Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BSG - Entscheidung vom 22.01.2018

B 13 R 415/14 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3
SGG § 103
SGG § 118 Abs. 1 S. 1
ZPO § 403

BSG, Beschluss vom 22.01.2018 - Aktenzeichen B 13 R 415/14 B

DRsp Nr. 2018/3795

Rente wegen Erwerbsminderung Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht Darlegung eines prozessordnungsgemäßen Beweisantrags in Rentenverfahren Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen

1. Soweit ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgerechten Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund der bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können. 2. Ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag i.S. von § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 403 ZPO erfordert die Benennung eines zumindest dem Fachgebiet nach bestimmten Sachverständigen und die Bezeichnung eines konkreten Beweisthemas. 3. Der Beweisantrag im Rentenverfahren muss sich möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen. 4. Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 1. Oktober 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 3 ; SGG § 103 ; SGG § 118 Abs. 1 S. 1; ZPO § 403 ;

Gründe:

Das Thüringer LSG hat mit Urteil vom 1.10.2014 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung - auch bei Berufsunfähigkeit - verneint.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt. Er rügt als Verfahrensfehler die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ).

Die Beschwerde ist unzulässig. Die Begründung vom 12.1.2015 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form. Der Kläger hat den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) nicht in der hierfür erforderlichen Weise dargetan.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 S 3 SGG ) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Soweit - wie hier - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG ) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgerechten Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund der bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen und zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (zum Ganzen Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN).

Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.

Der Kläger rügt, dass das LSG keine weitere Aufklärung von Amts wegen betrieben habe, obwohl er in der mündlichen Verhandlung beantragt habe, ein "weiteres Gutachten auf orthopädischem, internistischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet einzuholen, welches eine Gesamtbetrachtung vornimmt". In seinem Schriftsatz vom 19.8.2014 (Bl 412 bis 415 der Akte) habe er umfassend aufgeführt, warum eine solche übergreifende Begutachtung stattzufinden habe. Denn eine solche sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Der nervenärztliche Gutachter habe seine Entscheidung lediglich im Rahmen seiner "neurologisch-psychologischen" Begutachtung getroffen und bezüglich der orthopädischen Leiden vollumfänglich auf die bereits eingeholten orthopädischen Gutachten Bezug genommen. Zum Zeitpunkt der orthopädischen Begutachtung sei jedoch die nervenärztliche Begutachtung noch nicht erfolgt. Somit habe dort kein Zusammenhang mit den Leiden auf nervenärztlichem Gebiet begutachtet werden können.

Im orthopädischen Gutachten sei eine Einschränkung der Wegefähigkeit wegen eines schmerzbedingten Abbruchs eines Laufversuchs nach 90m festgestellt worden. Im nervenärztlichen Gutachten sei lediglich ausgeführt worden, dass die Wegefähigkeit aus neurologisch-psychiatrischer Sicht noch bestünde. Insofern bestehe die Notwendigkeit einer erneuten Begutachtung fort.

Der Kläger hat damit zwar dargelegt, dass er seinen Wunsch nach einem weiteren Gutachten bis zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht aufrechterhalten hat. Allerdings zeigt die Beschwerdebegründung nicht hinreichend auf, dass es sich dabei auch um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG gehandelt hat.

Ein prozessordnungsgemäßer Beweisantrag iS von § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm § 403 ZPO erfordert die Benennung eines zumindest dem Fachgebiet nach bestimmten Sachverständigen und die Bezeichnung eines konkreten Beweisthemas (vgl Senatsbeschluss vom 8.3.2016 - B 13 R 317/15 B - Juris RdNr 6; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3). Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung als Beweisthema die "Gesamtbetrachtung" genannt hat, wird damit der Aufklärungsbedarf nicht konkret genug beschrieben. Der Beweisantrag im Rentenverfahren muss sich möglichst präzise mit dem Einfluss dauerhafter Gesundheitsbeeinträchtigungen auf das verbliebene Leistungsvermögen befassen. Je mehr Aussagen von Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen zum Beweisthema bereits vorliegen, desto genauer muss der Beweisantragsteller auf mögliche Unterschiede und Differenzierungen eingehen (vgl Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - Juris RdNr 6; Fichte, SGb 2000, 653 , 656).

