dass sich aus diesen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8).

Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Als grundsätzlich klärungsbedürftig erachtet sie die Fragen

- ob § 40 Abs 1 SGB II , soweit dieser die "Verjährungsfrist" auf ein Jahr verkürzt, wegen Verstoßes gegen Art 3 GG verfassungswidrig ist,

- ob § 40 Abs 1 SGB II entgegen seinem Wortlaut nicht nur auf § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X , sondern auch auf § 48 SGB X anzuwenden ist,

- ob bei bestehendem Formularzwang ein Bescheid eine Entscheidung über den Mehrbedarf für dezentrale Warmwassererzeugung darstellen kann, der als einziger Mehrbedarf des § 21 SGB II nicht angekreuzt werden kann, und der keinerlei Begründung zur Ablehnung der Leistung enthält.

Hinsichtlich der Frage der Verfassungswidrigkeit des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II , der für das SGB II in Abweichung von § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X anstelle des Zeitraums von vier Jahren einen Zeitraum von einem Jahr für eine rückwirkende Leistungserbringung anordnet (sog Verfallsfrist), zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass zu dieser Frage vom BSG bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind ( BSG vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-4200 § 40 Nr 10, RdNr 17; BSG vom 23.2.2017 - B 4 AS 57/15 R - vorgesehen für SozR 4-1300 § 44 Nr 34 RdNr 30) und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint.

Hinsichtlich der Frage einer analogen Anwendung des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II auch auf Fälle des § 48 SGB X ist die gestellte Rechtsfrage schon nicht klar formuliert. Denn soweit § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II anordnet, dass § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X für das SGB II mit der Maßgabe einer verkürzten Verfallsfrist gilt, ist in den Blick zu nehmen, dass § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X die entsprechende Geltung von § 44 Abs 4 SGB X vorsieht. Warum dennoch, wie mit der Rechtsfrage formuliert, bereits der Wortlaut des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II seiner Anwendung auf Fälle des § 48 SGB X entgegenstehen soll, lässt sich auch der Beschwerdebegründung nicht entnehmen (vgl aus der Kommentarliteratur zur Geltung der verkürzten Verfallsfrist für § 48 SGB X bejahend Aubel in jurisPK- SGB II , 4. Aufl 2015, § 40 1. Überarbeitung RdNr 58; verneinend Greiser in Eicher/Luik, SGB II , 4. Aufl 2017, § 40 RdNr 44). Im Übrigen lässt die Beschwerdebegründung Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit vermissen.

Mit Blick auf die dritte Frage fehlt eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG zur Antragsauslegung und zu den Entscheidungswirkungen eines Bescheids mit Blick auf die vom ausgelegten Antrag nach § 37 Abs 1 Satz 1 SGB II umfassten Leistungen (vgl zu den Wirkungen des Meistbegünstigungsgrundsatzes bei der formlos möglichen Antragstellung im SGB II und zu den Bescheidwirkungen im Höhenstreit nur BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 19; BSG vom 24.2.2011 - B 14 AS 49/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 10 RdNr 11 ff; BSG vom 19.8.2010 - B 14 AS 10/09 R - SozR 4-4200 § 23 Nr 10 RdNr 17; BSG vom 23.3.2010 - B 14 AS 6/09 R - BSGE 106, 78 = SozR 4-4200 § 37 Nr 2, RdNr 15; BSG vom 28.10.2009 - B 14 AS 56/08 R - SozR 4-4200 § 37 Nr 1 RdNr 14) und damit, in welchem Rahmen noch die weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung dieser Rechtsprechung zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint. Im Übrigen lässt die Beschwerdebegründung auch insoweit Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit vermissen.

PKH ist dem Kläger nicht zu bewilligen, da seine Rechtsverfolgung aus den vorstehend genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO ). Da der Kläger keinen Anspruch auf Bewilligung von PKH hat, ist auch sein Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts abzulehnen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO ).

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183 , 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Baden-Württemberg, vom 24.05.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 AS 2780/16
Vorinstanz: SG Karlsruhe, vom 22.06.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 10 AS 1032/15