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BGH - Entscheidung vom 14.05.2014

2 StR 275/13

Normen:
StGB § 22
StGB § 223
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2
StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1
StGB § 253
StGB § 255

BGH, Urteil vom 14.05.2014 - Aktenzeichen 2 StR 275/13

DRsp Nr. 2014/12541

Beweiswürdigung hinsichtlich Wertung der Handlung zum Nachteil eines Zeugen als gefährliche Körperverletzung durch Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs

1. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jeder feste Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (hier: Messerknauf).2. Mit einer erheblichen Verletzung ist eine nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzung oder Gesundheitsschädigung gemeint.

Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 9. Januar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Normenkette:

StGB § 22 ; StGB § 223 ; StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 ; StGB § 250 Abs. 2 Nr. 1 ; StGB § 253 ; StGB § 255 ;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen, sowie in weiterer Tateinheit mit Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen und Freiheitsberaubung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen den Angeklagten A. hat es wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit Körperverletzung und in weiterer Tateinheit mit Freiheitsberaubung in drei tateinheitlichen Fällen auf Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt. Den Angeklagten S. hat es wegen besonders schweren Raubs in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen und in weiterer Tateinheit mit Freiheitsberaubung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts entschlossen sich die Angeklagten am 13. April 2012 dazu, den Zeugen R. in dessen Wohnung zu überfallen und seinen Vorrat an Marihuana an sich zu bringen, den sie auf mehrere hundert Gramm schätzten. Sie lauerten mit Sturmhauben maskiert im Treppenhaus ein Stockwerk über der Wohnung des Zeugen R. dessen Besuchern D. und H. auf, um diese in die Wohnung hineinzudrängen, sobald der Zeuge R. ihnen die Tür öffnen würde. Dann sollte der Angeklagte A. sein mitgeführtes Klappmesser als Drohmittel einsetzen und den Wohnungsinhaber R. dazu zwingen, seinen Drogenvorrat herauszugeben; während dessen sollten die Angeklagten M. und S. die Besucher bewachen.

Als die Zeugen D. und H. an der Wohnungstür klingelten, stürmten die Täter herbei. Der Angeklagte A. hielt D. das Messer in den Rücken und forderte ihn zum Stillhalten auf. Als der Geschädigte R. die Wohnungstür öffnete, stießen die Angeklagten die Besucher D. und H. in die Wohnung hinein, so dass sie in den Flur stürzten. Der Angeklagte A. bedrohte sodann den Wohnungsinhaber R. mit seinem Messer und verlangte die Herausgabe von Marihuana. R. wies auf ein halbes Gramm Marihuana hin, das auf dem Tisch im Wohnzimmer lag, und betonte, er besitze nur dieses. Der Angeklagte A. forderte jedoch wiederholt die Herausgabe eines halben Kilogramms. Im Wohnzimmer war auch der weitere Besucher P. anwesend, dem der Angeklagte M. damit drohte, er werde ihm eine Wasserpfeife auf den Kopf schlagen, wenn er nicht sage, wo "das Zeug" sei.

Der Angeklagte M. ergriff ein auf dem Tisch liegendes Messer und drängte die Zeugen P. , D. und H. ins Badezimmer. Er drohte ihnen damit, dass er sie umbringen werde, wenn sie "etwas sagen" sollten, und fuchtelte mit dem Messer herum. Mit der Hand, in der er das Messer hielt, schlug er den Zeugen P. ins Gesicht. Ferner schlug er den Zeugen D. ins Gesicht und auf den Kopf, wobei dieser auch vom Messerknauf getroffen wurde.

Die Angeklagten handelten im Folgenden, ohne dass nähere Einzelheiten feststellbar waren, in der Weise arbeitsteilig, dass stets einer von ihnen die Zeugen P. , D. und H. im Badezimmer und ein anderer den Zeugen R. im Wohnzimmer bewachte, während der dritte Täter die Wohnung durchsuchte. Sie packten ein Mobiltelefon, 80 Euro Bargeld und einen Laptop in eine Plastiktüte.

Der Angeklagte A. verlangte weiterhin von dem Zeugen R. die Herausgabe des angeblich vorhandenen halben Kilos Marihuana und schlug ihn ins Gesicht. Als der Zeuge R. erklärte, das halbe Gramm Marihuana auf dem Wohnzimmertisch stamme von seinem Nachbarn B. , packte ihn der Angeklagte A. am Kragen, hielt ihm das Messer an die Seite und drängte ihn durch das Treppenhaus zur Wohnung des Hausbewohners B. im Erdgeschoss. Er postierte sich und den Zeugen R. so vor der Wohnungstür, dass durch den Türspion nur der Zeuge R. zu sehen war.

Dann zwang er diesen dazu, an der Wohnungstür zu klopfen. Tatsächlich hielt sich der Zeuge B. zufällig gerade in der gegenüberliegenden Wohnung des Zeugen Pu. auf und erblickte durch deren Türspion nicht nur den Zeugen R. , sondern auch den Angeklagten; er erkannte daher die Bedrohungslage. Er versuchte, durch vorsichtiges Öffnen der Tür dem Geschädigten R. eine Gelegenheit zu verschaffen, dem Angeklagten A. zu entkommen. Dieser bemerkte dies und wollte sich Zugang zu der Wohnung des Zeugen Pu. verschaffen. Es kam zu einem Gerangel, bei dem der Zeuge R. eine leichte Schnittverletzung an der Hand erlitt und zu Boden stürzte, während der Zeuge B. die Tür wieder schließen konnte. Als B. rief, jemand solle die Polizei anrufen, erkannte der Angeklagte A. , dass die Tat nicht weiter durchführbar war. Er versetzte dem Geschädigten R. zwei Fußtritte und ging zurück zu dessen Wohnung.

