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BGH - Entscheidung vom 25.04.2017

XI ZB 18/16

Normen:
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 574 Abs. 2

BGH, Beschluss vom 25.04.2017 - Aktenzeichen XI ZB 18/16

DRsp Nr. 2017/6974

Zuzurechnendes Verschulden des Prozessbevollmächtigen an der Fristversäumung der Berufung; Organisatorische Maßnahmen zur Sicherstellung des Eingangs eines fristgebundenen Schriftsatzes innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht; Ursächlichkeit des Organisationsmangels für die Fristversäumung

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird. Anhand der Akten ist zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. Oktober 2016 wird als unzulässig verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens (§ 97 Abs. 1 ZPO ).

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis zu 80.000 €.

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 233 ; ZPO § 574 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Darlehensvertrages aufgrund eines Widerrufs des Klägers.

Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nach dessen schriftsätzlichem Vortrag am 18. Mai 2016 und nach dessen Empfangsbekenntnis am 23. Mai 2016 zugestellt worden. Er hat am Montag, den 20. Juni 2016 Berufung eingelegt. Nach einem gerichtlichen Hinweis vom 25. August 2016, dass eine Berufungsbegründung bis dahin nicht eingegangen sei, sind am 25. August 2016 eine Berufungsbegründungsschrift und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags hat der Kläger unter Vorlage einer anwaltlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten und einer eidesstattlichen Versicherung einer Rechtsanwaltsfachangestellten im Wesentlichen ausgeführt: In der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten sichte die erfahrene, zuverlässige und regelmäßig belehrte und kontrollierte Rechtsanwaltsfachangestellte die eingehende Post. Etwaige Fristen würden auf den eingegangenen Schriftstücken notiert und im zentralen Fristenkalender und in den Akten eingetragen. Die Rechtsanwaltsfachangestellte prüfe am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des elektronischen Fristenkalenders, ob alle Fristen erledigt wurden. Erledigte Fristen würden dort als "erledigt" erfasst, so dass eine Kontrollmöglichkeit eröffnet sei. Die Rechtsanwaltsfachangestellte werde regelmäßig angewiesen, Fristlöschungen erst vorzunehmen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert habe, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen sei. Zudem habe der Prozessbevollmächtigte angeordnet, die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders nochmal und abschließend selbständig zu überprüfen.

In vorliegender Sache habe die Rechtsanwaltsfachangestellte die Frist für die Begründung der Berufung versehentlich zusammen mit der Frist für die Einlegung der Berufung aus dem Computersystem gelöscht und in der Akte gestrichen. Bei einer stichprobenartigen Überprüfung am 25. August 2016 sei ihr aufgefallen, dass sie die Frist für die Begründung der Berufung versehentlich zu Unrecht in der Handakte gestrichen und auch aus dem Computersystem gelöscht habe. Im gesamten Jahr 2016 habe es in den Widerrufsfällen den Regelfall dargestellt, dass der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründung gleich zusammen mit der Berufungsschrift erstelle und einreiche.

Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Ihm sei ein Organisationsverschulden seines Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Der Kläger habe nicht umfassend dargelegt, dass sein Prozessbevollmächtigter die erforderlichen Vorkehrungen im Rahmen der Ausgangskontrolle getroffen habe. Insbesondere sei nicht dargelegt, zu welchem Zeitpunkt der Friststatus als "erledigt" eingetragen werde und wie dies kontrolliert werde. Der Vortrag, die Berufungsbegründungsfrist sei versehentlich zusammen mit der Berufungseinlegungsfrist gelöscht worden, sei nicht nachvollziehbar. Ebenso wenig sei nachvollziehbar dargetan, wie die zweite Fristenprüfung am Ende des Tages ablaufe und dass bzw. wie erneut überprüft werde, ob eine bereits gelöschte Frist tatsächlich erledigt wurde. Zudem gebe es wohl nur die Anweisung, die notierte Frist anhand des Fristenkalenders zu überprüfen. Dies entspreche nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Danach diene die erneute und abschließende abendliche Ausgangskontrolle auch dazu festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch ausstehe; ggf. sei anhand der Akten zu überprüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden seien. Eine derartige Anordnung habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers seinen Mitarbeitern schon gar nicht erteilt, zumindest fehle entsprechender Vortrag. Außerdem scheine der Prozessbevollmächtigte im vorliegenden Fall von seiner Praxis im Jahre 2016, in Widerrufsfällen die Berufungsbegründung zugleich mit dem Berufungsschriftsatz einzureichen, abgewichen zu sein. In einem solchen Sonderfall müsse er selbst dafür sorgen, dass die Frist eingehalten werde, oder die Büroorganisation entsprechend regeln. Beides sei nicht geschehen.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO , die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86 , 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO ) nicht erforderlich. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht vielmehr in Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und verletzt weder den Anspruch des Klägers auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) noch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ).

1. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, er habe nicht dargelegt, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem ihm zuzurechnenden (§ 85 Abs. 2 ZPO ) Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht (§ 233 ZPO ).

a) Den Darlegungen des Klägers im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine hinreichende Ausgangskontrolle gewährleistet war.

Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört dabei die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird (st. Rspr.: vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2014 - VI ZB 42/13, VersR 2015, 339 Rn. 8, vom 17. Januar 2012 - VI ZB 11/11, VersR 2012, 1009 Rn. 9, vom 26. Februar 2015 - III ZB 55/14, NJW 2015, 2041 Rn. 8 und vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, WM 2014, 2388 Rn. 8 f.; jeweils mwN). Diese allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleich mit dem Fristenkalender dient nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen im Fristenkalender noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben, sondern vielmehr auch dazu, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht (BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, aaO Rn. 10 und vom 2. März 2000 - V ZB 1/00, [...] Rn. 6 mwN). Deshalb ist dabei, ggf. anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, aaO Rn. 13, vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, WM 2016, 1558 Rn. 8, vom 25. Februar 2016 - III ZB 42/15, WM 2016, 563 Rn. 10 und vom 10. August 2016 - VII ZB 17/16, NJW-RR 2016, 1403 Rn. 17).

Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze rechtsfehlerfrei seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen. Die Ausführungen des Bundesgerichtshofs zu der im Rahmen der allabendlichen Ausgangskontrolle ggf. anhand der Akten durchzuführenden Prüfung, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind, sind, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht lediglich eine erläuternde Darlegung, auf die das Büropersonal nicht zusätzlich hingewiesen werden muss. Der Hinweis auf diese Prüfungspflicht gehört vielmehr zu den organisatorischen Vorkehrungen und Anordnungen, durch die ein Rechtsanwalt sicherzustellen hat, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingereicht wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, aaO Rn. 13, vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, aaO Rn. 8, vom 25. Februar 2016 - III ZB 42/15, aaO Rn. 10 und vom 10. August 2016 - VII ZB 17/16, aaO Rn. 17).

Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine entsprechende Anordnung erteilt worden war, lässt sich, wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausführt, der Begründung des Wiedereinsetzungsantrages nicht entnehmen. Die Rechtsbeschwerde macht dies auch nicht geltend.

b) Der dargestellte Organisationsmangel war für die Fristversäumung ursächlich. Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers die Anordnung zur Durchführung der beschriebenen allabendlichen Ausgangskontrolle bestanden, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiter (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - VI ZB 15/15, aaO Rn. 11 mwN) die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Bei einer ggf. anhand der Akten durchgeführten Prüfung, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichnete Berufungsbegründungsschrift tatsächlich abgesandt worden war, hätte vor Ablauf der nach dem Vortrag des Klägers im Fristenkalender ordnungsgemäß eingetragenen Berufungsbegründungsfrist auffallen müssen, dass eine Berufungsbegründungsschrift noch nicht gefertigt und folglich auch nicht an das zuständige Gericht abgesandt worden war.

2. Angesichts dieses Mangels der abendlichen Ausgangskontrolle sind die Ausführungen des Berufungsgerichts zu einem Abweichen des Prozessbevollmächtigten von seiner in Widerrufsfällen üblichen Handhabung, gegen die sich die Rechtsbeschwerde ebenfalls wendet, nicht entscheidungserheblich.

Vorinstanz: LG München I, vom 11.05.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 35 O 16068/15
Vorinstanz: OLG München, vom 18.10.2016 - Vorinstanzaktenzeichen 19 U 2641/16