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BFH - Entscheidung vom 18.04.2017

III B 76/16

Normen:
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1

Fundstellen:
BFH/NV 2017, 1050

BFH, Beschluss vom 18.04.2017 - Aktenzeichen III B 76/16

DRsp Nr. 2017/7418

Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung

1. Wird die mündliche Verhandlung nach einer Zeugeneinvernahme vertagt, so ist ein Wechsel der ehrenamtlichen Richter unschädlich, wenn diese im nächsten Termin durch Verlesung der protokollierten Zeugenaussage Kenntnis vom Ergebnis der Beweisaufnahme erlangen. 2. Bei einem Auslandssachverhalt ist ein im Ausland ansässiger Zeuge nicht vom Gericht zu laden, sondern von dem Beteiligten, der die Vernehmung beantragt, zu stellen. 3. Macht ein Beteiligter vom Recht auf Akteneinsicht nicht Gebrauch, kann er später nicht mit Erfolg beanstanden, dass das Gericht das Urteil auf Akten(teile) gestützt hat, die im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zur Sprache gekommen sind.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision kann nicht dadurch auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützt werden, dass auf den konkreten Einzelfall bezogene Rügen als allgemeine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung formuliert werden.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Thüringer Finanzgerichts vom 9. Dezember 2015 3 K 988/10 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Normenkette:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betrieb im Streitjahr (2003) eine Apotheke. Außerdem war sie zu 100 % an der X GmbH (GmbH) beteiligt. Im Jahr 2007 zeigte sie dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) an, dass sie in den Jahren 2003 bis 2005 Einnahmen nicht versteuert hatte. Es handelte sich um Rabatte von Lieferfirmen, die durch Zahlungen seitens der in Y ansässigen Firma Z AG (AG) abgewickelt wurden. Das FA erhöhte für das Streitjahr zunächst die Einkünfte aus Gewerbebetrieb um den geschätzten Betrag von 100.000 € und erließ einen entsprechenden Änderungsbescheid. Später führte das FA bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, die auch das Streitjahr umfasste. Nach den Feststellungen der Prüfung erhielten sowohl die Klägerin als auch die GmbH Rabatte. Soweit sie auf die GmbH entfielen, wurden sie als verdeckte Gewinnausschüttungen behandelt. Das FA ging nunmehr von einer Rabattsumme von 510.656 € aus. Es erließ einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2003, gegen den sich die Klägerin mit Einspruch wandte. Zwischen der Klägerin und dem FA war die Höhe der anzusetzenden Einnahmen aus den Rabatten streitig. Die Beträge, die sich nach Ansicht des FA aus den Unterlagen der Klägerin ergaben, wichen erheblich von den Beträgen ab, die seitens der AG bestätigt wurden. Nach dem Vortrag der Klägerin flossen Zahlungen in Höhe der Differenz an Dr. A. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Im anschließenden Klageverfahren lud das Finanzgericht (FG) Dr. A zum Verfahren bei. Es vernahm im Termin vom ... 2014 den Ehemann der Klägerin als Zeugen und befragte in einem weiteren Termin vom 9. Dezember 2015 den Beigeladenen. Das FG wies die Klage ab. Es war der Überzeugung, dass die von der AG gezahlten Beträge allein an die Klägerin oder an die GmbH geflossen waren, nicht aber an den Beigeladenen.

Gegen das Urteil richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, mit der sie Verfahrensfehler rügt und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg und wird deshalb zurückgewiesen. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen entweder nicht vor oder wurden nicht in der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Weise dargelegt.

1. Die Klägerin rügt zu Unrecht als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ), das FG habe gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen.

a) Zwar kann ein Urteil gemäß § 103 FGO nur von den Richtern gefällt werden, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Hiermit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) jedoch nur das Gericht gemeint, das in der letzten mündlichen Verhandlung das Urteil gesprochen hat. Daraus ergibt sich, dass auch nach der Vertagung (nicht: Unterbrechung) einer mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme, bei der sich ein und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht, ein Wechsel auf der Richterbank grundsätzlich zulässig ist (BFH-Beschlüsse vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115 , und vom 1. April 2015 V B 63/14, BFH/NV 2015, 1001 ). Allerdings ist es in solchen Fällen erforderlich, dass sich die neu hinzugetretenen Richter zuverlässig Kenntnis vom Inhalt der Zeugenaussagen verschaffen. Das setzt nicht nur voraus, dass die Zeugenvernehmung protokolliert wurde, sondern dass die Protokolle im Wege des Urkundenbeweises durch Verlesung in das Verfahren eingeführt werden (BFH-Beschluss in BFH/NV 2015, 1001 , m.w.N.).

b) Dies ist hier geschehen. Im Termin vom ... 2014, in dem der Ehemann der Klägerin als Zeuge vernommen wurde, wurde die mündliche Verhandlung vertagt, wie aus der Niederschrift zu ersehen ist. Im Termin vom 9. Dezember 2015, der unter Mitwirkung anderer ehrenamtlicher Richter stattfand, wurde die im Protokoll vom ... 2014 enthaltene Zeugenaussage verlesen; dies geht aus der Niederschrift vom 9. Dezember 2015 hervor.

c) Unabhängig hiervon fehlt es an einer schlüssigen Rüge des geltend gemachten Verfahrensmangels. Bei einem Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz handelt es sich um einen Verfahrensverstoß, auf dessen Geltendmachung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verzichten kann (BFH-Beschlüsse vom 24. Mai 2006 V B 120/05, BFH/NV 2006, 2084 , und vom 22. April 2008 X B 67/07, BFH/NV 2008, 1346 ). Im Streitfall war die Klägerin an beiden Terminen durch dieselbe Prozessbevollmächtigte fachkundig vertreten. Trotzdem hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 9. Dezember 2015, an der andere ehrenamtliche Richter als im Termin vom ... 2014 mitgewirkt haben, nach Verlesen der Aussagen des Zeugen rügelos zur Sache verhandelt und dadurch (vgl. § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ) ihr Rügerecht verloren (s. BFH-Beschluss vom 20. August 2010 IX B 41/10, BFH/NV 2010, 2239 ). Die Klägerin hätte Anlass gehabt, eine derartige Rüge vorzubringen, da sie im Termin vom 9. Dezember 2015 damit rechnen musste, dass die Streitsache aus der Sicht des Gerichts entscheidungsreif war.

2. Auch soweit die Klägerin rügt, dass das FG ihr Angebot, Herrn Dr. B als Zeugen zu laden, übergangen habe, hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg. Denn gemäß § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung ( AO ) obliegt den Verfahrensbeteiligten bei Auslandssachverhalten eine Beweismittelbeschaffungspflicht. Es ist somit nicht Aufgabe des Gerichts, einen im Ausland ansässigen Zeugen zu laden. Nach ständiger Rechtsprechung ist in einem solchen Fall der im Ausland ansässige Zeuge vom FG nicht zu laden, sondern vom Beteiligten, der die Vernehmung beantragt, nach § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO zu stellen (BFH-Beschlüsse vom 2. März 2005 VI B 161/04, BFH/NV 2005, 1088 , und vom 27. Oktober 2015 I B 124/14, BFH/NV 2016, 207 ). Kommt der Beteiligte, der sich auf einen im Ausland lebenden Zeugen beruft, seiner erhöhten Mitwirkungspflicht nicht nach, darf das FG ohne Berücksichtigung dieses Beweismittels den ihm vorliegenden Sachverhalt nach seiner freien Überzeugung (§ 96 Abs. 1 FGO ) würdigen (z.B. BFH-Beschluss vom 23. September 2010 XI B 97/09, BFH/NV 2011, 269 ). Die unterbliebene Zeugeneinvernahme des Herrn Dr. B führte somit nicht zu einem Verfahrensfehler des FG.

3. Entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin ist auch kein Verfahrensfehler darin zu sehen, dass das FG wegen der Frage, ob auch der Beigeladene von der AG Beträge erhalten hat, dessen Sachverhaltsdarstellung gefolgt ist und die Aussage des als Zeugen vernommenen Ehemannes der Klägerin als nicht glaubhaft angesehen hat. Ein prozessualer Grundsatz des Inhalts, dass eine Zeugenaussage von vornherein in einem höheren Maße glaubhaft ist als der Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten i.S. des § 57 FGO , existiert nicht. Das FG hat im Urteil ausgeführt, weshalb es der Überzeugung war, dass die über die AG abgewickelten Rabatte allein der Klägerin oder der von ihr beherrschten GmbH zuflossen, nicht aber auch dem Beigeladenen. Es hat sich insbesondere auf Unterlagen und Aufzeichnungen gestützt, die im Rahmen des Strafverfahrens beschlagnahmt wurden und aus denen nach Ansicht des FG zu ersehen ist, dass die Rabattzahlungen in vollem Umfang an die Klägerin oder an die GmbH geleistet wurden. Aus diesem Grund war es der Auffassung, dass die entgegenstehende Zeugenaussage nicht glaubhaft, der Sachvortrag des Beigeladenen dagegen zutreffend war. Letztlich wendet sich die Klägerin insoweit gegen die vom FG vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung und damit gegen die materiell-rechtliche Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Mit derartigen Einwänden kann ein Beschwerdeführer im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht gehört werden (z.B. BFH-Beschluss vom 11. Juni 2014 IX B 6/14, BFH/NV 2014, 1496 ).

