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BVerfG - Entscheidung vom 24.09.2011

2 BvC 15/10

Normen:
GG Art. 38 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 24 S. 2
BVerfGG § 48
BWahlG § 6 Abs. 5 S. 2
BWahlG § 6 Abs. 6 S. 1 Alt 1
GG Art. 38 Abs. 1 S. 1
BVerfGG § 24 S. 2
BVerfGG § 48
BWahlG § 6 Abs. 5 S. 2
BWahlG § 6 Abs. 6 S. 1 Alt. 1
GG Art. 38 Abs. 1 S. 1

BVerfG, Beschluss vom 24.09.2011 - Aktenzeichen 2 BvC 15/10

DRsp Nr. 2022/8216

Einräumung einer Möglichkeit zur Stimmabgabe mit "Nein" oder zur Enthaltung bei einer Bundestagswahl

1. Ein Anspruch auf Einräumung der Möglichkeit zur Abgabe einer Neinstimme oder einer Stimmenthaltung auf dem Stimmzettel zur Bundestagswahl lässt sich aus dem Grundsatz der Freiheit der Wahl nicht ableiten.2. Die Regelung des § 6 Abs. 5 S. 2 BWahlG ist grundsätzlich verfassungsgemäß.3. Die Regelung des § 6 Abs. 6 S. 1 Alt. 1 BWahlG ist verfassungsgemäß.

Normenkette:

GG Art. 38 Abs. 1 S. 1;

[Gründe]

A.

Der Beschwerdeführer hat die Gültigkeit der Wahl zum 17. Deutschen Bundestag mit der Begründung angefochten, ihm sei es verwehrtworden, auf dem Stimmzettel mit "Nein" zu stimmen oder sich seiner Stimme zu enthalten. Zudem entspreche die Anzahl der Sitzeim neu gewählten Deutschen Bundestag nicht dem Anteil der bei der Wahl abgegebenen Stimmen und über die Besetzung von ungefährder Hälfte aller Bundestagssitze sei nicht durch das Volk entschieden worden, sondern durch die Parteien nach Landeslisten.

B.

Die Wahlprüfungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet.

I.

Der Berichterstatter hat dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 14. Juni 2011 zu seiner die Gestaltung der Stimmzettel betreffendenRüge mitgeteilt:

"Die hierfür maßgeblichen Regelungen dürften verfassungsgemäß sein.

Das Grundgesetz schreibt in Art. 38 für das Bundeswahlrecht lediglich vor, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestagesin allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen sind (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG ), und legt darüberhinaus in Art. 38 Abs. 2 das Wahlalter für das aktive und passive Wahlrecht fest. Im Übrigen überlässt es die Ausgestaltungdes Wahlrechts einem Bundesgesetz (Art. 38 Abs. 3 GG ). Dem Bundesgesetzgeber ist insoweit ein weiter Gestaltungsspielraumgewährt. Das Bundesverfassungsgericht prüft nur nach, ob der Gesetzgeber sich in den Grenzen des ihm vom Grundgesetz eingeräumtenGestaltungsspielraums gehalten oder ob er durch Überschreitung dieser Grenzen gegen einen verfassungskräftigen Wahlgrundsatzverstoßen hat. Dagegen ist es nicht Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Gesetzgeber innerhalb seines Ermessensbereichszweckmäßige oder rechtspolitisch erwünschte Lösungen gefunden hat (vgl. BVerfGE 3, 19 <24 f.>; 3, 383 <394>; 5, 77 <81>; 59,119 <124 f.>).

Danach dürfte die Gestaltung der Stimmzettel auch nach dem Grundsatz der Freiheit der Wahl verfassungsrechtlich unbedenklichsein. Dem Deutschen Bundestag ist darin zuzustimmen, dass es dem Wahlbürger freisteht, beide Stimmen, nur eine oder auch keineStimme abzugeben, ein Stimmensplitting vorzunehmen oder die Erst- und/oder Zweitwahl bewusst ungültig vorzunehmen. Ein Anspruchauf Einräumung der Möglichkeit zur Abgabe einer Neinstimme oder einer Stimmenthaltung auf dem Stimmzettel lässt sich aus demGrundsatz der Freiheit der Wahl indes nicht ableiten.

