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BGH - Entscheidung vom 19.11.2014

IV ZR 47/14

Normen:
AVB-G § 6 Abs. 6

Fundstellen:
VersR 2015, 257
r+s 2015, 578

BGH, Beschluss vom 19.11.2014 - Aktenzeichen IV ZR 47/14

DRsp Nr. 2014/18189

Medizinische Notwendigkeit einer Immuntherapie mit dendritischen Zellen im Hinblick auf die krankenversicherungsrechtliche Kostenerstattung

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 10. Januar 2014 zugelassen.

Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 21.944,20 €

Normenkette:

AVB-G § 6 Abs. 6;

Gründe

I. Die seit 2004 an einem mittlerweile metastasierenden malignen Melanom erkrankte Klägerin, die bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung unterhält, begehrt die Erstattung von Kosten in Höhe von bislang 21.944,20 € für eine Immuntherapie mit dendritischen Zellen, deren medizinische Notwendigkeit die Beklagte bestreitet.

Die dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Gruppenversicherung für die Krankheitskostenversicherung (AVB-G) enthalten in § 6 Abs. 6 die nachfolgende, so genannte Schulmedizinklausel:

"§ 6 Umfang der Leistungspflicht (...)

(6) Der Versicherer leistet im vereinbarten Umfang für Untersuchungs- oder Behandlungsmethoden und Arzneimittel, die von der Schulmedizin überwiegend anerkannt sind. Er leistet darüber hinaus für Methoden und Arzneimittel, die sich in der Praxis als ebenso Erfolg versprechend bewährt haben oder die angewandt werden, weil keine schulmedizinischen Methoden oder Arzneimittel zur Verfügung stehen; der Versicherer kann jedoch seine Leistungen auf den Betrag herabsetzen, der bei der Anwendung vorhandener schulmedizinischer Methoden oder Arzneimittel angefallen wäre."

Die Klägerin behauptet, es stehe für sie keine schulmedizinisch anerkannte Behandlungsform zur Verfügung, die geeignet erscheine, den höchstmöglichen Therapie- bzw. Heilungserfolg herbeizuführen. Eine Behandlung mit dem Medikament Interferon (Chemotherapie) biete gegenüber der Therapie mit dendritischen Zellen nur geringere, allenfalls gleichwertige Heilungschancen. Sie komme deshalb nicht in Betracht, weil bei der Klägerin eine Interferonunverträglichkeit bestehe und die Gabe von Interferon auch wegen einer Schilddrüsenerkrankung und Depressionen kontraindiziert sei.

Das Landgericht hat die Klage ab-, das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und darin - sachverständig beraten ausgeführt, die Leistungsvoraussetzungen nach § 6 Abs. 6 AVB-G lägen nicht vor. Die dendritische Zelltherapie sei noch keine von der Schulmedizin überwiegend anerkannte Methode. Zwar sei es gelungen , starke Immunreaktionen bei in-vitro-Studien zu induzieren, in klinischen Studien sei aber noch nicht ausreichend belegt, dass sich eine objektive Tumorregression herbeiführen lasse; die detaillierte Analyse dieser Fakten stehe noch aus, an ihr werde intensiv geforscht. Den aktuellen Therapiestandard für die Erkrankung der Klägerin stelle die Behandlung mit Interferon dar, die wissenschaftlich nachgewiesen das Gesamtüberleben verbessern oder sogar zu einem rezidivfreien Überleben führen könne. Die dendritische Zelltherapie sei in der Praxis noch nicht in gleicher Weise Erfolg versprechend.

Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass die Interferongabe bei ihr kontraindiziert sei. Die behauptete Interferon-Unverträglichkeit habe der gerichtlich bestellte Sachverständige nicht feststellen können. Bei der Klägerin einmalig - nach der fünften Interferon-Behandlung - dokumentiertes extremes Fieber und grippeähnliche Symptome ließen einen solchen Rückschluss nicht zu. Die depressive Störung der Klägerin erfordere zwar eine sorgfältige Überwachung während der InterferonBehandlung, stehe letzterer aber nicht entgegen. Gleiches gelte für die Schilddrüsenerkrankung der Klägerin, die durch Medikamente kontrollierbar sei.

Anträgen der Klägerin, den Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, hat das Berufungsgericht nicht entsprochen. Mit ihrem Antrag vom 22. Oktober 2013 habe sie das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen weder angegriffen noch einen Erläuterungsbedarf zu erkennen gegeben. Den weiteren, am 8. Dezember 2013 gestellten Antrag auf Anhörung des Sachverständigen im Termin vom 13. Dezember 2013 hat das Berufungsgericht als nach § 411 Abs. 4 i.V.m. § 296 ZPO verspätet zurückgewiesen.

II. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Klägerin schon deshalb in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Grundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG ), weil ihren Anträgen auf Anhörung des Sachverständigen in mündlicher Verhandlung nicht stattgegeben worden ist.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, o b das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397 , 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (Senatsbeschlüsse vom 30. Oktober 2013 - IV ZR 307/12, r+s 2014, 25 Rn. 9; vom 15. März 2006 - IV ZR 182/05, VersR 2006, 950 Rn. 6 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04, VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N. und ständig). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht.

