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BVerfG - Entscheidung vom 04.10.2011

2 BvR 862/10

Normen:
GG Art. 12a Abs. 2 S. 3
GG Art. 4 Abs. 3
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 2
SG § 46 Abs. 6
SG § 55 Abs. 3
GG Art. 12a Abs. 2 S. 3
GG Art. 4 Abs. 3
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1-2
SG § 46 Abs. 6
SG § 55 Abs. 3
GG Art. 12a Abs. 2 S. 3

BVerfG, Beschluss vom 04.10.2011 - Aktenzeichen 2 BvR 862/10

DRsp Nr. 2022/8193

Mangelnde Rechtswegerschöpfung bei Verfassungsbeschwerde eines Sanitätsoffiziers auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer

Die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Qualifikation des Sanitätsdienstes als waffenloser Dienst datiert überwiegend aus den 1980er und frühen 1990er Jahren und ist vor dem Hintergrund einer völlig anderen politischen und rechtlichen Lage als heute ergangen, daher ist eine andere Bewertung durch die Fachgerichte nicht offensichtlich ausgeschlossen.

Normenkette:

GG Art. 12a Abs. 2 S. 3;

[Gründe]

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die vorläufige Zurückweisung eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer.

I.

1. Der Beschwerdeführer trat im Juli 2000 als Reserveoffiziersanwärter in ein Sanitätsregiment der Bundeswehr ein. Im Jahr2001 durchlief er eine Umschulung zum Sanitätsoffizier und war ab September 2008 im Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenztätig. Im März 2010 wurde er zum Sanitätsführungskommando nach Koblenz versetzt.

2. Mit Antrag vom 18. Januar 2010 beantragte der Beschwerdeführer die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. Er trug vor,er habe am 19. Januar 2010 einen Antrag auf Entlassung aus dem Dienstverhältnis als Soldat gemäß § 46 Abs. 6, § 55 Abs. 3SG gestellt.

Mit Bescheid vom 9. Februar 2010 lehnte das Bundesamt für den Zivildienst den Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigererals unzulässig ab. Zur Begründung führte die Behörde aus, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Sanitätsoffiziere,die sich freiwillig zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet haben und nur Sanitätsdienst leisten, kein Rechtsschutzbedürfnisfür die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bestehe.

3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 24. Februar 2010 Widerspruch. Diesen wies das Bundesamt für den Zivildienstmit Widerspruchsbescheid vom 16. März 2010 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts als unbegründetzurück. Zur Begründung führte es aus, dass es dem Beschwerdeführer bis zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Dienst auf eigenenAntrag am Rechtsschutzbedürfnis fehle.

4. Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Beschwerdeführer am 21. April 2010 Klage vor dem Verwaltungsgericht. Diese wiesdas Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Januar 2011 unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtsals unzulässig ab. Das Gericht führte aus, dass nach der durchgeführten Beweisaufnahme dem Beschwerdeführer kein Einsatz ineinem Kriegsgebiet drohe, da für ihn eine Verwendung bis ins Jahr 2013 beim Sanitätsführungskommando vorgesehen sei. In derdortigen Verwendung bestehe nicht einmal im Ansatz die Gefahr einer Tätigkeit im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Einsatzvon Kriegswaffen. Somit fehle es derzeit am Rechtsschutzbedürfnis für die vorweggenommene Anerkennung als Kriegsdienstverweigererbei noch bestehendem Soldatenverhältnis. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde nicht zugelassen.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Ausgangsbescheid, den Widerspruchsbescheidsowie das verwaltungsgerichtliche Urteil. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG , Art. 3 Abs. 1 GG , Art. 4 Abs. 3 GG und Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG sowie Art. 19 Abs. 4 GG .

a) Dass ihn die zuständige Behörde und das Verwaltungsgericht zunächst ohne Entscheidung in der Sache auf die Entlassung ausdem Dienstverhältnis auf eigenen Antrag hin verweisen, verkenne die Tragweite der Grundrechte aus Art. 4 Abs. 3 GG in Verbindungmit Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG , da die vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Beschränkung des Rechtsschutzbedürfnisses nichtins Grundgesetz Eingang gefunden habe. Ebenso liege eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes vor, wenn Sanitätssoldaten,anders als die übrigen Zeit- und Berufssoldaten, erst nach ihrer Entlassung aus dem Dienst das Anerkennungsverfahren betreibenkönnten.

b) Weiterhin liege eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG in Gestalt der Versagung eines effektiven Rechtsschutzes dergestaltvor, dass ohne sachliche Rechtfertigung die Durchführung und der Abschluss des Entlassungsverfahrens aus dem Soldatendienstnotwendige Voraussetzung des Anerkennungsverfahrens als Kriegsdienstverweigerer sein soll.

c) Schließlich sei Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt, nachdem die angegriffenen Bescheide unddas Urteil ohne verfassungsrechtliche oder gesetzliche Grundlage im Falle eines Sanitätssoldaten den praktischen Gebrauchseines Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG und zugleich auch sein Selbstverwirklichungsrecht einschränken würden.