4. Auch insoweit, als die Klägerin eine fehlerhafte Beweiswürdigung geltend macht, weil das FG aus den auf Kontenblättern angebrachten handschriftlichen Vermerken unzutreffende Schlussfolgerungen gezogen habe, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung des FG. Entsprechendes gilt, soweit sie beanstandet, dass aus dem Urteil nicht hervorgehe, wie die Aussage des Beigeladenen zustande gekommen sei; die Klägerin ist der Ansicht, der Beigeladene habe sein Erscheinen bei Gericht hinausgezögert, was gegen seine Glaubwürdigkeit spreche. Auch damit rügt sie letztlich die Tatsachenwürdigung des FG. Mit derartigem Vorbringen kann die Revisionszulassung nicht erreicht werden.

5. Soweit die Klägerin beanstandet, dass das FG das Urteil auf Dokumente gestützt habe, die im finanzgerichtlichen Verfahren nicht zur Sprache gekommen seien, macht sie sinngemäß einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör geltend (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes —GG—, § 96 Abs. 2 FGO ). Ein derartiger Verfahrensverstoß kann allerdings nicht darauf beruhen, dass das Gericht sein Urteil (auch) mit Tatsachen begründet hat, die sich aus den nach § 71 Abs. 2 FGO übermittelten Steuerakten ergeben. Ein FG ist nicht gehalten, den Beteiligten mitzuteilen, welche Tatsachen die vorgelegten Akten enthalten und wie es sie zu verwerten gedenkt. Die Klägerin hatte die Möglichkeit, gemäß § 78 Abs. 1 FGO Akteneinsicht zu nehmen und ggf. zum Akteninhalt Stellung zu beziehen (s. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 2011 III B 75/10, BFH/NV 2012, 586 , m.w.N.). Wer von diesem Recht nicht Gebrauch macht, kann sich später nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihm das rechtliche Gehör versagt worden sei (s. Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 243).

6. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ).

a) Die Klägerin meint, das FG habe Zeugeneinvernahme und Parteivernehmung als grundsätzlich gleichwertige Beweismittel behandelt. Tatsächlich sei aber der Beweiswert einer Zeugenaussage höher als die Aussage einer Partei. Diese Rechtsfrage sei von grundsätzlicher Bedeutung.

Darüber hinaus habe das FG die Einschränkungen des Untersuchungsgrundsatzes, die sich aus einer Verletzung der Mitwirkungspflicht ergäben, verkannt. Das Gericht dürfe nicht durch eine vorweggenommene Beweiswürdigung feststellen, dass ein angebotener Beweis nicht genügend sei. Ob eine solche Feststellung zulässig sei, sei von grundsätzlicher Bedeutung, ebenso die Frage, ob die auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung beruhende Annahme der Verletzung von Mitwirkungspflichten Einschränkungen des Untersuchungsgrundsatzes im selben Maße rechtfertige, wie dies in der Rechtsprechung für tatsächlich feststehende Verletzungen von Mitwirkungspflichten bekannt sei.

b) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO ist eine hinreichend bestimmte Rechtsfrage herauszustellen, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts erforderlich ist und die im konkreten Streitfall klärbar ist. Dazu ist auszuführen, ob und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Vor allem sind, sofern zu dem Problemkreis Rechtsprechung und Äußerungen im Fachschrifttum vorhanden sind, eine grundlegende Auseinandersetzung damit sowie eine Erörterung geboten, warum durch diese Entscheidungen die Rechtsfrage noch nicht als geklärt anzusehen ist oder weshalb sie einer weiteren oder erneuten Klärung bedarf (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 21. Juni 2016 III B 95/15, BFH/NV 2016, 1575 ).

c) Die Klägerin hat keine für die Allgemeinheit bedeutsamen Rechtsfragen herausgestellt, die in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnten. Sie hat die auf den konkreten Einzelfall bezogenen Rügen, wonach das FG der Zeugenaussage zu Unrecht keinen höheren Beweiswert als der Aussage des Beigeladenen zuerkannt habe und wonach es aufgrund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft eine Verletzung der Mitwirkungspflicht angenommen habe, als allgemeine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung formuliert. Dies genügt nicht, um die Darlegungsvoraussetzungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO zu erfüllen.

7. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ).

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 , § 135 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: FG Thüringen, vom 09.12.2015 - Vorinstanzaktenzeichen 3 K 988/10
Fundstellen
BFH/NV 2017, 1050