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BGH - Entscheidung vom 07.04.2011

V ZB 77/10

Normen:
GG Art. 2 Abs. 2 S. 2
FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5
AufenthG § 62 Abs. 2
AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1

BGH, Beschluss vom 07.04.2011 - Aktenzeichen V ZB 77/10

DRsp Nr. 2011/9168

Konsequenzen eines Verstoßes gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Abschiebungshaftantrages

Fehlen in einem Sicherungshaftantrag Ausführungen zu dem nach § 72 Abs. 4 S. 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft, obwohl sich aus ihm selbst oder den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Klage oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, genügt der Antrag nicht den Anforderungen nach § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG und ist unzulässig.

Der Betroffenen wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 22. Februar 2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10. Dezember 2009 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen werden dem S. auferlegt. Im Übrigen findet keine Auslagenerstattung statt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Normenkette:

GG Art. 2 Abs. 2 S. 2; FamFG § 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 5; AufenthG § 62 Abs. 2 ; AufenthG § 72 Abs. 4 S. 1;

Gründe

I.

Die Betroffene, eine nigerianische Staatsangehörige, reiste nach eigenen Angaben am 6. oder 7. Dezember 2009 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie wurde anlässlich einer Polizeikontrolle am 9. Dezember 2009 in einem Bordell in S. angetroffen und - da sie weder über Ausweispapiere noch einen Aufenthaltstitel verfügte - festgenommen und am folgenden Tage als Beschuldigte vernommen.

Auf Antrag der Beteiligten zu 2 vom 10. Dezember 2009 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom gleichen Tage gegen die Betroffene Abschiebungshaft bis zum 9. März 2010 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Mit Beschluss vom 22. Februar 2010 hat das Landgericht die Beschwerde der Betroffenen nach deren persönlicher Anhörung zurückgewiesen.

II.

Das Beschwerdegericht bejaht den Haftgrund nach § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG , da der Verdacht bestehe, dass sich die Betroffene einer Abschiebung in ihr Heimatland entziehen werde. Dies ergebe sich aus den widersprüchlichen, nicht nachvollziehbaren Angaben über den Reiseweg per Schiff von N. direkt nach S. und ihrer Tätigkeit als Prostituierte in einem Bordell. Diese Umstände ließen auf eine Einbindung in ein System illegaler Anwerbung und Beschäftigung Prostituierter schließen, die der Betroffenen - im Falle einer Entlassung aus der Abschiebungshaft - aus eigenen wirtschaftlichen Interessen ein Untertauchen ermöglichen werde.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist - nachdem sich die Hauptsache durch den Vollzug der Haft erledigt hat - mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ohne Zulassung statthaft (vgl. Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360 und vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, Rn. 10 [...]), gemäß § 71 FamFG form- und fristgerecht eingelegt und in der Sache begründet.

Die Betroffene ist deshalb in ihrem Freiheitsgrundrecht verletzt worden, weil die Haft zur Sicherung der Abschiebung wegen Fehlens einer den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG entsprechenden Antragsbegründung nicht hätte angeordnet werden dürfen. Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, FGPrax 2010, 210 , 211 Rn. 12 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 7).

1.

Der Haftantrag muss nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG begründet werden. Ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Haftantrags (Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, aaO, Rn. 14 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, aaO, Rn. 8). Für Abschiebungshaftanträge werden nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt.

2.

Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 genügte diesen Anforderungen nicht, weil diese darin nichts zu dem für die Abschiebung der Betroffenen nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlichen Einvernehmen der Staatsanwaltschaft ausgeführt hat.

a)

Der Senat hat - allerdings erst nach Erlass des angefochtenen Beschlusses - entschieden, dass die nach § 62 Abs. 2 AufenthG der Sicherung der Abschiebung des Ausländers dienende Haft nicht angeordnet werden darf, wenn das dafür erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht vorliegt (Senat, Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - V ZB 93/10, NVwZ 2010, 1574, 1575 Rn. 8, vom 18. August 2010 - V ZB 211/10, Rn. 10 [...] und vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 22 [...]).

b)

Ergibt sich bereits aus dem Haftantrag oder den diesem beigefügten Anlagen, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, stellt sich das Fehlen von Ausführungen zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaft als ein Begründungsmangel dar, der zur Unzulässigkeit des Haftantrags führt (Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, Rn. 9 [...] und vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, Rn. 7 [...]).

c)

So ist es hier. Nach dem dem Haftantrag der Beteiligten zu 2 beigefügten Bericht der Kriminalpolizeiinspektion S. ist die Betroffene am Morgen nach ihrer Verhaftung von der Kriminalpolizei als Beschuldigte vernommen worden. Damit war ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 - 3 StR 212/02, NJW 2003, 3142, 3143). Die Durchführung der Abschiebung hing daher nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG von dem Einvernehmen der zuständigen Staatsanwaltschaft ab (Senat, Beschluss vom 3. Februar 2011 - V ZB 224/10, Umdr. S. 5). Dazu hätte sich der Haftantrag der Beteiligten zu 2 nach § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG verhalten müssen, woran es hier fehlte.

Dieser Mangel konnte in der Beschwerdeinstanz nicht mehr geheilt werden, da es sich bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde um eine Verfahrensgarantie handelt, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 GG fordert (BVerfG, NVwZ-RR 2009, 304 , 305; Senat, Beschlüsse vom 29. April 2010

- V ZB 218/09, NVwZ 2010, 1508, 1509 Rn. 19 und vom 22. Juli 2010 - V ZB 28/10, NVwZ 2010, 1511, 1512 Rn. 16).

3.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass auch die Haftanordnung, die nach dem von der Betroffenen gestellten Feststellungsantrag ebenfalls Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154 Rn. 14), die Betroffene in ihrem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ) verletzt hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 , § 430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO ; die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO .

Vorinstanz: AG Saarbrücken, vom 10.12.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 7 XIV 88/09
Vorinstanz: LG Saarbrücken, vom 22.02.2010 - Vorinstanzaktenzeichen 5 T 651/09