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BGH - Entscheidung vom 03.07.2014

4 StR 137/14

Fundstellen:
NStZ-RR 2014, 283
StV 2015, 146

BGH, Urteil vom 03.07.2014 - Aktenzeichen 4 StR 137/14

DRsp Nr. 2014/11638

Revisionsgerichtliche Überprüfung eines Freispruchs aus Mangel an Beweisen

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er sich von dessen Schuld nicht zu überzeugen vermag, ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die revisionsrechtliche Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern (Widersprüche, Unklarheiten, Lücken, Verstöße gegen Denkgesetze, zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung, unrichtige Anwendung des Zweifelssatzes) beschränkt. Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, kann das Revisionsgericht in die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann nicht eingreifen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre.

Tenor

1.

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 10. Dezember 2013 wird verworfen.

2.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten im zweiten Rechtsgang von dem Vorwurf freigesprochen, E. P. bei einer tätlichen Auseinandersetzung durch einen Messerstich in die Brust getötet und sich dadurch des Totschlags schuldig gemacht zu haben. Das erste in dieser Sache ergangene freisprechende Urteil des Landgerichts vom 1. Februar 2012 hatte der Senat auf die Revision der Staatsanwaltschaft mit Urteil vom 13. Dezember 2012 (Az. 4 StR 177/12) aufgehoben. Gegen den erneuten Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. In den frühen Morgenstunden des 27. Juli 2011 hielt sich der Angeklagte zusammen mit E. P. in der Wohnung der Zeugin Sch. auf.

Beide Männer waren erheblich alkoholisiert. In der Zeit zwischen 3.00 Uhr und kurz vor 5.00 Uhr kam es zwischen ihnen zu einem Streit, der in eine tätliche Auseinandersetzung einmündete. In deren Verlauf brachte der Angeklagte dem Geschädigten neben einer Verletzung des Kehlkopfes und einer Schnittwunde am Kinn zwei Stiche mit einem Küchenmesser bei. Ein Stich erfolgte in den Rücken, der andere traf von vorne ins Herz. E. P. flüchtete aus der Wohnung und blieb nach einer Wegstrecke von ca. 70 Metern in einem Hauseingang liegen, wo er an den Folgen des Herzstichs verstarb.

Den Verlauf der Auseinandersetzung und des sich anschließenden Kampfes hat das Landgericht ebenso wenig zu klären vermocht, wie die Reihenfolge und den zeitlichen Abstand der dem Geschädigten beigebrachten Verletzungen.

2. Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, dass der zum Tatvorwurf schweigende Angeklagte in Notwehr gehandelt hat, weil er in dem von ihm nicht provozierten Kampf "auf Leben und Tod" in eine unterlegene Position geriet, aus der er sich nur durch die ihm zuzurechnenden Stiche befreien konnte.

II.

Das freisprechende Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er sich von dessen Schuld nicht zu überzeugen vermag, ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die revisionsrechtliche Prüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung ist auf das Vorliegen von Rechtsfehlern (Widersprüche, Unklarheiten, Lücken, Verstöße gegen Denkgesetze, zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung, unrichtige Anwendung des Zweifelssatzes) beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 1 StR 655/13, Rn. 20; Urteil vom 23. Januar 2014 - 3 StR 373/13; Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, Rn. 8 mwN). Sind derartige Rechtsfehler nicht feststellbar, kann das Revisionsgericht in die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann nicht eingreifen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 - 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146 , 147 mwN).

Macht der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch, darf ihm kein Nachteil daraus entstehen, dass er deshalb nicht in der Lage ist, zum Vorliegen einer Notwehrsituation vorzutragen (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 4 StR 177/12, NStZ-RR 2013, 117 , 119; Urteil vom 11. April 2002 - 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN). In einem solchen Fall ist von der für ihn günstigsten Möglichkeit auszugehen. Dabei sind jedoch nicht alle nur denkbaren Gesichtspunkte, zu denen keine Feststellungen getroffen werden können, zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen. Für ihn vorteilhafte Geschehensabläufe sind vielmehr erst dann bedeutsam, wenn für ihr Vorliegen reale Anhaltspunkte erbracht sind und sie deshalb nach den gesamten Umständen als möglich in Betracht kommen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, Rn. 20; Urteil vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147 ; Urteil vom 11. April 2002 - 4 StR 585/01, NStZ-RR 2002, 243 mwN).

2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.

a) Die Annahme, der Angeklagte habe sich im Zeitpunkt des Messereinsatzes nicht ausschließbar in einem Kampf mit dem Geschädigten in unterlegener Position befunden, ist tragfähig begründet.

Soweit sich das Schwurgericht dabei maßgeblich auf "nicht widerlegte" Äußerungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren gestützt hat, ist ein Rechtsfehler nicht zu besorgen. Das Landgericht hat die einzelnen Einlassungen im Zusammenhang gewürdigt und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sie "im Kern authentisch" sind. Hierfür hat das Landgericht mit den Angaben des Zeugen S. über einen heftigen Streit ("Schlägerei") in der Wohnung der Zeugin Sch. und der durch die Vorstrafen (u.a. eine Verurteilung wegen Totschlags z.N. eines Zechkumpanen) dokumentierten hohen Gewaltbereitschaft des Geschädigten reale Anhaltspunkte dargelegt. Der Senat kann daher ausschließen, dass das Landgericht der Einlassung des Angeklagten rechtsfehlerhaft nur deshalb gefolgt ist, weil es keine unmittelbaren Beweise für ihr Gegenteil gab (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, Rn. 20).

b) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht auch alle wesentlichen Indizien in seine Erwägungen einbezogen. Seine Beweiswürdigung ist daher nicht lückenhaft (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06, Rn. 24 mwN).

Die Widerlagerverletzungen am Rücken des Geschädigten, das Fehlen sichtbarer Verletzungen beim Angeklagten und der Umstand, dass der Geschädigte neben den beiden Stichverletzungen noch eine Verletzung am Kehlkopf und eine Schnittwunde am Kinn aufwies, wurden vom Landgericht ausdrücklich erörtert. Seine Beurteilung des Beweiswerts dieser gegen ein Handeln in Notwehr sprechenden Indizien ist vertretbar und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 - 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146 , 147). Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist auch noch hinreichend deutlich zu entnehmen, dass das Landgericht das Gewicht der einzelnen Indizien nicht nur isoliert beurteilt, sondern auch im Zusammenhang bedacht hat (vgl. dazu BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, Rn. 8; weitere Nachweise bei Brause, NStZ-RR 2010, 329, 330 f.).

3. Auf die Frage, ob das Landgericht die Annahme eines (bedingten) Tötungsvorsatzes rechtsfehlerfrei abgelehnt hat, kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Kaiserslautern, vom 10.12.2013
Fundstellen
NStZ-RR 2014, 283
StV 2015, 146