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BGH - Entscheidung vom 29.01.2014

XII ZB 519/13

Normen:
FamFG §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 34 Abs. 1, 26
FamFG § 26
FamFG § 34 Abs. 1 Nr. 2
FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 1

Fundstellen:
FGPrax 2014, 116
MDR 2014, 612
NJW-RR 2014, 773

BGH, Beschluss vom 29.01.2014 - Aktenzeichen XII ZB 519/13

DRsp Nr. 2014/3805

Beschwerde gegen eine die Einrichtung einer Betreuung ablehnenden Beschwerdeentscheidung

a) Gegen eine die Einrichtung einer Betreuung ablehnende Beschwerdeentscheidung ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde statthaft.b) Der persönlichen Anhörung des Betroffenen kommt auch in den Fällen, in denen sie nicht durch das Gesetz vorgeschrieben ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ), eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Zivilkammer 87 des Landgerichts Berlin vom 12. September 2013 zu Ziffer 1 (Zurückweisung der Beschwerde) aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Wert: 5.000 €

Normenkette:

FamFG § 26 ; FamFG § 34 Abs. 1 Nr. 2 ; FamFG § 70 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ;

Gründe

I.

Die Betroffene wendet sich dagegen, dass Amts- und Landgericht ihr die Bestellung eines Betreuers versagt haben.

Sie hat im November 2011 beantragt, eine Betreuung für sie zu errichten, weil sie unter seelischen und psychischen Erkrankungen leide und ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen könne.

In dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie vom August 2012 ist bei der Betroffenen eine depressiv-ängstliche Störung reaktiver Genese diagnostiziert worden, Anteile einer posttraumatischen Belastungsstörung könnten nicht ausgeschlossen werden. Die Betroffene sei hinsichtlich der Betreuung unentschlossen und zu einer freien Willensbildung in der Lage. Sie könne sich aufgrund ihrer psychischen Minderbelastbarkeit nicht mehr hinreichend um die Bereiche Vermögenssorge sowie Wohnungs- und Ämterangelegenheiten kümmern. Mit einer Zustandsbesserung sei zu rechnen.

Nachdem die Betroffene zu Anhörungsterminen nicht erschienen war, hat das Amtsgericht das Betreuungsverfahren eingestellt, weil die Bestellung einer Betreuungsperson nicht erforderlich sei. Die Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht ohne weitere Ermittlungen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Betroffenen.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung seien nicht gegeben. Es sei angesichts der Ausführungen des Sachverständigen schon nicht sicher feststellbar, ob die medizinischen Voraussetzungen vorlägen. Das könne aber offen bleiben, weil es jedenfalls an der Erforderlichkeit "einer Betreuung in dem erstinstanzlich zuletzt beantragten und daher im Rahmen des Beschwerdeverfahrens allein gegenständlichen Umfang (Gesundheitsvorsorge, Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten)" fehle. Die Betroffene sei weiterhin geschäftsfähig und könne einen freien Willen bilden. Letzteres stehe bereits einer Betreuung über den von der Betroffenen beantragten Umfang hinaus entgegen. Dass sich die Betroffene der Empfehlung des Sachverständigen zum Betreuungsumfang anschließe, habe sie nicht erklärt. Eine Gesundheitsfürsorge sei nicht erforderlich, weil bei der Betroffenen Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft vorlägen. Der Aufgabenkreis Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten gehe ohne einen anderen zugleich übertragenen Aufgabenkreis ins Leere.

2. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig.

