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BSG - Entscheidung vom 21.11.2017

B 4 SF 7/17 S

Normen:
SGG § 58 Abs. 1 Nr. 4
SGG § 98 S. 2
GVG § 17a Abs. 3 S. 2

BSG, Beschluss vom 21.11.2017 - Aktenzeichen B 4 SF 7/17 S

DRsp Nr. 2018/609

Unfallversicherungsrecht Zuständigkeitsbestimmung in Fällen eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen Sozialgerichten Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses Ausnahmsweise Durchbrechung der Bindungswirkung

1. Ein Beschluss über die Verweisung bei örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit ist nach § 98 Satz 2 SGG i.V.m. § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG für das Gericht, an das verwiesen worden ist, bindend. 2. Eine Bindung tritt nur dann nicht ein, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt. 3. Allenfalls der Verstoß gegen elementare den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnde materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften ist geeignet, die Bindungswirkung zu durchbrechen.

Das Sozialgericht für das Saarland wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

Normenkette:

SGG § 58 Abs. 1 Nr. 4 ; SGG § 98 S. 2; GVG § 17a Abs. 3 S. 2;

Gründe:

I

Der Kläger erstrebt die Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 16.3.2011 um einen Arbeitsunfall handelt, sowie die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Verletztengeld.

Der Kläger hat im Februar 2014 Klage beim SG Frankfurt am Main erhoben und als seine Adresse "K A", Polen angegeben. Im Lauf des Rechtsstreits hat er, nachdem er unter der angegebenen Adresse nicht zu laden war, mitgeteilt, dass er über die Adresse "G, S" erreichbar sei. Er hat aber auch darauf hingewiesen, dass er sich dort nur gelegentlich aufhält, tatsächlich wohne er in F . Die dortige Adresse hat er nicht genannt.

Auf Anforderung des SG Frankfurt am Main hat die Stadt S Melderegisterauskünfte erteilt, nach der der Kläger seit 15.3.2013 mit dem einzigen Wohnsitz unter der Anschrift "..., S" gemeldet sei. Dagegen hat sich der Kläger verwahrt; er halte sich dort nur kurzzeitig auf.

Das SG Frankfurt am Main hat sich für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG für das Saarland verwiesen (Beschluss vom 6.9.2017). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung habe der Kläger seinen Wohnsitz nicht in Polen gehabt, dort sei er nicht erreichbar gewesen. Vielmehr sei er in Sankt Ingbert gemeldet gewesen, auch aus der Erreichbarkeit unter dieser Adresse sei auf den dortigen Wohnsitz zur Zeit der Klageerhebung zu schließen.

Das SG für das Saarland hat sich seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Frankfurt am Main zurückverwiesen (Beschluss vom 12.9.2017). Die Annahme der örtlichen Zuständigkeit des SG für das Saarland erscheine vor dem Hintergrund des Fortgangs der Ermittlungen und der vom Kläger nach dem 31.5.2016 abgegebenen Erklärungen unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar und beruhe objektiv auf sachfremden Erwägungen. Zwar seien die Melderegisterauskünfte wie angegeben erteilt worden, auch der Briefkopf von zwei Schreiben des Klägers trage die Adresse in S . Im Übrigen habe sich das SG Frankfurt am Main darüber hinweggesetzt, dass eine Anschrift des Klägers in S weder bei der Beklagten noch der Beigeladenen aktenkundig sei, dass der Kläger im Erörterungstermin vor dem SG Frankfurt am Main mitgeteilt habe, dass unter der Adresse in S Leute wohnten, die ihn über etwaige Posteingänge unterrichteten, er selbst halte sich in F auf. Der Kläger sei nach dem 15.3.2016 unter der Anschrift in S nicht mehr erreichbar gewesen. Damit sei die Beweiskraft der Auskunft der Stadt S widerlegt. Aufgrund dessen sei die Verweisung an das SG für das Saarland für dieses nicht bindend.

Das SG Frankfurt am Main hat den Senat zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit angerufen (Beschluss vom 1.11.2017). Das SG für das Saarland habe sich entgegen der Bindungswirkung nach § 98 Satz 1 SGG iVm § 17a Abs 2 GVG für unzuständig erklärt.

II

Der Senat ist gemäß § 58 Abs 1 Nr 4 SGG berufen, das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen. Diese Vorschrift eröffnet die Zuständigkeitsbestimmung in Fällen eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen Sozialgerichten, sofern sich beide beteiligten Gerichte für jeweils unzuständig erklärt haben (vgl auch BSG vom 21.12.2015 - B 4 SF 1/15 R, B 4 SF 2/15 R - juris RdNr 2 zum rechtswegübergreifenden negativen Kompetenzkonflikt). Das SG Frankfurt am Main hat den Senat angerufen, um das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen. Da beide SG in den Bezirken unterschiedlicher LSG liegen, ist das BSG das nächsthöhere Gericht.

Der Senat bestimmt das SG für das Saarland zum örtlich zuständigen Gericht.

Dessen Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des ersten Verweisungsbeschlusses des SG Frankfurt am Main. Ein Beschluss über die Verweisung bei örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit ist nach § 98 Satz 2 SGG iVm § 17a Abs 3 Satz 2 GVG für das Gericht, an das verwiesen worden ist, bindend. Eine Bindung tritt nur dann nicht ein, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt. Allenfalls der Verstoß gegen elementare den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnde materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften ist geeignet, die Bindungswirkung zu durchbrechen (vgl BSG vom 16.9.2009 - B 12 SF 7/09 S - juris RdNr 5; BSG vom 21.2.2012 - B 12 SF 7/11 S - RdNr 9; vgl auch B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 98 RdNr 9 und 9a; Wehrhahn in jurisPKSGG, 1. Aufl 2017, § 98 SGG RdNr 22). Ein solcher Verstoß liegt hier in Bezug auf den Verweisungsbeschluss des SG Frankfurt am Main nicht vor.

Zwar ist die Verweisung des SG Frankfurt am Main an das SG für das Saarland unzutreffend gewesen, denn bei der vom SG für das Saarland aufgezeigten Würdigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Vorbringens des Klägers, lässt sich nicht feststellen, dass dieser zum Zeitpunkt der Klageerhebung einen Wohnsitz im örtlichen Zuständigkeitsbereich des SG für das Saarland hatte. Der Verweisungsbeschluss des SG Frankfurt am Main ist nicht objektiv willkürlich. Denn das SG durfte berücksichtigen, dass der Kläger selbst die Anschrift zwischenzeitlich verwendet und angegeben hat. Es durfte seine Entscheidung auch auf die Melderegisterauskunft der Stadt S stützen, wonach der Kläger dort seit dem Jahr 2013 und noch im Zeitpunkt der Klageerhebung mit dem einzigen Wohnsitz gemeldet war.

Objektiv hat sich weder der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt des Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung - auch nicht ein damaliger Wohnsitz in Polen - noch eine aktuelle ladungsfähige Anschrift ermitteln lassen; er hat eine solche Anschrift trotz Aufforderung nicht mitgeteilt. Ob und welche Folgen dies gegebenenfalls hat (Nachweise bei B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG , 12. Aufl 2017, § 92 RdNr 4), wird das nun örtlich zuständige SG für das Saarland zu prüfen haben. Ob das SG Frankfurt am Main seiner Prozessförderungspflicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist, hatte der Senat nicht zu entscheiden.

Vorinstanz: SG Frankfurt/Main, vom 01.11.2017 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 U 129/17