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BGH - Entscheidung vom 14.07.2011

V ZB 187/10

Normen:
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5

BGH, Beschluss vom 14.07.2011 - Aktenzeichen V ZB 187/10

DRsp Nr. 2011/14517

Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Haftanordnung zwecks Abschiebung eines nigerianischen Staatsangehörigen wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz ( AufenthG )

1. Sicherungshaft darf nicht angeordnet werden, wenn der Haftantrag unzulässig war.2. Das Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG muss im Zeitpunkt der Haftanordnung vorliegen. Fehlen in dem Haftantrag Ausführungen dazu, obwohl sich aus dem Antrag selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ergibt, dass die öffentliche Klage erhoben worden ist oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird, ist der Haftantrag unzulässig. Dieser Verfahrensmangel kann durch die spätere Erteilung des Einvernehmens nicht rückwirkend und für die Zukunft nur unter der Voraussetzung geheilt werden, dass die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um Darlegungen zu dem nunmehr vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung Stellung nehmen kann.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 24. Juni 2010 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 16. Februar 2010 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die B. trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen aller Instanzen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5;

Gründe

I.

Die Betroffene, eine nigerianische Staatsanghörige, reiste am 11. Januar 2010 mit dem Flugzeug von Italien nach Deutschland mit einem nigerianischen Reisepass, einer italienische Identitätskarte und einer Aufenthaltserlaubnis für Italien ein. Sie ist mit einem italienischen Staatsbürger verheiratet. Am 15. Februar 2010 wurde sie von der Polizei in einem Bordell in B. , in dem sie als Prostituierte gearbeitet hatte, festgenommen und als Beschuldigte vernommen. Mit Verfügung der Beteiligten zu 2 vom 16. Februar 2010 wurde sie aus dem Gebiet der Bundesrepublik ausgewiesen und ihr die Abschiebung nach Italien, hilfsweise nach Nigeria, angedroht.

Mit Antrag vom 16. Februar 2010, dem das Protokoll über die Vernehmung der Betroffenen als Beschuldigte beigefügt war, hat die Beteiligte zu 2 Haft zur Sicherung der Abschiebung beantragt. Zu dem unter den Voraussetzungen des § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft verhält sich der Antrag nicht. Noch am selben Tag hat das Amtsgericht dem Antrag stattgegeben. In dem die Haft anordnenden Beschluss heißt es u.a., es sei gerichtsbekannt, dass die Staatsanwaltschaft mit Blick auf das "wohl ausschließlich laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das AufenthG " ihr Einvernehmen mit der Abschiebung erklären werde. Dies stehe einer "vorweggenommenen Inhaftierung" jedoch nicht entgegen.

Auf die Beschwerde der Betroffenen, mit der diese zugleich die Feststellung beantragt hat, dass die Anordnung der Abschiebungshaft von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, hat das Amtsgericht die Haftanordnung aufgehoben und die sofortige Entlassung der Betroffenen aus der Haft angeordnet. Dem Feststellungsantrag hat es nicht stattgegeben und die Beschwerde insoweit dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der die Betroffene ihren Feststellungsantrag weiter verfolgt.

II.

Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, dass die Freiheitsentziehung zu Recht angeordnet und bis zur Aufhebung der Haft aufrechterhalten worden ist.

III.

Die auch nach Erledigung der Haftanordnung gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthafte und auch im Übrigen nach § 71 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Betroffene ist in ihren Rechten verletzt. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil der Haftantrag unzulässig war.

1.

Ob ein zulässiger Haftantrag vorliegt, ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 , 211; Beschluss vom 9. Dezember 2010 - V ZB 136/10, [...] Rn. 6; jeweils mwN). Zu den unerlässlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört es nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG, dass die Antragsbegründung insbesondere Angaben zu den Voraussetzungen und zur Durchführbarkeit der Abschiebung enthält (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, InfAuslR 2011, 202, 203 Rn. 8 f.). Diesen Anforderungen wird der gestellte Antrag nicht gerecht.

Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft ausgewiesen und abgeschoben werden. Zwar kann das Einvernehmen auch allgemein erteilt werden (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, [...] Rn. 25; Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 - V ZB 49/10, [...] Rn. 8). Es muss jedoch - gleichgültig auf welche Weise es erteilt wird - im Zeitpunkt der Haftanordnung vorliegen (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574, 1575, Rn. 8; ebenso für die Zurückschiebung Senat, Beschluss vom 24. Februar 2011 - V ZB 202/10, [...] Rn. 13 ff.). Fehlen in dem Haftantrag Ausführungen dazu, obwohl sich aus dem Antrag selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage erhoben worden ist oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt wird, ist der Haftantrag unzulässig (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, aaO; Senat, Beschluss vom 10. Februar 2011 - V ZB 49/10, aaO). So verhält es sich hier. Wie sich aus dem dem Haftantrag beigefügten Protokoll über die Beschuldigtenvernehmung vom 16. Februar 2010 ergibt, wurde gegen die Betroffene ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt. Ob dabei zu Recht ein Anfangsverdacht für das Bestehen einer Straftat nach § 95 AufenthG angenommen worden ist, hat der Haftrichter nicht zu prüfen.

2.

Der Verfahrensmangel kann selbst durch die spätere Erteilung des Einvernehmens nicht rückwirkend und für die Zukunft nur unter der Voraussetzung geheilt werden, dass die den Haftantrag stellende Behörde die Antragsbegründung um Darlegungen zu dem nunmehr vorliegenden Einvernehmen ergänzt und der Betroffene hierzu in einer Anhörung Stellung nehmen kann (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Mai 2011 - V ZA 10/11, [...] Rn. 11). An beidem fehlt es hier.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 , §§ 84 , 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO , wobei der Senat bei der Ermessensausübung dem Umstand Rechnung getragen hat, dass den von der Betroffenen in der Beschwerdeinstanz teilweise zurückgenommenen Anträgen nur untergeordnete Bedeutung zukam. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO .

Vorinstanz: AG Bremen, vom 16.02.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 92 XIV 85/10
Vorinstanz: LG Bremen, vom 24.06.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 10 T 140/10