Allein die Forderung nach einem "Obergutachten", die hier mit dem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag sinngemäß vorliegt, reicht schon deshalb nicht, da es unterschiedliche Wertigkeiten von Gutachten nicht gibt, mit denen von vornherein ein Gutachten über ein anderes gestellt werden könnte. Vielmehr ist es gerade Aufgabe des Gerichts, jedes Gutachten in Bezug auf seine Überzeugungskraft selbst zu bewerten (vgl Senatsbeschluss vom 8.3.2016 - B 13 R 317/15 B - Juris RdNr 7). Ein Tatsachengericht, dem mehrere Gutachten aus verschiedenen medizinischen Fachrichtungen vorliegen, ist allenfalls dann verpflichtet, einen Sachverständigen zusätzlich mit einer Gesamtbeurteilung aller vorliegenden Gutachtensergebnisse zu beauftragen, wenn sich die aus der Sicht der Fachgebiete jeweils festgestellten Defizite überschneiden und ggf potenzieren können (stRspr, zB Senatsbeschlüsse vom 5.9.2013 - B 13 R 203/13 B - Juris RdNr 12 und vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - Juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 12.2.2009 - B 5 R 48/08 B - Juris RdNr 9). Der Kläger hat aber weder in der Beschwerdebegründung noch in dem von ihm bezeichneten Schriftsatz vom 19.8.2014 substantiiert aufgezeigt, bei welchen funktionellen Defiziten aus den jeweiligen Sachgebieten dies der Fall sein soll. Allein die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs reicht nicht.

Mit dem Vorbringen, der Nervenarzt habe vollumfänglich auf die vorliegenden orthopädischen Gutachten Bezug genommen und die Gutachter hätten sich auf ihr jeweiliges Fachgebiet konzentriert, beschreibt er lediglich den Inhalt der Gutachten. Ein konkretes Beweisthema im og Sinn bzw die Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen wird damit aber noch nicht schlüssig benannt.

Die Ausführungen des Klägers betreffend die unterschiedlichen Wertungen der Gutachter zur Wegefähigkeit enthalten gerade keine Behauptungen über die Überschneidung oder Potenzierung von Defiziten. Selbst wenn man jedoch annehmen wollte, er habe einen Klärungsbedarf zur Wegefähigkeit hinreichend deutlich geltend gemacht, so fehlen jedenfalls ausreichende Darlegungen, dass das Urteil des LSG auf einer unterlassenen Beweiserhebung dazu beruhen kann. Denn auf die Gehfähigkeit des Klägers kommt es dann nicht an, wenn er ein solches Defizit ggf anderweitig kompensieren kann, zB durch die Möglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu benutzen (vgl zB BSG Urteil vom 28.8.2002 - B 5 RJ 8/02 R - Juris RdNr 11). Hierzu fehlen jedoch jegliche Ausführungen.

Seine Darlegungen sind auch nicht hinreichend, soweit er geltend macht, er habe die Auswirkungen von Fahrradstürzen (nach Erstellung des orthopädischen Gutachtens) auf seine Leistungsfähigkeit durch weitere Gutachten klären lassen wollen. Hier mangelt es bereits an Ausführungen dazu, dass er einen Beweisantrag mit diesem konkreten Inhalt in der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten habe. Darüber hinaus fehlen jedenfalls Darlegungen, ob und welche Feststellungen das LSG zu diesen Auswirkungen getroffen hat und zu welchen Erkenntnissen über dauerhafte Gesundheitsstörungen eine Beweiserhebung insoweit gelangt wäre. Im Übrigen müsste der Kläger auch aufzeigen, dass für später eingetretene Zeitpunkte des Leistungsfalls die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gegeben wären; denn der geltend gemachte Anspruch auf Erwerbsminderungsrente kann auf einer unterlassenen Beweiserhebung nur beruhen, wenn auch die sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Soweit die klägerischen Ausführungen so zu verstehen sein sollen, dass er inzident mit der Auswertung und Würdigung der Gutachten durch das LSG nicht einverstanden ist, wendet er sich gegen dessen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG ). Hierauf kann jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden.

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG ).

Die Verwerfung der nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: LSG Thüringen, vom 01.10.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 3 R 276/12
Vorinstanz: SG Meiningen, vom 26.01.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 25 R 2959/09