Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 07.08.2014

3 StR 224/14

Normen:
StPO § 267 Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2014, 349

BGH, Urteil vom 07.08.2014 - Aktenzeichen 3 StR 224/14

DRsp Nr. 2014/13401

Anforderungen an die tragfähige Darlegung von Indizien in einem Strafverfahren

1. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Gangs der Hauptverhandlung.2. Das Abfassen unangemessen breiter Urteilsgründe ist weder durch § 267 StPO noch sachlichrechtlich geboten, da es, unabhängig von der vermeidbaren Bindung personeller Ressourcen beim Tatgericht, dazu geeignet sein kann, den Blick auf das Wesentliche zu verstellen und damit den Bestand des Urteils zu gefährden.3. So ist es regelmäßig nicht angebracht, Zeugenaussagen in umfänglicher Weise ohne Bezug zu Einzelheiten der Beweiswürdigung wiederzugeben; denn die bloße Wiedergabe des Beweisergebnisses ersetzt nicht dessen Würdigung.4. Entsprechendes gilt für die Ergebnisse von Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation.5. In den Urteilsgründen ist grundsätzlich zwischen den Feststellungen und der Beweiswürdigung zu trennen.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 23. Oktober 2013, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil in den Einzelstrafaussprüchen betreffend die Fälle B. I. 6 und 7 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die zweite Gesamtfreiheitsstrafe mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Normenkette:

StPO § 267 Abs. 1 S. 1;

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen unter jeweiliger Einbeziehung von Strafen aus Vorverurteilungen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen von fünf Jahren sowie von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt, Wertersatzverfall in Höhe von 17.000 € angeordnet sowie den Angeklagten im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten richtet sich mit materiell- und verfahrensrechtlichen Rügen gegen seine Verurteilung. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge die Strafzumessung in den Fällen B. I. 6 und 7 der Urteilsgründe. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

Nach den Feststellungen des Landgerichts entschloss sich der wegen begangener Betäubungsmittelstraftaten inhaftierte Angeklagte im Februar 2011, aus der Justizvollzugsanstalt heraus weiterhin Rauschgiftgeschäfte zu tätigen und vornehmlich Kokain zu verkaufen. Er gewann den gesondert verfolgten R. dafür, mit ihm in arbeitsteiligem Vorgehen die Geschäfte durchzuführen. Dem Angeklagten kam dabei die führende Position zu. Er bestimmte die einzukaufende Menge und die Preise für den Weiterverkauf, während R. entsprechend den Vorgaben des Angeklagten für die Entgegennahme, Bezahlung sowie den Absatz der Drogen verantwortlich war. In einzelnen Fällen nahm der Angeklagte auch direkt Kontakt zu potentiellen Abnehmern auf. Nach Absprache mit dem Angeklagten übernahm R. in der Zeit vom 19. Juli 2011 bis zum 26. September 2011 in fünf Fällen (Fälle B. I. 1 bis 5 der Urteilsgründe) von dem gesondert verfolgten S. jeweils 100 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils 31,5%. In zwei weiteren Fällen (Fälle B. I. 6 und 7 der Urteilsgründe) kaufte er am 4. und 13. Oktober 2011 von S. jeweils 200 Gramm Kokain mit demselben Wirkstoffgehalt.

I. Revision des Angeklagten

Das Rechtsmittel des Angeklagten dringt mit der Sachrüge durch; auf die Beanstandungen des Verfahrens kommt es deshalb nicht mehr an. Der Angeklagte rügt zu Recht, dass die Beweiswürdigung des Landgerichts materiellrechtlicher Prüfung nicht standhält. Den Urteilsgründen ist insbesondere auch in ihrem Gesamtzusammenhang nicht zu entnehmen, aufgrund welcher Erwägungen die Strafkammer sich ihre Überzeugung davon verschafft hat, dass der Angeklagte sich an jedem einzelnen der abgeurteilten Betäubungsmittelgeschäfte durch einen individuellen Tatbeitrag beteiligte.