Insbesondere ist sie gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG auch ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft, obwohl vorliegend die Einrichtung einer Betreuung abgelehnt worden ist (vgl. MünchKommFamFG/ Fischer 2. Aufl. § 70 Rn. 30; Joachim in Bahrenfuss FamFG 2. Aufl. § 70 Rn. 11; Bork/Jacoby/Schwab/Müther FamFG 2. Aufl. § 70 Rn. 25.1). Der Gesetzgeber wollte zwar mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG eine weitere Überprüfungsinstanz ohne Zulassungsvoraussetzungen für die Fälle zur Verfügung stellen, bei denen in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingegriffen wird (vgl. BT-Drucks. 16/9733 S. 290). Die Vorschrift, die für alle von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfassten Verfahren gilt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Mai 2011 - XII ZB 671/10 FamRZ 2011, 1143 Rn. 7 f. und vom 29. Juni 2011 - XII ZB 65/11 FamRZ 2011, 1393 Rn. 6 f.) und neben Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers auch solche zur Aufhebung einer Betreuung nennt, ordnet die zulassungsfreie Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde aber gleichwohl unabhängig davon an, ob nach der Beschwerdeentscheidung eine Betreuung besteht. Dies belegt auch der Umkehrschluss aus § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG , der nur für Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen die Statthaftigkeit davon abhängig macht, dass eine (positive) Anordnung erfolgt ist.

3. Die angegriffene Entscheidung hält den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand.

a) Unzutreffend ist - wie die Rechtsbeschwerde mit Recht rügt - bereits der Ausgangspunkt des Landgerichts, die Betroffene habe ihren Antrag auf die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge und der Vertretung gegenüber Behörden und Gerichten beschränkt.

Weder aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses noch aus dem weiteren Inhalt der Betreuungsakten ergibt sich, welcher Äußerung der Betroffenen ein entsprechend eingegrenzter Antragsinhalt entnommen werden könnte. Vielmehr hat die Betroffene in ihrem verfahrenseinleitenden Schreiben vom 11. November 2011 beantragt, "ein Betreuungsverfahren über mich zu errichten und zwar umfangreich". Mit Faxschreiben vom 23. November 2011 hat sie dann erklärt, sie "brauche eine umfassende Betreuung insbesondere für die Gesundheitsvorsorge, Vertretung gegenüber Behörden u. Gerichten". Das Begehren der Betroffenen war mithin von Anfang an offen ausgestaltet und hat auch durch den "insbesondere"-Zusatz keine Einschränkung erfahren, die die Rechtsauffassung des Landgerichts tragen könnte. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Betroffene dem Sachverständigen von massiven finanziellen Problemen und dem Problem der Wohnungskündigung berichtet hat sowie davon, dass sie mit beiden nicht zurechtkomme. Damit sind von ihr selbst andere als die vom Landgericht allein in den Blick genommenen Aufgabenkreise angesprochen.

Wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, hat die Betroffene zudem gegenüber dem Sachverständigen erklärt, bezüglich der Frage einer Betreuung unentschlossen zu sein und eine Entscheidung bis zum Zeitpunkt einer richterlichen Anhörung treffen zu wollen. Zu einer solchen Anhörung ist es jedoch nicht gekommen. Die Betroffene hat aber mit Schreiben vom 8. November 2012 und damit nach Gutachtenserstellung mitgeteilt, eine Betreuung sei ihrer Meinung nach erforderlich. Damit hat sie ebenso wie durch die Beschwerde gegen die amtsgerichtliche Entscheidung, das Betreuungsverfahren ohne Bestellung eines Betreuers einzustellen, hinreichend dokumentiert, bei ihrem ursprünglichen Antrag bleiben zu wollen.

Das Landgericht durfte daher nicht von einem eingeschränkten Beschwerdegegenstand ausgehen, sondern hätte gemäß § 26 FamFG von Amts wegen die erforderlichen Ermittlungen zum Vorliegen der Betreuungsvoraussetzungen gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB , zur Frage des freien Willens im Sinn des § 1896 Abs. 1a BGB und zur Erforderlichkeit einer Betreuung gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB durchführen müssen.

b) Der angefochtene Beschluss ist darüber hinaus wie die Rechtsbeschwerde mit Erfolg geltend macht auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht unter Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen abgesehen hat.

