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BFH - Entscheidung vom 27.09.2017

XI R 18/16

Normen:
UStG § 17 Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2
FGO § 126a
UStG § 17 Abs. 1 S. 2
FGO § 126a
UStG § 17 Abs. 2 Nr. 1 S. 2

BFH, Beschluss vom 27.09.2017 - Aktenzeichen XI R 18/16

DRsp Nr. 2017/17120

Voraussetzungen der Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung Voraussetzungen der Entscheidung des Revisionsgerichts durch Beschluss

Vorsteuerabzugsberichtigung infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung und Beschlussverfahren nach § 126a FGO 1. NV: Für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung ist unerheblich, ob der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch ein originär gesetzlicher Anspruch ist. 2. NV: Der BFH kann unter den Voraussetzungen des § 126a FGO über die Revision durch Beschluss auch dann entscheiden, wenn die Vorentscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben ist, weil ihr ein Änderungsbescheid nachfolgt, der den Sachstreit jedoch nicht berührt.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 19. November 2015 1 K 293/13 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Normenkette:

UStG § 17 Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2; FGO § 126a;

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde am 14. August 2007 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der X mbH (GmbH) bestellt.

In den Jahren 2008 und 2010 (Streitjahre) vereinnahmte der Kläger aus erfolgreichen Insolvenzanfechtungen ... € bzw. ... €.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berichtigte aufgrund dessen den von der GmbH in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug, setzte dementsprechend gegenüber dem Kläger die Umsatzsteuer für die Streitjahre mit Umsatzsteuer-Änderungsbescheiden vom 27. April 2012 und 4. Mai 2012 fest und forderte die berichtigten Vorsteuerbeträge von der Masse zurück.

Die hiergegen vom Kläger eingelegten Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.

Die Klage hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte in den Gründen der angefochtenen Entscheidung vom 19. November 2015 aus, das FA habe zu Recht den Vorsteuerabzug aufgrund der nach erfolgreicher Insolvenzanfechtung in den Streitjahren rückgewährten Entgelte für der GmbH in Rechnung gestellten Leistungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes ( UStG ) berichtigt und die danach geschuldete Umsatzsteuer aus der Masse gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung ( InsO ) gefordert. Die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre seien lediglich zugunsten des Klägers zu ändern, soweit er die Zahlungen der GmbH auf Rechnungen aus dem Kalenderjahr 2006 erfolgreich angefochten habe, da in diesen nur ein Umsatzsteuersatz von 16 % statt der vom FA angenommenen 19 % ausgewiesen sei.

Das FG-Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2017, 365 veröffentlicht.

Das FA hat danach die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Streitjahre mit Bescheiden vom 18. Dezember 2015 nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geändert und hierbei (u.a.) hinsichtlich der Zahlungen der GmbH auf Rechnungen aus dem Kalenderjahr 2006 nunmehr einen Umsatzsteuersatz von 16 % berücksichtigt. Diese Änderungen blieben vom Kläger unwidersprochen.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Er ist im Kern der Ansicht, dass § 17 UStG auf Fälle der erfolgreichen Insolvenzanfechtung nicht anwendbar sei.

Der Senat hat in seiner Sitzung vom 28. Juni 2017 über die Revision beraten. Er hielt einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung im Hinblick auf die Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 15. Dezember 2016 V R 26/16 (BFHE 256, 571 , BStBl II 2017, 735 ) und vom 29. März 2017 XI R 5/16 (BFHE 257, 465 , BStBl II 2017, 738 ) nicht für erforderlich.

Mit Schreiben vom 10. Juli 2017 hat der Senatsvorsitzende die Beteiligten über die zur Unbegründetheit der Revision führenden Erwägungen des Senats in Kenntnis gesetzt und ihnen gemäß § 126a Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ( FGO ) Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Hierauf hat der Kläger vorgetragen, die vom Senat beabsichtigte Entscheidung würde ihn in seinen verfassungsmäßigen Rechten aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzen.

Er rügt, der Senat müsse zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes eine Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes (Gemeinsamer Senat) beschließen, wenn er seiner Entscheidung die von ihm angenommene Rechtsnatur des Anfechtungsanspruchs zugrunde legen wolle.

Außerdem sei der Senat verpflichtet, den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens anzurufen, weil es unionsrechtlich bisher nicht geklärt sei, ob eine Rückgängigmachung i.S. des Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) vorliege, wenn die wechselseitigen Pflichten aus dem zivilrechtlichen Leistungsaustauschverhältnis erfüllt worden seien, die nach höchstrichterlicher zivilrechtlicher Rechtsprechung auch erfüllt blieben, und es zu einem wertmäßig gleichen Anspruch eines Dritten (des Insolvenzverwalters, der als Partei kraft Amtes eigene Ansprüche geltend mache) gegen den Leistungsempfänger komme.

