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BFH - Entscheidung vom 01.04.2015

V B 63/14

Normen:
§ 81 FGO
§ 108 FGO
§ 204 AO
§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO
FGO § 103

Fundstellen:
BFH/NV 2015, 1001

BFH, Beschluss vom 01.04.2015 - Aktenzeichen V B 63/14

DRsp Nr. 2015/8758

Anforderungen an die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im finanzgerichtlichen Verfahren

1. NV: Wechselt nach Vertagung einer Sitzung mit Zeugeneinvernahme die Richterbank, muss die Zeugenvernehmung dann nicht wiederholt werden, wenn es nicht auf den persönlichen Eindruck des Zeugen zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit ankommt. 2. NV: Im Hinblick auf die Durchbrechung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme aus prozessökonomischen Gründen ist jedoch erforderlich, dass sich die neu hinzugetretenen Richter zuverlässig Kenntnis vom Inhalt der Zeugenaussagen verschaffen, in dem diese im Wege des Urkundenbeweises durch Verlesung in das Verfahren eingeführt werden.

1. Im Falle eines Richterwechsels ist eine Wiederholung der Beweisaufnahme nur dann erforderlich, wenn es auf den persönlichen Eindruck des Zeugen zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit ankommt. 2. Im Hinblick auf die Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bei Richterwechsel nach vorangegangener Beweisaufnahme ist aber als Ausgleich zwingend erforderlich, dass sich die neu hinzu getretenen Richter zuverlässig Kenntnis vom Inhalt der Zeugenaussagen verschaffen. Das setzt voraus, dass die Protokolle über die Zeugenvernehmungen wie nach Vernehmung durch einen beauftragten Richter im Wege des Urkundenbeweises durch Verlesung in das Verfahren eingeführt werden.

Tenor

Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 5. Februar 2014 4 K 200/11 aufgehoben.

Die Sache wird an das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Normenkette:

FGO § 103 ;

Gründe

I. Das Finanzgericht (FG) hat bei einem Nachtclubbesitzer, dessen Erben Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind, eine Umsatzzuschätzung vorgenommen, weil es davon ausging, nicht nur Getränke– und Vermietungsumsätze, sondern die gesamten Umsätze aus der Tätigkeit der Prostituierten seien dem Inhaber zuzurechnen. Die Zuschätzung verstoße nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, obschon bei vier vorangegangenen Außenprüfungen die steuerliche Behandlung als Zimmervermietung nicht beanstandet wurde.

Das FG habe sein Urteil vom 5. Dezember 2014 in der geschäftsplanmäßigen Besetzung Vorsitzender Richter am FG A, RiFG B und RiFG C getroffen. Unschädlich sei, dass der in der letzten Sitzung für den erkrankten RiFG D aufgetretene geschäftsplanmäßige Vertreter RiFG B nicht an den vorangegangenen Sitzungsterminen, an denen Beweisaufnahmen stattgefunden hatten, teilgenommen habe, weil es sich wegen des großen zeitlichen Abstandes nicht um einen Fortsetzungstermin (Unterbrechung), sondern um einen neuen Verhandlungstermin (Vertagung) gehandelt habe. Die Vernehmungsprotokolle der vorangegangenen Beweisaufnahmen wurden in der letzten Sitzung nicht verlesen.

II. Die auf Verfahrensrügen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) und auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet.

1. Die Revision ist nicht bereits wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zuzulassen, ob die während eines Zeitraums von 41 Jahren bei vier Außenprüfungen sowie einer entsprechenden Auskunft an die Ortspolizei aus dem Jahr 1984 unbeanstandet gebliebene Rechtsauffassung der Kläger, nach der einem Nachtclubbesitzer die Umsätze der bei ihm tätigen Prostituierten nicht in vollem Umfang, sondern lediglich zu 1/3 als Umsatz aus Zimmervermietung zugerechnet werden, im Streitjahr 2005 geändert werden durfte.

Denn die Rechtsfrage der Bindung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) an seine früheren steuerlichen Beurteilungen für die Zukunft ist bereits geklärt. Aus § 204 der Abgabenordnung ( AO ) ergibt sich, dass das FA im Anschluss an eine Außenprüfung eine verbindliche Auskunft erteilen soll über die zukünftige Behandlung eines für die Vergangenheit geprüften und im Prüfungsbericht dargestellten Sachverhaltes. Diese Zusage ist dann gemäß § 206 AO für den im Antrag des Steuerpflichtigen genannten Zeitraums verbindlich. Hat der Steuerpflichtige eine derartige verbindliche Zusage nach § 206 oder nach § 89 Abs. 2 AO oder der vorangegangenen Verwaltungsregelung jedoch nicht beantragt, hat das FA grundsätzlich das Recht und die Pflicht, aufgrund des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung, aus dem der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung folgt, eine als unzutreffend erkannte Rechtsauffassung frühestmöglich zu ändern (BFH-Urteile vom 25. Mai 1977 I R 93/75, BFHE 122, 296 , BStBl II 1977, 660 ; vom 13. Februar 2008 I R 63/06, BFHE 220, 415 , BStBl II 2009, 414 ). Darüber hinaus ist geklärt, dass ein Verbot der Rückkehr des FA zur als richtig erkannten Besteuerung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben oder der Verwirkung nur dann ausnahmsweise angenommen werden kann, wenn eindeutig erkennbar ist, dass das FA mit einer bestimmten Sachbehandlung auch eine Festlegung für die Zukunft treffen wollte (BFH-Urteile vom 5. November 2009 IV R 13/07, BFH/NV 2010, 652 , Rz 26; vom 13. Februar 2008 I R 63/06, BFHE 220, 415 , BStBl II 2009, 414 , Rz 34–36; vom 25. Mai 1977 I R 93/75, BFHE 122, 296 , BStBl II 1977, 660 ). Ohne eine solche verbindliche Zusage nach § 204 AO oder ihr gleichkommende zukunftsgerichtete Erklärung des FA ist das Vertrauen auf Fortsetzung einer für den Steuerpflichtigen günstigen Behandlung auf unabsehbare Zeit nicht geschützt.