Dort hatten die Angeklagten M. und S. von den Zeugen P. , D. und H. die Herausgabe ihrer Mobiltelefone und Geldbeutel erzwungen und dabei 555 Euro von D. sowie 10 Euro von H. erbeutet, ferner hatten sie dem Zeugen D. die Jacke weggenommen. Als der Angeklagte A. wieder erschien und mitteilte, dass die Polizei gerufen worden sei, schloss der Angeklagte M. die Geschädigten D. , H. und P. im Badezimmer ein und nahm den Türschlüssel mit. Dann verließen die Angeklagten den Tatort mit den erbeuteten Gegenständen.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil ist begründet.

1. Das Rechtsmittel ist nicht beschränkt. Es nennt in der Eingangsformel alle drei Angeklagten und fügt einen Antrag auf umfassende Urteilsaufhebung hinzu. Die Begründung der auf die Sachrüge gestützten Revision betrifft zwar nur die Nichterörterung einer Qualifikation der Körperverletzung des Angeklagten M. zum Nachteil des Zeugen D. (vgl. unten II.2.a) sowie die Handlungen des Angeklagten A. vor der Wohnung des Zeugen B. (vgl. unten II.2.b). Daraus folgt aber angesichts des eindeutigen Wortlauts des Aufhebungsantrags keine konkludente Revisionsbeschränkung auf diese Punkte.

2. Die Sachrüge ergibt, dass das Landgericht seine Kognitionspflicht gemäß § 264 Abs. 1 StPO verletzt hat und dass seine Beweiswürdigung Rechtsfehler aufweist.

a) Zu Recht rügt die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Handlung des Angeklagten M. zum Nachteil des Zeugen D. auch als gefährliche Körperverletzung durch Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu bewerten ist, weil er diesen mit dem Messerknauf am Kopf getroffen hat.

Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist jeder feste Gegenstand, der nach seiner Beschaffenheit und der Art seiner Benutzung dazu geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Mai 2002 - 2 StR 113/02, NStZ 2002, 594 ). Mit einer erheblichen Verletzung ist eine nach Dauer oder Intensität gravierende, jedenfalls nicht nur ganz leichte Verletzung oder Gesundheitsschädigung gemeint. Nach den Urteilsgründen ist eine solche Gefahr beim Einsatz des Messergriffs durch einen Schlag gegen den Kopf des Geschädigten nicht so fernliegend, dass auf eine Erörterung der Frage verzichtet werden konnte, ob deshalb § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingreift.

b) Die Strafkammer hat ferner das Geschehen im Erdgeschoss des Hauses nicht ausreichend gewürdigt.

aa) In den dortigen Handlungen des Angeklagten A. kann ein (fehlgeschlagener) Versuch der besonders schweren räuberischen Erpressung zum Nachteil des Zeugen B. gelegen haben (§§ 253 , 255 , 250 Abs. 2 Nr. 1 , 22 StGB ). Obwohl dies nahe liegt, hat das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen, welches Ziel der Angeklagte A. verfolgte. Die Einlassung des Angeklagten, er habe sich keine Gedanken gemacht, war kein Grund, davon abzusehen, aufgrund des Gesamtgeschehens nahe liegende Schlüsse auf ein Handlungsmotiv des Angeklagten A. zu ziehen. Nach den Umständen drängte sich die Annahme auf, dass es dem Angeklagten darum ging, sein ursprüngliches Ziel, mehrere hundert Gramm Marihuana zu erbeuten, durch erpresserische Drohungen gegenüber dem Zeugen B. weiter zu verfolgen.

bb) In diesem Handlungsabschnitt kommt ferner eine Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen R. durch Zufügung einer Schnittverletzung an der Hand in Betracht, ebenso wegen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB ) durch Tritte. Auch dazu fehlen Erörterungen im angefochtenen Urteil.

c) Nicht erörtert wurde schließlich die Frage, ob es sich bei dem Geschehen vor der Wohnung des Zeugen B. aus der Sicht der Angeklagten M. und S. um einen Mittäterexzess des Angeklagten A. gehandelt hat, oder ob ihnen auch die Handlungen des Angeklagten A. gemäß § 25 Abs. 2 StGB zuzurechnen sind. Dies käme jedenfalls in Betracht, wenn es bei den weiteren Handlungen des Angeklagten A. darum ging, das ursprüngliche - gemeinsame - Tatziel der Erlangung von mehreren hundert Gramm Marihuana weiterzuverfolgen, und wenn die beiden Mitangeklagten - was möglich ist, aber bisher nicht festgestellt ist - Kenntnis davon hatten, dass A. zusammen mit R. die Wohnung verlassen hatte, um sich zur angeblichen Quelle des erstrebten Marihuana zu begeben.

Das Geschehen außerhalb der Wohnung des Zeugen R. ist den Angeklagten M. und S. zwar auch in der Anklageschrift vom 21. Mai 2012 nicht ausdrücklich vorgeworfen worden; es gehörte aber zu derselben Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO ).