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BGH - Entscheidung vom 19.02.2014

I ZB 70/12

Normen:
GVG § 191a Abs. 2
ZMV § 3
ZMV § 4 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 19.02.2014 - Aktenzeichen I ZB 70/12

DRsp Nr. 2014/6436

Anspruch einer blinder oder einer sehbehinderten Person auf Zugänglichmachung eines Beschlusses oder einer Kostenrechnung in Blindenkurzschrift

Tenor

Die Erinnerung des Beklagten zu 2 gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. November 2013 wird zurückgewiesen.

Normenkette:

GVG § 191a Abs. 2 ; ZMV § 3; ZMV § 4 Abs. 1;

Gründe

I. Der Beklagte zu 2 möchte mit seiner Erinnerung erreichen, dass ihm ein Beschluss und eine Kostenrechnung des Bundesgerichtshofs in Blindenkurzschrift zugänglich gemacht werden, die in einem Rechtsbeschwerdeverfahren ergangen sind. Das Rechtsbeschwerdeverfahren ist aus einem Rechtsstreit hervorgegangen, in dem die Klägerin gegenüber den Beklagten einen Zahlungsanspruch auf der Grundlage eines mit der Beklagten zu 1 abgeschlossenen Vertrages geltend gemacht hat. Die Beklagte zu 1 ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Beklagten zu 2 und 3 sind deren Gesellschafter. Der Beklagte zu 2 ist blind. Er ist nach der internen Geschäftsverteilung für die kaufmännischen Angelegenheiten und damit auch für die mit der finanziellen Abwicklung von Verträgen verbundenen Streitigkeiten zuständig. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Dagegen haben die Beklagten Berufung eingelegt.

Der Beklagte zu 2 hat im Berufungsverfahren beantragt, alle Prozessunterlagen auch der II. Instanz sowohl in Klarschrift wie auch in jeweils einer Ausfertigung in Blindenschrift an seine Prozessbevollmächtigten II. Instanz zu übermitteln. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 mit Beschluss vom 10. Januar 2013 zurückgewiesen (I ZB 70/12, NJW 2013, 1011 ) und dem Beklagten zu 2 am 1. März 2013 die Kosten des Verfahrens in Rechnung gestellt.

Mit Schreiben vom 11. und 12. März 2013 hat der Beklagte zu 2 beantragt, ihm den Senatsbeschluss vom 10. Januar 2013 und die Kostenrechnung vom 1. März 2013 in Blindenkurzschrift zu übermitteln. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat diese Anträge mit Schreiben vom 22. November 2013 zurückgewiesen.

II. Der Urkundsbeamte hat angenommen, der Beklagte zu 2 habe keinen Anspruch auf Zugänglichmachung der Dokumente in Blindenschrift. Zum einen sei er aufgrund ihm zur Verfügung stehender technischer Hilfsmittel dazu in der Lage, sich die in Rede stehenden Schriftstücke in Blindenschrift oder auch akustisch selbst zugänglich zu machen. Zum anderen sei er im Rechtsbeschwerdeverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten und der Streitstoff so übersichtlich, dass er ihm durch den Rechtsanwalt gut vermittelbar sei.

III. Die statthafte (§ 573 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO ) und auch sonst zulässige (§ 573 Abs. 1 Satz 2 und 3 , § 569 Abs. 1 Satz 1 und 2 , Abs. 2 ZPO ) Erinnerung ist nicht begründet.

1. Eine blinde oder sehbehinderte Person kann gemäß § 191a Abs. 1 Satz 1 GVG nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 191a Abs. 2 GVG verlangen, dass ihr die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist. Die auf der Grundlage des § 191a Abs. 2 GVG erlassene Verordnung zur barrierefreien Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen in gerichtlichen Verfahren (Zugänglichmachungsverordnung - ZMV) bestimmt, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise einer blinden oder sehbehinderten Person die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente und die von den Parteien zu den Akten gereichten Dokumente zugänglich gemacht werden, sowie ob und wie diese Person bei der Wahrung ihrer Rechte mitzuwirken hat. Nach § 4 Abs. 1 ZMV besteht der Anspruch auf Zugänglichmachung, soweit der berechtigten Person dadurch der Zugang zu den ihr zugestellten oder formlos mitgeteilten Dokumenten erleichtert und sie in die Lage versetzt wird, eigene Rechte im Verfahren wahrzunehmen. Gemäß § 5 Satz 1 ZMV ist die berechtigte Person verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihres Anspruchs auf Zugänglichmachung im Rahmen ihrer individuellen Fähigkeiten und ihrer technischen Möglichkeiten mitzuwirken.