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO . Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

1. Die Vorschrift des § 126a FGO ist auch dann anwendbar, wenn das angefochtene Urteil —wie im Streitfall— wegen Auswechslung des Verfahrensgegenstandes aus verfahrensrechtlichen Gründen im Revisionsverfahren aufzuheben ist, der erkennende Senat bei seiner in der Sache selbst zu treffenden Entscheidung aber einstimmig das Revisionsbegehren materiell-rechtlich für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Juni 2014 VIII R 48/11, BFH/NV 2014, 1568 ; Bergkemper in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 126a FGO Rz 3).

a) Das angefochtene Urteil ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Ihm liegen nicht mehr existierende Bescheide zugrunde, nachdem das FA am 18. Dezember 2015 Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für die Streitjahre über die bloße Umsetzung des Urteilstenors hinaus erlassen hat. Dies hat zur Folge, dass die Vorentscheidung keinen Bestand haben kann. Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit der vorgenannten Umsatzsteuer-Änderungsbescheide (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Oktober 2016 XI R 5/14, BFHE 255, 457 , BStBl II 2017, 500 , Rz 18, m.w.N.).

b) Dennoch bedarf es vorliegend keiner Zurückverweisung gemäß § 127 FGO an das FG, da der Sachstreit durch die Umsatzsteuer-Änderungsbescheide vom 18. Dezember 2015 nicht berührt wird und der Kläger auch keinen weitergehenden Antrag gestellt hat.

2. Zur Begründung seiner Entscheidung verweist der Senat auf die BFH-Urteile in BFHE 256, 571 , BStBl II 2017, 735 und in BFHE 257, 465 , BStBl II 2017, 738 .

3. Aus den Einwendungen des Klägers in seinem Schreiben vom 29. August 2017 ergibt sich nichts anderes.

a) Der Senat ist —anders als der Kläger meint— nicht verpflichtet, nach § 11 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes das Verfahren vor dem Gemeinsamen Senat einzuleiten.

aa) Die Rechtsprechung des BFH zur Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung steht weder im Widerspruch zu der des Bundesgerichtshofs (BGH) noch zu der des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BFH-Urteile in BFHE 256, 571 , BStBl II 2017, 735 , Rz 20; in BFHE 257, 465 , BStBl II 2017, 738 , Rz 28; jeweils m.w.N.).

bb) Für die Berichtigung des Vorsteuerabzugs infolge erfolgreicher Insolvenzanfechtung ist unerheblich, ob —wie der Kläger mit Bezug auf die Rechtsprechung des BGH näher ausführt— der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch ein originär gesetzlicher Anspruch ist. Denn durch die —bezogen auf den Streitfall— in den Jahren 2008 und 2010 infolge der Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO erfolgte Rückgewähr der gezahlten Beträge an den Kläger sind die für die Bemessung des Umsatzes maßgeblichen Entgelte i.S. von § 10 Abs. 1 Satz 1 UStG aus den von der GmbH bezogenen Leistungen (nachträglich) jedenfalls uneinbringlich geworden. Aufgrund dieser Rückgewähr lebten gemäß § 144 InsO die ursprünglichen Zahlungsansprüche der Gläubiger der GmbH wieder auf. Die Ansprüche der Gläubiger sind Insolvenzforderungen i.S. des § 38 InsO und wegen der Insolvenz der GmbH uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG . Deshalb haben die Gläubiger der GmbH ihre Umsatzsteuer zu berichtigen; ebenso ist zeitgleich auch die Vorsteuer für die von der GmbH bezogenen Leistungen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 257, 465 , BStBl II 2017, 738 , Rz 20, m.w.N.).

b) Ebenso wenig ist der Senat im Streitfall gehalten, den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens anzurufen.

aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet Art. 90 Abs. 1 MwStSystRL, der die Fälle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes betrifft, die Mitgliedstaaten, die Steuerbemessungsgrundlage und mithin den Betrag der vom Steuerpflichtigen geschuldeten Mehrwertsteuer immer dann zu vermindern, wenn der Steuerpflichtige nach der Bewirkung eines Umsatzes die gesamte Gegenleistung oder einen Teil davon nicht erhält. Diese Bestimmung ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes der MwStSystRL, nach dem Bemessungsgrundlage die tatsächlich erhaltene Gegenleistung ist und aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen höheren als den dem Steuerpflichtigen gezahlten Betrag erheben darf (vgl. dazu EuGH-Urteile Kraft Foods Polska vom 26. Januar 2012 C–588/10, EU:C:2012:40, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2012, 610 , Rz 26 f.; Almos Agrarkülkereskedelmi vom 15. Mai 2014 C–337/13, EU:C:2014:328, UR 2014, 900 , Rz 22; jeweils m.w.N.).

bb) Die unionsrechtliche Rechtslage ist danach hinreichend geklärt. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union besteht —entgegen der Ansicht des Klägers— danach nicht (vgl. dazu z.B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 30. August 2010 1 BvR 1631/08, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 288 , unter B.II.1.; vom 6. September 2016 1 BvR 1305/13, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2017, 53 , Rz 7; ferner BFH-Urteil vom 13. Juli 2016 VIII K 1/16, BFHE 254, 481 , BStBl II 2017, 198 , Rz 26 ff.; jeweils m.w.N.). Allein der Umstand, dass der EuGH einen Fall wie den vorliegenden noch nicht entschieden hat, rechtfertigt keine EuGH-Vorlage (vgl. BFH-Urteile vom 31. Mai 2017 XI R 39/14, BFH/NV 2017, 1330 , Rz 62; XI R 40/14, BFHE 258,495, BFH/NV 2017, 1396 , Rz 59).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Thüringen, vom 19.11.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 1 K 293/13