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BGH - Entscheidung vom 03.07.2018

XI ZB 26/17

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 03.07.2018 - Aktenzeichen XI ZB 26/17

DRsp Nr. 2018/10766

Widerruf der auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung wegen krankheitsbedingten Ausfalls des Rechtsanwalts

Ein Rechtsanwalt muss selbst bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen. Auch der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts am letzten Tag der Frist rechtfertigt für sich genommen deshalb eine Wiedereinsetzung noch nicht. Vielmehr ist glaubhaft zu machen, dass infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 3. November 2017 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert beträgt 30.622,25 €.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; GG Art. 2 Abs. 1 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss zweier Verbraucherdarlehensverträge gerichteten Willenserklärungen des Klägers. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 31. Juli 2017 abgewiesen. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 4. August 2017 zugestellt worden. Hiergegen hat er rechtzeitig Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2017 haben die Prozessbevollmächtigten des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung und zugleich die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27. Oktober 2017 beantragt. Sie haben dies damit begründet, dass der mit ihnen in einer Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwalt G. beabsichtigt habe, am 4. Oktober 2017 einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu stellen. An diesem Tag sei Rechtsanwalt G. aber plötzlich und unvorhersehbar an einer fieberhaften Virusinfektion erkrankt. In der Bürogemeinschaft sei zwar für einen unvorhergesehenen Ausfall gegenseitige Vertretung vereinbart. Rechtsanwältin R. sei aber am 4. Oktober 2017 ebenfalls plötzlich und unerwartet an einer Virusinfektion erkrankt und bis einschließlich 5. Oktober 2017 bettlägerig gewesen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der am 4. Oktober 2017 abgelaufenen Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe. Im Rahmen seiner Organisationspflichten habe ein Rechtsanwalt Vorkehrungen für den Fall seiner Erkrankung zu treffen. Werde er unvorhersehbar krank, gereiche ihm die unterbliebene Einschaltung eines Vertreters nicht zum Verschulden, wenn ihm diese weder möglich noch zumutbar gewesen sei. Er müsse allerdings alle ihm möglichen Maßnahmen ergreifen, um wenigstens eine Fristverlängerung zu erlangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, wenn nach den glaubhaft gemachten Tatsachen die Möglichkeit offen bleibe, dass die Fristversäumnis von der Partei oder ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet sei. Dies sei hier der Fall. Bereits das Attest vom 4. Oktober 2017 lasse Raum für Zweifel an der unverschuldeten Fristversäumnis, weil darin lediglich bescheinigt werde, der Prozessbevollmächtigte sei "voraussichtlich" vom 4. Oktober 2017 bis 6. Oktober 2017 nicht arbeitsfähig. Darüber hinaus sei klägerseits nicht glaubhaft gemacht, dass die allgemeinen Vorkehrungen für fristwahrende Schritte bei unvorhergesehenem Ausfall getroffen worden seien. Die vage Formulierung im Schriftsatz vom 6. Oktober 2017, es sei "gegenseitige Vertretung" vereinbart worden, genüge hierfür nicht. Schließlich sei auch der plötzliche und unvorhersehbare Ausfall der Rechtsanwältin R. infolge einer Virusinfektion am 4./5. Oktober 2017 nicht glaubhaft gemacht.

Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ), aber unzulässig.

Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ) nicht erforderlich. Es liegt weder eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor noch verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde liegt auch kein entscheidungserheblicher Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG vor.

2. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Recht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und seine Berufung als unzulässig verworfen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt selbst bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen. Auch der krankheitsbedingte Ausfall des Rechtsanwalts am letzten Tag der Frist rechtfertigt für sich genommen deshalb eine Wiedereinsetzung noch nicht. Vielmehr fehlt es an einem dem Verfahrensbeteiligten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Rechtsanwalts nur dann, wenn infolge der Erkrankung weder kurzfristig ein Vertreter eingeschaltet noch ein Fristverlängerungsantrag gestellt werden konnte. Dies ist glaubhaft zu machen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 7. März 2013 - I ZB 67/12, NJW-RR 2013, 1011 Rn. 8 und vom 20. Dezember 2017 - XII ZB 213/17, NJW-RR 2018, 383 Rn. 6 mwN).

b) Nach diesen Maßgaben ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Wiedereinsetzung abgelehnt hat, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers keinen Fristverlängerungsantrag gestellt hat.

aa) Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei als nicht glaubhaft gemacht erachtet, dass die Erkrankung ihn auch hinderte, am 4. Oktober 2017 die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen, auf deren Gewährung als erstmalige Verlängerung er auch hätte vertrauen dürfen. Dem ärztlichen Attest lässt sich nichts dazu entnehmen, weshalb es dem Prozessbevollmächtigten am 4. Oktober 2017 nicht möglich und zumutbar gewesen sein soll, einen Schriftsatz mit dem entsprechenden Antrag fertigen zu lassen und zu unterschreiben. Die Bescheinigung attestiert lediglich die Arbeitsunfähigkeit wegen eines fieberhaften Virusinfekts "voraussichtlich vom 04.-06.10.2017". Dies ist nicht ausreichend, weil sich damit nicht erschließt, dass die Krankheit in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die Entschluss-, Urteils- und Handlungsfähigkeit des Rechtsanwalts genommen hätte (vgl. BVerfG, NJW-RR 2007, 1717 f.; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - XII ZB 257/14, NJW 2015, 171 Rn. 21).

bb) Des Weiteren hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass es im vorliegenden Fall auch an hinreichendem Vortrag geeigneter Bemühungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers fehlt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bedurfte es insoweit auch keines weiteren Hinweises durch das Berufungsgericht, sondern konnte dieses davon ausgehen, dass der Vortrag vollständig war. Im Übrigen hätte auch das weitere Vorbringen des Klägers in dem Schriftsatz vom 7. November 2017 als Erwiderung auf einen Hinweis des Berufungsgerichts keine ausreichenden Bemühungen des Rechtsanwalts ergeben. Dass dieser, wie er angibt, Einzelanwalt ist und - anders als der Briefkopf seiner Schriftsätze den Eindruck erweckt - mit den dort aufgeführten Rechtsanwälten S. und R. lediglich eine Bürogemeinschaft ohne eigenes Personal bildet, stand der Beauftragung eines Vertreters nicht im Weg (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - XII ZB 213/17, NJW-RR 2018, 383 Rn. 7). Dass auch die Rechtsanwälte S. und R. über kein Büropersonal verfügten, das von Rechtsanwalt G. entsprechend instruiert ein Fristverlängerungsgesuch fertigen, ihm zur Unterschrift vorlegen und rechtzeitig an das Gericht senden konnte, hat der Kläger nicht vorgetragen. Davon abgesehen fehlt es auch an Vorbringen dazu, dass Rechtsanwalt G. - nachdem auch Rechtsanwältin R. unvorhersehbar erkrankt gewesen sein soll - aus zeitlichen oder sonstigen Gründen außerstande gewesen ist, einen anderen Rechtsanwalt als Vertreter zu beauftragen, wobei hierfür namentlich Rechtsanwalt Dr. T. als Kooperationspartner der Kanzlei S. & R. in Betracht gekommen wäre.

Vorinstanz: LG Bamberg, vom 31.07.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 522/16
Vorinstanz: OLG Bamberg, vom 03.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen 3 U 129/17