2. Die Beschwerde führt aber zur Aufhebung des FG-Urteils und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, weil das Urteil nicht auf einer verfahrensfehlerfreien Grundlage beruht.

a) Eine "Entziehung des gesetzlichen Richters" und ein "Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme" liegt zwar nicht deshalb vor, weil innerhalb der drei Sitzungstage jeweils mit Beweisaufnahme (am 12. Dezember 2012, 7. Februar 2013 und 5. Februar 2014) die Richterbank gewechselt hat, nämlich wegen Erkrankung des RiFG D dessen Vertreter RiFG B teilgenommen hat sowie die beiden ehrenamtlichen Richter gewechselt haben. Denn ein Urteil kann zwar gemäß § 103 FGO nur von denjenigen Richtern gefällt werden, die an der mündlichen Verhandlung teilgenommen haben. Hiermit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) jedoch nur das Gericht gemeint, das in der letzten mündlichen Verhandlung auch das Urteil gesprochen hat. Daraus ergibt sich weiter, dass auch nach —wie vorliegend— der Vertagung und nicht nur einer Unterbrechung einer mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme, bei der sich ein und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht, ein Wechsel auf der Richterbank grundsätzlich zulässig ist (BFH-Urteil vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115 ; Beschluss vom 22. Oktober 2003 I B 39/03, BFH/NV 2004, 350 ).

Dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 FGO ) wäre allerdings am besten genügt, wenn nur diejenigen Richter das Urteil sprechen, die an allen Beweisaufnahmen zugegen waren. Jedoch führt das Gesetz diesen Grundsatz aus prozessökonomischen Gründen nicht streng durch, denn es sieht in § 81 Abs. 2 und § 79 Abs. 3 FGO auch die Möglichkeit der Übertragung einer Beweisaufnahme auf einzelne Mitglieder des Gerichts oder durch ein anderes Gericht vor, was zur Folge hat, dass in diesen Fällen Richter zur Entscheidung mit berufen sind, die an der Beweisaufnahme selbst nicht teilgenommen haben. Eine Wiederholung der Beweisaufnahme ist nur dann erforderlich, wenn es auf den persönlichen Eindruck des Zeugen zur Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit ankommt.

b) Im Hinblick auf die Einschränkung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme bei Richterwechsel nach vorangegangener Beweisaufnahme ist aber als Ausgleich zwingend erforderlich, dass sich die neu hinzugetretenen Richter zuverlässig Kenntnis vom Inhalt der Zeugenaussagen verschaffen. Das setzt nicht nur voraus, dass die Zeugenvernehmung protokolliert wurde, sondern dass zudem die Protokolle wie nach Vernehmung durch einen beauftragten Richter im Wege des Urkundenbeweises durch Verlesung in das Verfahren eingeführt werden (BFH-Beschlüsse vom 7. Februar 2007 X B 105/06, BFH/NV 2007, 962 ; vom 3. August 2006 V B 27/06, juris; vom 30. April 2003 I B 120/02, BFH/NV 2003, 1587 ; vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115 ; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 30. Januar 1990 XI ZR 162/89 unter I.2.b, Neue Juristische Wochenschrift 1991, 1302 ; vom 12. Juni 2012 X ZR 131/09, Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 2012, 895 , Rz 31).

Die Einführung der Protokolle über die vorangegangenen Zeugenvernehmungen durch Verlesung ist vorliegend jedoch dem Sitzungsprotokoll nicht zu entnehmen.

c) Entgegen der Rechtsauffassung des FA ist der Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit vorliegend auch nicht durch Verzicht oder rügeloser Einlassung geheilt worden (vgl. dazu BFH-Beschluss in BFH/NV 1992, 115 ). Denn die Kläger haben den Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit laut Sitzungsprotokoll ausdrücklich gerügt.

Die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit wegen Wechsel der Richterbank nach vorangegangener Beweisaufnahme mit der Begründung, nicht die gesamte Richterbank besitze einen hinreichenden Eindruck vom Inhalt der Zeugenaussagen, umfasst auch die Rüge der Nichteinführung der Protokolle im Wege des Urkundenbeweises, da die Rüge auf dasselbe Ziel gerichtet ist, das Fehlen der zuverlässigen Kenntnis der Richter vom Inhalt der Zeugenaussagen zu beanstanden.

3. Die weiter gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor. Von einer Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

4. Der Senat hält es daher für sachgerecht, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, damit die Protokolle der Zeugeneinvernahmen ordnungsgemäß im Wege des Urkundenbeweises in das Verfahren eingeführt werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO .

Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, vom 05.02.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 4 K 200/11
Fundstellen
BFH/NV 2015, 1001