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BGH - Entscheidung vom 07.03.2013

I ZB 67/12

Normen:
ZPO § 233 B
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 520 Abs. 2 S. 2, 3

Fundstellen:
AnwBl 2013, 769
BB 2013, 1473
DB 2013, 8
FamRZ 2013, 1222
MDR 2013, 807
NJW-RR 2013, 1011
VersR 2014, 520

BGH, Beschluss vom 07.03.2013 - Aktenzeichen I ZB 67/12

DRsp Nr. 2013/15036

Verschulden eines Prozessbevollmächtigten bei Nichtbestellung eines Vertreters für den Fall seiner unvorhergesehenen Erkrankung im Zusammenhang mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Verpflichtung des Prozessbevollmächtigten zur Beantragung der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei drohender Fristversäumnis wegen Krankheit

Die Berufungsbegründungsfrist ist nicht ohne Verschulden im Sinne des § 233 ZPO versäumt, wenn ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung der Frist ergriffen hat und nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 21. August 2012 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Beschwerdewert: 2.959,90 €.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 233 ; ZPO § 520 Abs. 2 S. 2, 3;

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte in einer Transportrechtssache auf Freistellung von einer Schadensersatzforderung in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat die Klägerin fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Frist zur Begründung der Berufung antragsgemäß um einen Monat bis zum 12. Juli 2012 verlängert.

Die Klägerin hat ihre Berufung mit einem am 26. Juli 2012 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet und zugleich wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig fertigstellen können, weil er aufgrund einer akuten Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses erstrebt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.

II. Das Berufungsgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung mit der Begründung abgelehnt, der Prozessbevollmächtigte der Klägerin - dessen Verschulden diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse - habe die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt. Aus dem eingereichten ärztlichen Attest gehe hervor, dass er am 12. Juli 2012 und damit am Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist erkrankt sei. Da er die Berufungsbegründungsfrist bis zum letzten Tag ausgeschöpft habe, hätte er auch für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung für eine Vertretung sorgen müssen.

III. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Rechtsbeschwerde ist zulässig (dazu 1), hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung ergibt zwar eine Rechtsverletzung (dazu 2); die Entscheidung stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar (dazu 3).

1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - I ZB 3/09, MDR 2010, 779, 780; Beschluss vom 5. Juni 2012 VI ZB 16/12, NJW 2012, 2522 Rn. 6, jeweils mwN).

2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung nicht versagt und ihre Berufung daher nicht verworfen werden. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht darin gesehen werden, dass dieser für den Fall seiner unvorhergesehenen Erkrankung keinen Vertreter bestellt hat. Ein Rechtsanwalt, der die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels bis zum letzten Tag ausschöpft, hat zwar wegen des damit erfahrungsgemäß verbundenen Risikos erhöhte Sorgfalt aufzuwenden, um die Einhaltung der Frist sicherzustellen. Auf einen krankheitsbedingten Ausfall muss er sich aber nur dann durch konkrete Maßnahmen vorbereiten, wenn er einen solchen Ausfall vorhersehen kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 32/08, NJW 2008, 3571 Rn. 7 und 9; Beschluss vom 5. April 2011 VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601, jeweils mwN). Er ist daher auch dann, wenn er eine Frist bis zum letzten Tag ausschöpfen will, nicht gehalten, für den Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung vorsorglich einen Vertreter zu bestellen.

3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt, weil er nach seiner unvorhergesehenen Erkrankung nicht versucht hat, eine Verlängerung dieser Frist zu erreichen. Ein Rechtsanwalt muss auch bei einer unvorhergesehenen Erkrankung alle ihm dann noch möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Frist ergreifen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, NJW 2008, 3571 Rn. 9 mwN). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar im Rechtsbeschwerdeverfahren anwaltlich versichert, er sei aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr imstande gewesen, selbst einfachste anwaltliche Tätigkeiten zu verrichten und habe seinen Versuch, die Berufungsbegründungsschrift abzufassen, deshalb bereits nach wenigen Minuten abbrechen müssen. Damit hat er aber nicht glaubhaft gemacht, dass es ihm nicht möglich und zumutbar war, beim Berufungsgericht eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu beantragen und - im Blick darauf, dass das Berufungsgericht diese Frist bereits antragsgemäß um einen Monat verlängert hatte und eine weitere Verlängerung nur mit Einwilligung des Gegners möglich war (§ 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO ) - den Prozessbevollmächtigten der Beklagten um Zustimmung zur Fristverlängerung zu bitten. Es kann zwar nicht festgestellt werden, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten sich mit einer weiteren Fristverlängerung einverstanden erklärt hätte. Darauf kann sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin jedoch nicht mit Erfolg berufen. Hat ein Rechtsanwalt nicht alle ihm möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Wahrung einer Berufungsbegründungsfrist ergriffen, geht es zu seinen Lasten, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Frist auch bei Durchführung dieser Maßnahmen versäumt worden wäre.

IV. Danach ist die Rechtsbeschwerde gegen den angegriffenen Beschluss zurückzuweisen (§ 577 Abs. 3 ZPO ). Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: AG Siegburg, vom 14.03.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 118 C 408/11
Vorinstanz: LG Bonn, vom 21.08.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 8 S 118/12
Fundstellen
AnwBl 2013, 769
BB 2013, 1473
DB 2013, 8
FamRZ 2013, 1222
MDR 2013, 807
NJW-RR 2013, 1011
VersR 2014, 520