aa) Zwar ordnet § 278 Abs. 1 Satz 1 FamFG , der gemäß § 293 Abs. 1 FamFG für die Erweiterung und gemäß § 295 Abs. 1 Satz 1 FamFG für die Verlängerung der Betreuung entsprechend anwendbar ist, eine persönliche Anhörung nur vor der Bestellung eines Betreuers für den Betroffenen an. Damit ist aber nicht die Aussage verbunden, dass es einer Anhörung dann, wenn es nicht zur Betreuerbestellung kommt, generell nicht bedarf. Die persönliche Anhörung dient nicht nur der Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. § 34 Abs. 1 Nr. 1 FamFG ), sondern hat - wie sich auch aus § 278 Abs. 1 Satz 2 FamFG ergibt - vor allem den Zweck, dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen (Senatsbeschluss vom 6. November 2013 - XII ZB 650/12 [...] Rn. 13; vgl. auch BT-Drucks. 11/4528 S. 172 sowie Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 278 Rn. 2; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann FamFG 4. Aufl. § 26 Rn. 24; Bienwald in Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 278 FamFG Rn. 18). Ihr kommt damit auch in den Fällen, in denen sie nicht durch Gesetz vorgeschrieben ist (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 FamFG ), eine zentrale Stellung im Rahmen der gemäß § 26 FamFG in einem Betreuungsverfahren von Amts wegen durchzuführenden Ermittlungen zu (vgl. Grabow in Holzer FamFG § 278 Rn. 4). Dies gilt auch bei einem Eigenantrag des Betroffenen auf Betreuungserrichtung. Wird dieser ohne die erforderlichen Ermittlungen, zu denen regelmäßig auch eine persönliche Anhörung gehören wird, abgelehnt, so wird dem Betroffenen der ihm durch das Betreuungsrecht gewährleistete Erwachsenenschutz (vgl. hierzu Lipp FamRZ 2013, 913, 917 f.) ohne ausreichende Grundlage entzogen.

bb) Über Art und Umfang dieser Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch unter anderem nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Senatsbeschluss vom 21. November 2012 XII ZB 114/12 FamRZ 2013, 287 Rn. 8).

Dieser Nachprüfung hält die Entscheidung, von einer persönlichen Anhörung abzusehen, nicht stand. Das Landgericht hat dieser als tragende Erwägung die Einschätzung des Sachverständigen zugrunde gelegt, die Betroffene sei weiterhin geschäftsfähig und zur freien Willensbildung im Hinblick auf die Ablehnung einer Betreuung in der Lage. Mit Blick auf die seit der Begutachtung verstrichene Zeit hat es aber andererseits für nicht gesichert gehalten, dass die Feststellungen des Sachverständigen zum gesundheitlichen Zustand der Betroffenen noch zutreffen. Schon angesichts dessen hätte es vorliegend jedenfalls einer in erster Instanz nicht erfolgten persönlichen Anhörung bedurft, um sich einen persönlichen Eindruck von der Betroffenen zu verschaffen und zu einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Entscheidung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Betroffene einer Betreuung bedarf, zu gelangen (vgl. auch OLG Zweibrücken FamRZ 2009, 1180 ; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 278 Rn. 3; Bork/Jacoby/Schwab/Heiderhoff FamFG 2. Aufl. § 278 Rn. 2).

4. Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zur Nachholung der bislang unterbliebenen Feststellungen zurückzuverweisen. Dabei sollte das Landgericht sich zweckmäßiger Weise im Rahmen einer persönlichen Anhörung vorab einen unmittelbaren Eindruck von der Betroffenen verschaffen und - soweit möglich - im Gespräch mit dieser klären, inwieweit sie nach wie vor eine Betreuung für sich beantragt, um dann eventuelle weitere Verfahrens- und Ermittlungsschritte festlegen zu können.

5. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Vorinstanz: AG Berlin-Charlottenburg, vom 28.05.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 58 XVII 84/11
Vorinstanz: LG Berlin, vom 12.09.2013 - Vorinstanzaktenzeichen 87 T 197/13
Fundstellen
FGPrax 2014, 116
MDR 2014, 612
NJW-RR 2014, 773