2. Danach kann der Beklagte zu 2 nicht beanspruchen, dass ihm der Senatsbeschluss vom 10. Januar 2013 und die Kostenrechnung vom 1. März 2013 in Blindenkurzschrift zugänglich gemacht werden.

a) Gemäß § 5 Satz 1 ZMV ist die berechtigte Person verpflichtet, bei der Wahrnehmung ihres Anspruchs auf Zugänglichmachung im Rahmen ihrer individuellen Fähigkeiten und ihrer technischen Möglichkeiten mitzuwirken. Diese Verpflichtung kann entgegen der Ansicht des Beklagten zu 2 nicht nur das in § 6 Satz 1 ZMV geregelte Wahlrecht der berechtigten Person zwischen den in § 3 ZMV genannten Formen der Zugänglichmachung einschränken (vgl. BGH, NJW 2013, 1011 Rn. 7; Zöller/Lückemann, ZPO , 30. Aufl., § 191a GVG Rn. 2), sondern auch dazu führen, dass kein Anspruch auf Zugänglichmachung besteht. Soweit es der berechtigten Person aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten und ihrer technischen Möglichkeiten möglich und zumutbar ist, sich die fraglichen Dokumente selbst zugänglich zu machen, kann sie nicht verlangen, dass ihr diese Dokumente zugänglich gemacht werden. So verhält es sich hier. Der Beklagte zu 2 ist aufgrund ihm zur Verfügung stehender technischer Hilfsmittel in der Lage, sich die in Rede stehenden Schriftstücke in Blindenschrift oder auch akustisch selbst zugänglich zu machen. Er handelt als Gesellschafter der Beklagten zu 1 mit modernen technischen Hilfsmitteln für Blinde wie Vorlesesystemen, Computern und Screenreadern. Es ist ihm möglich, diese Geräte auch selbst zu nutzen. Das ist ihm im vorliegenden Fall selbst dann zumutbar, wenn die Geräte zum Vermögen der Beklagten zu 1 gehören sollten; denn Gegenstand des Rechtsstreits, in dem der Beklagte zu 2 die Zugänglichmachung von Dokumenten begehrt, ist eine Forderung, die sich auch gegen die Beklagte zu 1 richtet, deren Gesellschafter die Beklagten zu 2 und 3 sind.

b) Ein Anspruch auf Zugänglichmachung von Dokumenten kann ferner bei einer anwaltlichen Vertretung der berechtigten Person ausgeschlossen sein, soweit gewährleistet ist, dass der anwaltliche Vertreter der berechtigten Person die in den Dokumenten enthaltenen Informationen so zu vermitteln vermag, dass eine zusätzliche Übermittlung der Dokumente durch das Gericht in einer für die berechtigte Person wahrnehmbaren Form zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren nicht erforderlich ist (vgl. BGH, NJW 2013, 1011 Rn. 10 mwN). Auch dies ist hier der Fall. Der Beklagte zu 2 hat nicht dargelegt, weshalb sein Rechtsanwalt nicht dazu willens oder imstande sein sollte, ihm den Inhalt des Senatsbeschlusses und der Kostenrechnung zu vermitteln. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Beklagte zu 2 aufgrund seiner individuellen Einsichtsfähigkeit nicht dazu in der Lage ist, den Sinngehalt der Dokumente bei einer nur mündlichen Vermittlung durch den anwaltlichen Vertreter zu erfassen. Auch aus diesem Grund ist eine zusätzliche Übermittlung dieser Dokumente in Blindenkurzschrift zur Wahrnehmung der Rechte des Beklagten zu 2 im Verfahren nicht erforderlich.

IV. Danach ist die Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zurückzuweisen.

Vorinstanz: AG Dresden, vom 15.09.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 112 C 7006/10
Vorinstanz: LG Dresden, vom 23.05.2012 - Vorinstanzaktenzeichen 8 S 596/11