2. Anders als das Berufungsgericht meint, bot das Vorbringen der Klägerin nach den vorgenannten Maßstäben Anlass, den gerichtlich bestellten medizinischen Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung zu laden und zur Erläuterung seines Gutachtens persönlich anzuhören.

a) Unter dem 11. November 2012 hat der Sachverständige ein Ergänzungsgutachten erstattet und ist darin zu dem Schluss gekommen, das von dem behandelnden Arzt dokumentierte Fieber sowie bei der Klägerin beobachtete grippeartige Symptome belegten keine Unverträglichkeit, die der weiteren Behandlung mit Interferon entgegenstünde. Mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2012 hat der Klägervertreter zwei dem Sachverständigen widersprechende Stellungnahmen des behandelnden Arztes und der die Klägerin wegen ihrer depressiven Störung behandelnden Diplom-Psychologin vorgelegt und erstmals beantragt, den gerichtlich bestellten Sachverständigen zum Ergebnis seines Gutachtens anzuhören.

Das Berufungsgericht hat dem Sachverständigen daraufhin im Beschlusswege aufgegeben, ergänzende Fragen zur Bedeutung der depressiven Störung der Klägerin und weiterer geltend gemachter Beschwerden für die Kontraindikation einer Interferontherapie zu beantworten. Unter dem 24. September 2013 hat der Sachverständige sein weiteres schriftliches Ergänzungsgutachten erstattet, das eine "absolute Kontraindikation zur Interferontherapie" zwar weiterhin verneint, im Hinblick auf die Vorerkrankungen der Klägerin allerdings mit der Empfehlung endet, gegebenenfalls auf die Interferontherapie zu verzichten.

In seiner dazu unter dem 22. Oktober 2013 verfassten Stellungnahme hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin zum Ausdruck gebracht, er verstehe das Ergänzungsgutachten dahin, dass im konkreten Fall die Therapie mit dendritischen Zellen medizinisch notwendig sei, weil mit Rücksicht auf die Lebensqualität der Patientin auf eine Interferontherapie verzichtet werde. Falls die Beklagte kein Anerkenntnis erkläre, werde vorsorglich beantragt, den Sachverständigen zum Termin zu laden, um sein Gutachten nebst Ergänzungsgutachten zu erläutern.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte dem Vorbringen der Klägerin entnommen werden, welchem Ziel die Anhörung dienen sollte. Dass auch das Berufungsgericht diese Zielrichtung erkannt hat, belegen sein Beweisbeschluss und die dem Sachverständigen darin ergänzend gestellten Fragen. Mit Einholung dieser ergänzenden schriftlichen gutachtlichen Stellungnahme war - mag dieses Verfahren zur weiteren Sachaufklärung auch sinnvoll erscheinen - der Antrag der Klägerin auf Anhörung des Sachverständigen aber nicht erledigt (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 1986 - VI ZR 95/85, VersR 1986, 1079 unter II 3 b; Musielak/ Huber, ZPO 11. Aufl. § 411 Rn. 7; BeckOK-ZPO/Scheuch, Stand 15. September 2014 § 411 Rn. 20). Denn das Recht der Partei, dem Sachverständigen im Rahmen einer mündlichen Anhörung Fragen zum Gutachten zu stellen, erlischt nicht dadurch, dass das Gericht dem Sachverständigen Fragen stellt, die dieser beantwortet.

c) Die Klägerin hat ihren Antrag auf Anhörung des Sachverständigen weder zurückgenommen noch sonst auf ihr Anhörungsrecht verzichtet. Auch wenn dem Schriftsatz des früheren Klägervertreters vom 22. Oktober 2013 kein Widerspruch gegen die gutachtlichen Äußerungen im Ergänzungsgutachten vom 24. September 2013 zu entnehmen ist, weil das Gutachten irrtümlich zugunsten der Klägerin interpretiert wird, hat er dennoch an seinem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen festgehalten, falls die Beklagte die Klagforderung nicht anerkenne. Die Annahme der Beklagten, mit dem genannten Schriftsatz habe die Klägerin konkludent auf ihr Recht auf Anhörung des Sachverständigen verzichtet, überzeugt nicht. Sie steht im Widerspruch dazu, dass die Klägerin ihren Antrag auf Anhörung des Sachverständigen ausdrücklich wiederholt hat.

Bei dieser Sachlage war kein Raum, von einer Ladung und Anh örung des Sachverständigen abzusehen. Auf die Frage, ob der neuerliche Antrag der Klägerin vom 8. Dezember 2013 für sich genommen verspätet gewesen wäre, kommt es nicht mehr an.

3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht insbesondere hinsichtlich der Frage, inwieweit eine Interferon-Behandlung bei der Klägerin angesichts der konkreten Fallumstände kontraindiziert ist oder aber Behandlungserfolge erwarten lässt, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn die Klägerin Gelegenheit erhalten hätte, den Sachverständigen in mündlicher Anhörung zur Erläuterung seines Gutachtens zu befragen.

Vorinstanz: LG Köln, vom 21.03.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 250/10
Vorinstanz: OLG Köln, vom 10.01.2014 - Vorinstanzaktenzeichen 20 U 71/12
Fundstellen
VersR 2015, 257
r+s 2015, 578