2. Die Erschöpfung des Rechtsweges sei unzumutbar, da die gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von denVerwaltungsgerichten übernommen worden sei und daher auch in seinem Fall mit keiner abweichenden Entscheidung bis hin zu einermöglichen Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu rechnen wäre. Vor dem Hintergrund des besonderen Beschleunigungsgebotsbei Verfahren über Kriegsdienstverweigerung sei ein Abwarten der erwartbaren "verwaltungsgerichtlichen Laufzeiten" nicht hinnehmbar.

3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen für eine notwendige Annahme (§ 93aAbs. 2 BVerfGG ) liegen nicht vor; die Annahme ist auch im Übrigen nicht angezeigt.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Beschwerdeführer den fachgerichtlichen Rechtsweg nicht erschöpft hat undeine sofortige Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtswegs nicht veranlasst ist (§ 90 Abs. 2 BVerfGG ).

Der Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist erst erschöpft, wenn der Beschwerdeführer keine Möglichkeit mehrhat, im Verfahren vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweigs eine Beseitigung der geltend gemachten Beschwer zu erlangen(vgl. BVerfGE 8, 222 <225 f.>). Entscheidend ist hierbei, ob der Beschwerdeführer im Ergebnis mit seinem Begehren noch Erfolghaben könnte (vgl. BVerfGE 8, 222 <225 f.>; 78, 58 <68>).

Im vorliegenden Verfahren sind die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht erfüllt, da der Beschwerdeführer gegendas ergangene verwaltungsgerichtliche Urteil und die dortige Nichtzulassung der Revision Beschwerde zum Bundesverwaltungsgerichterheben konnte.

Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Unzumutbarkeit des Abwartens eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens im Sinne des§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ist nicht gegeben.

Dringende Gründe, welche die Erschöpfung des Rechtswegs als unzumutbar erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. Das giltnamentlich mit Blick auf die vom Beschwerdeführer angeführte gefestigte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Qualifikationdes Sanitätsdienstes als waffenloser Dienst (vgl. BVerwGE 72, 241 <242 ff.>; 80, 62 <63 ff.>; BVerwG, Urteil vom 20. Dezember1988 - 6 C 38/87 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 11, S. 17 f.; Urteil vom 10. Februar 1989 - 6 C 9/86 -, Buchholz 448.6 §14 KDVG Nr. 21, S. 12; Urteil vom 28. März 1990 - 6 C 45/88 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 16, S. 28 ff.; Urteil vom 3. April1990 - 6 C 30/88 -, juris; Urteil vom 22. August 1994 - 6 C 14/92 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 17, S. 2 ff.; Urteil vom28. August 1996 - 6 C 2/95 -, Buchholz 448.6 § 13 KDVG Nr. 19, S. 7 ff.; Beschluss vom 3. Juli 1996 - 2 B 80/96 -, NZWehrr1996, S. 217 <218>). Diese Rechtsprechung datiert überwiegend aus den 1980er und frühen 1990er Jahren und ist vor dem Hintergrundeiner völlig anderen politischen und rechtlichen Lage als heute ergangen. Zwar hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichtsin einem Beschluss vom 20. November 2009 auf diese Rechtsprechung Bezug genommen; dies geschah jedoch, weil die dortige Beschwerdeführerinaus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts keine neuen Gesichtspunkte aufgezeigt hatte, die eine andere Beurteilung hätten rechtfertigtenkönnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. November 2009 - 6 B 24/09 -, NVwZ-RR 2010, S. 156 f.). Daraus kann nicht geschlossenwerden, dass eine andere Bewertung durch die Fachgerichte auch im vorliegenden Fall offensichtlich ausgeschlossen wäre (vgl.BVerfGE 68, 376 <380 f.>).

2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: VG Koblenz, vom 25.01.2011 - Vorinstanzaktenzeichen 7 K 468/10 KO