Die von Ihnen gewünschte Gestaltung wäre zudem - worauf Sie der Bundestag ebenfalls zutreffend hingewiesen hat - zweckwidrig,weil es bei der Bundestagswahl darum geht, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages positiv zu bestimmen. Für die Mandatsverteilungim Bundestag ist es aber unerheblich, wie groß der Anteil von Stimmenthaltungen oder "Nein"-Stimmen an der Gesamtzahl derungültigen Stimmen ist.

Die in § 39 des Bundeswahlgesetzes verwendete Formulierung "ungültig" besagt zwar inhaltlich nur, dass die Stimme nicht gezähltwird. Das mag sprachlich nicht voll befriedigen, ist aber aus wahltechnischen Überlegungen gerechtfertigt. Wollte man überdie Differenzierung zwischen gültigen und ungültigen Stimmen hinaus weitere Unterscheidungen einführen, wären nicht nur Ermittlungenund Feststellungen zur Zahl der Nichtwähler und der Wähler, die nicht gewählt haben, zu treffen, sondern darüber hinaus auchzur Zahl derjenigen Wähler, die nur die Erststimme, nur die Zweitstimme oder überhaupt keine Stimme abgegeben haben, um dannfür diese Gruppen jeweils gesondert festzustellen, dass hier der Zählwert der Stimmen null ist. Diese Vorgehensweise verkompliziertedas ohnehin schon aufwendige und schwierige Verfahren der Auszählung und Feststellung des Wahlergebnisses zusätzlich. Dasssich nach der geltenden Rechtslage nicht erkennen lässt, aus welchen inhaltlichen Gründen die nicht abgegebene Stimme alsungültig erachtet worden ist, wiegt dagegen weniger schwer."

Die Stellungnahme des Beschwerdeführers dazu gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

II.

Die weiteren Rügen betreffen Wahlrechtsnormen, deren Verfassungsgemäßheit das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellthat.

Der Umstand, dass die Anzahl der Sitze im neu gewählten Bundestag nicht dem Anteil der abgegebenen Stimmen entspricht, lässtsich auf die entstandenen Überhangmandate (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG) und auf die Fünf-Prozent-Sperrklausel des § 6 Abs.6 Satz 1 BWahlG zurückführen. Das Bundesverfassungsgericht erachtet die Regelung des § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG grundsätzlichals verfassungsgemäß (BVerfGE 95, 335 ). Das Gericht hat dem Gesetzgeber zwar aufgegeben, Aspekte des Regelungskomplexes, zudem § 6 Abs. 5 Satz 2 BWahlG gehört, neu zu regeln, hierbei aber ausdrücklich betont, es könne ausnahmsweise hingenommen werden,dass die Sitze im kommenden 17. Deutschen Bundestag noch nach der geltenden Rechtslage zugeteilt werden (BVerfGE 121, 266<316>; 122, 304 <311 f.>). Als verfassungskonform beurteilt das Bundesverfassungsgericht auch das in § 6 Abs. 6 Satz 1 Alternative1 BWahlG vorgesehene Quorum von 5 vom Hundert der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen, das eine Partei erreichenmuss, um bei der Verteilung der Bundestagssitze auf die Landeslisten berücksichtigt zu werden (vgl. BVerfGE 1, 208 <247 ff.>;95, 335 <366>; 122, 304 <314 f.>).

Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schließlich nicht gegen denAusschluss von Landeslisten parteiloser Kandidaten (BVerfGE 5, 77 <82>; 46, 196 <199>) und die Verhältniswahl nach "starren"Listen (stRspr; vgl. BVerfGE 122, 304 <314 f.>).

Der Beschwerdeführer hat hierzu keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtsnahelegten.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 24 Satz 2 BVerfGG abgesehen.