1. Die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO ). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14, juris Rn. 8, mwN). Die schriftlichen Urteilsgründe müssen daher so sorgfältig und strukturiert abgefasst sein, dass die tatgerichtliche Entscheidung nachvollziehbar und einer revisionsrechtlichen Überprüfung anhand dieses Maßstabes zugänglich ist (BGH, Beschluss vom 13. November 2012 - 3 StR 364/12, NStZ-RR 2013, 78 , 79). Es ist zwar anzuerkennen, dass die Abfassung der Urteilsgründe stets auch Ausdruck individueller richterlicher Gestaltung und Bewertung sowie der in Spruchkörpern gewachsenen Erfahrung und Übung ist (so auch schon BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720 ). Aufgabe des Tatgerichts ist es jedoch, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden. Das Abfassen unangemessen breiter Urteilsgründe ist weder durch § 267 StPO noch sachlichrechtlich geboten, da es, unabhängig von der vermeidbaren Bindung personeller Ressourcen beim Tatgericht, dazu geeignet sein kann, den Blick auf das Wesentliche zu verstellen und damit den Bestand des Urteils zu gefährden (BGH, Beschluss vom 3. Februar 2009 - 1 StR 687/08, BGHR StPO § 267 Darstellung 2). Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht der Nacherzählung des Ablaufs der Ermittlungen oder der Dokumentation des Gangs der Hauptverhandlung. Die Annahme, es sei notwendig, das Revisionsgericht im Detail darüber zu unterrichten, welche Ergebnisse die im Hauptverhandlungsprotokoll verzeichneten Beweiserhebungen erbracht haben, ist verfehlt (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 - 2 StR 470/06, NStZ 2007, 720 ). So ist es regelmäßig nicht angebracht, Zeugenaussagen in umfänglicher Weise ohne Bezug zu Einzelheiten der Beweiswürdigung wiederzugeben; denn die bloße Wiedergabe des Beweisergebnisses ersetzt nicht dessen Würdigung (BGH, Beschluss vom 20. September 2000 - 3 StR 287/00, bei Becker, NStZ-RR 2001, 257, 264). Entsprechendes gilt für die Ergebnisse von Überwachungsmaßnahmen im Bereich der Telekommunikation.

2. Diesen Anforderungen wird das vorliegende Urteil nicht gerecht. Bereits die äußerst knappe, zum strafbaren Kerngeschehen nicht wesentlich über die Darlegungen in dem konkreten Anklagesatz der dem Verfahren zugrunde liegenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg hinausgehende Darstellung des festgestellten Sachverhalts unter der Ordnungsziffer B. I. wird mehrfach unterbrochen durch den jeweils mehrseitigen Einschub vollständig und wörtlich wiedergegebener Telefongespräche. Sodann folgen unter der Ordnungsziffer B. II. auf insgesamt 45 Seiten weitere, ebenfalls vollständig und wörtlich wiedergegebene Telefonate des Angeklagten mit R. , daneben aber auch etwa mit seiner damaligen Freundin, einem „T. “, einem „P. “ oder einer unbekannten weiblichen Person. Nach der Wiedergabe eines gegen R. ergangenen Urteils - ebenfalls in wörtlicher Form - und der mehrseitigen Dokumentation sonstiger Beweisergebnisse folgt im Abschnitt C. der Urteilsgründe die knappe eigentliche Beweiswürdigung. Die besonders bedeutsame Frage, in welcher Form der Angeklagte an den abgeurteilten Taten beteiligt war und welche Rolle ihm dabei zukam, hat die Strafkammer nur kursorisch abgehandelt. Dabei hat sie zunächst in einem, zu der konkreten Einbindung des Angeklagten in die einzelnen abgeurteilten Taten nichtssagenden Satz auf eine Aussage abgestellt, die R. als Zeuge in einem Verfahren vor der Staatsanwaltschaft Schwerin gemacht hatte. Diese Bekundung R. s sei - so das Landgericht - glaubhaft, weil sie Bestätigung durch die weiteren Beweisergebnisse erfahren habe. So belege die umfangreich durchgeführte Überwachung der Telekommunikation, dass der Angeklagte an R. s Taten beteiligt gewesen sei. Sodann hat die Strafkammer jedoch lediglich dargelegt, auf welche Weise sie sich die Überzeugung verschafft hat, dass der Angeklagte an den überwachten Gesprächen als Sprecher teilnahm. Es folgen kurze Hinweise insbesondere zum Gewinn des Angeklagten, zu einem Angebot an einen Käufer, das Rauschgift zu einem bestimmten Preis erwerben zu können, sowie schließlich zu einer Liste mit Namen von Personen, die dem Angeklagten Geld schuldeten. Einen näheren Bezug dieser Umstände zu den konkret abgeurteilten Taten hat das Landgericht nicht hergestellt.

Der Beweiswürdigung kann danach zwar möglicherweise noch ausreichend entnommen werden, dass der Angeklagte in Betäubungsmittelgeschäfte des R. eingebunden war; die konkret abgeurteilten Taten werden jedoch nicht belegt. Es fehlt vielmehr bezüglich der festgestellten Sachverhalte, welche die Strafbarkeit unmittelbar begründen - das mehrfache Handeltreiben mit Betäubungsmitteln durch deren Erwerb mit der Absicht, sie gewinnbringend weiter zu veräußern durch R. in Absprache mit dem Angeklagten -, an einer tragfähigen Darlegung, aufgrund welcher Indizien das Landgericht sich seine diesbezügliche, die Verurteilung tragende Überzeugung verschafft hat. Die Strafkammer hat weitestgehend das Beweisergebnis lediglich dargestellt, es aber nicht gewertet. Diese allein dem Tatgericht obliegende Würdigung kann der Senat nach Maßgabe der Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht nicht unter eigener Bewertung des ihm in den Urteilsgründen ausführlich unterbreiteten Beweisstoffs nachholen bzw. ersetzen. Nach alldem vermag der Senat sich der Auffassung des Generalbundesanwalts, die vom Landgericht getroffenen Feststellungen beruhten unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe auf einer im Ergebnis in sachlichrechtlicher Hinsicht revisionsrechtlich noch hinzunehmenden Beweiswürdigung, nicht anzuschließen.

3. Der aufgezeigte Rechtsfehler stellt einen sachlichrechtlichen Mangel des Urteils dar (KK-Kuckein, 7. Aufl., § 267 Rn. 12, 13), der im angefochtenen Umfang zu dessen Aufhebung zwingt. Auf die weiteren missverständlichen Formulierungen der Urteilsgründe, auf die der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift hingewiesen hat, kommt es demnach ebenso wenig an wie auf die aus den Gründen der Antragsschrift rechtsfehlerhafte Begründung der Entscheidung zum Wertersatzverfall.

4. Mit Blick auf die umfängliche Darstellung des Ergebnisses der Telekommunikationsüberwachung besteht Anlass, für das weitere Verfahren auf Folgendes hinzuweisen:

In den Urteilsgründen ist grundsätzlich zwischen den Feststellungen und der Beweiswürdigung zu trennen. Die Feststellungen müssen zunächst die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO . Darüber hinaus soll in den Feststellungen das enthalten sein, was zum Verständnis und zur Beurteilung der Tat notwendig ist. Die Indiztatsachen müssen nicht zusammen mit den Feststellungen zur Tat geschildert werden. Sie können auch im Rahmen der Beweiswürdigung festgestellt und belegt werden. Die Darstellungsweise richtet sich dabei nach den Erfordernissen im Einzelfall. Beruht die Überzeugung des Landgerichts aber auf einer Vielzahl von Indizien - wie hier auf Zeitpunkt und Inhalt zahlreicher Telefonate -, so ist es im Interesse der Verständlichkeit des Urteils dringend angezeigt, diese Indizien im Rahmen der Beweiswürdigung abzuhandeln. Dies vermeidet eine umfangreiche, das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund drängende Darstellung von zuerst mehr oder minder belanglos erscheinenden Umständen und stellt zudem sicher, dass nur solche Umstände Erwähnung im Urteil finden, die in der Beweiswürdigung eine Rolle spielen (vgl. schon BGH, Beschluss vom 14. Juli 2005 - 3 StR 238/05, BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Sachdarstellung 14).

II. Revision der Staatsanwaltschaft

Das in zulässiger Weise auf den Strafausspruch in den Fällen B. I. 6 und 7 der Urteilsgründe und die zweite Gesamtstrafe beschränkte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist ebenfalls begründet. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht in den genannten Fällen einen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG bejaht hat, enthalten nicht die erforderliche Gesamtwürdigung und sind deshalb rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat in den Fällen B. I. 6 und 7 der Urteilsgründe auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr erkannt. Beide Strafen hat es dem Sonderstrafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG entnommen und zur Begründung ausgeführt, es liege jeweils ein minder schwerer Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vor, auch wenn jeweils 200 Gramm Kokain Gegenstand der Taten gewesen seien. Mit beträchtlichem Gewicht, welches die Wahl des Sonderstrafrahmens rechtfertige, sei indessen zu bedenken gewesen, „dass in Fall 6. drei Viertel und in Fall 7. gar die gesamte gehandelte Menge sichergestellt werden konnte“.

Ein minder schwerer Fall liegt dann vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem solch erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Ob dies der Fall ist, ist auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, bei der alle Umstände heranzuziehen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen. Eine Bewertung nur des engeren Tatgeschehens reicht ebenso wenig aus wie das bloße Herausgreifen von Einzelaspekten (st. Rspr.; vgl. etwa Weber, BtMG , 4. Aufl., Vor §§ 29 ff. Rn. 743 ff. m. zahlr. w. N.).

Entgegen diesen Vorgaben hat die Strafkammer sich darauf beschränkt, insbesondere mit der vollständigen bzw. teilweisen Sicherstellung der Betäubungsmittel nur einen Teil der für die Strafzumessung bestimmenden Gesichtspunkte anzuführen. Dies reicht hier nicht aus. Über die Ausführungen des Landgerichts hinaus in die Gesamtbewertung einzustellen gewesen wären etwa der Umstand, dass der Angeklagte kurz vor Begehung der Taten wegen sonstiger Betäubungsmitteldelikte verurteilt worden war, er die Taten aus der Haft heraus beging sowie die Bedeutung seiner Tatbeiträge.

Demnach können die in den Fällen B. I. 6 und 7 verhängten Einzelstrafen keinen Bestand haben. Dies hat die Aufhebung der zweiten Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten, in die diese Einzelstrafen eingeflossen sind, zur Folge. Deshalb bedarf es keiner näheren Bewertung, dass die Strafkammer bei der Bemessung dieser Gesamtfreiheitsstrafe die in den Fällen B. I. 4 und 5 verhängten Einzelstrafen nicht aufgeführt hat.

Fundstellen
NStZ-RR 2014, 349