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BGH - Entscheidung vom 22.03.2011

II ZB 19/09

Normen:
ZPO § 233 B
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 520 Abs. 2

Fundstellen:
AnwBl 2012, 96
BRAK-Mitt 2011, 199
BRAK-Mitt. 2011, 199
FamRZ 2011, 970

BGH, Beschluss vom 22.03.2011 - Aktenzeichen II ZB 19/09

DRsp Nr. 2011/7259

Anforderungen an die Organisation einer wirksamen Fristenkontrolle eines Prozessbevollmächtigten; Pflicht zur Eintragung eines beantragten Fristendes bei oder alsbald nach Einreichung eines Verlängerungsantrags im Fristenkalender

Die im Rahmen der Organisation einer wirksamen Fristenkontrolle dem Prozessbevollmächtigten obliegende Pflicht, das beantragte Fristende nebst Vorfrist bei oder alsbald nach Einreichung eines Verlängerungsantrags im Fristenkalender einzutragen, hängt nicht davon ab, in welchem zeitlichen Abstand zum Ende der ursprünglichen Frist ein Fristverlängerungsantrag gestellt wird.

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. September 2009 wird auf Kosten des Beklagten zu 1 als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 266.837 €

Normenkette:

ZPO § 85 Abs. 2 ; ZPO § 233 ; ZPO § 520 Abs. 2 ;

Gründe

I.

Der Beklagte zu 1 begehrt Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Mit Empfangsbekenntnis vom 7. Januar 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 bestätigt, das Urteil des Landgerichts vom 23. Dezember 2008 erhalten zu haben. Mit Telefax vom selben Tag hat er um die Zuleitung zweier lesbarer Exemplare gebeten, da die zugestellten Exemplare mit Ausnahme des Tenors nahezu nicht lesbar seien. Dem ist die Geschäftsstelle des Landgerichts am folgenden Tag formlos nachgekommen.

Mit Schriftsatz vom 15. Januar 2009 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 Berufung eingelegt und beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung bis 7. April 2009 zu verlängern. Das vorläufige Ende der beantragten Fristverlängerung wurde nicht notiert. Mit gerichtlicher Verfügung vom 19. Januar 2009, dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 zugegangen am 22. Januar 2009, wurde dem Verlängerungsantrag stattgegeben. Das neue Fristende wurde gleichfalls nicht notiert. Dennoch wurde das ursprünglich auf Montag, den 9. März 2009 eingetragene Ende der Berufungsbegründungsfrist gestrichen. Eine Berufungsbegründung ist innerhalb der verlängerten Frist nicht eingegangen.

Mit Verfügung vom 20. April 2009 hat das Berufungsgericht hierauf hingewiesen und eine Frist zur Stellungnahme bis 4. Mai 2009 eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 28. April 2009 hat der Beklagte zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner Rechtsanwaltsgehilfin zur Kanzleiorganisation hinsichtlich der Fristenkontrolle vorgetragen. Mit Schriftsatz vom 2. Mai 2009, eingegangen per Telefax an diesem Tag, ist die Berufung begründet worden.

Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

1.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem dem Beklagten zu 1 nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten. Er habe sein Büropersonal nicht angewiesen, bei Beantragung einer Fristverlängerung das vorläufige Ende der beantragten Fristverlängerung im Fristenbuch besonders zu vermerken. Eine solche Eintragung hätte aber dazu geführt, dass die unterbliebene Eintragung des endgültigen Fristendes spätestens zur Vorfristvorlage vor Ablauf des beantragten Fristendes erkannt worden wäre.

2.

Das hält rechtlicher Überprüfung stand.

a)

Der Beklagte hat die verlängerte Frist zur Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 2 ZPO versäumt.

Die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist begann gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des Urteils des Landgerichts am 7. Januar 2009. Die Zustellung war - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - trotz erschwerter Lesbarkeit des zugestellten Dokuments wirksam im Sinne des § 166 ZPO . Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 hat mit seinem Empfangsbekenntnis vom 7. Januar 2009 bestätigt, das Urteil des Landgerichts vom 23. Dezember 2008 erhalten zu haben. Die Ausstellung und Hinausgabe des Empfangsbekenntnisses begründet die -hier nicht widerlegte -Vermutung, dass er die Urteilsausfertigung als zugestellt annehmen wollte (BGH, Urteil vom 5. Mai 1993 - XII ZR 44/92, NJW-RR 1993, 1213 ; Beschluss vom 13. April 2000 - V ZB 48/99, NJW-RR 2000, 1665 , 1666).

Ohne Verlängerung wäre die Berufungsbegründungsfrist daher gemäß § 222 Abs. 1 und 2 ZPO , § 188 Abs. 2 BGB am 9. März 2009, einem Montag, abgelaufen. Nach Verlängerung durch den Vorsitzenden gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO lief sie am 7. April 2009 ab. Innerhalb dieser Frist ist keine Berufungsbegründung eingegangen.

b)

Der Beklagte zu 1 hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass sein Prozessbevollmächtigter durch eine ordnungsgemäße Organisation der Fristenkontrolle sichergestellt hat, nach einem Fristverlängerungsantrag die verlängerte Frist nicht zu versäumen.

aa)

Die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts in Fristensachen verlangt zuverlässige Vorkehrungen, um den rechtzeitigen Ausgang fristwahrender Schriftsätze sicherzustellen. Zu den Aufgaben des Rechtsanwalts gehört es deshalb, durch entsprechende Organisation seines Büros dafür zu sorgen, dass Fristen ordnungsgemäß eingetragen und beachtet werden. Der Anwalt hat sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Fristen auszuschließen (BGH, Beschluss vom 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91, NJW 1992, 574 ; Urteil vom 5. Mai 1993 - XII ZR 44/92, NJW-RR 1993, 1213 , 1214; Beschluss vom 15. April 2008 - VI ZB 29/07, JurBüro 2009, 54, 55; Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 6). Die zur wirksamen Fristenkontrolle erforderlichen Handlungen müssen zum frühestmöglichen Zeitpunkt vorgenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815 ; Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 6). Beantragt der Prozessbevollmächtigte eine Fristverlängerung, so muss das beantragte Fristende bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen, als vorläufig gekennzeichnet und rechtzeitig, spätestens nach Eingang der gerichtlichen Mitteilung überprüft werden, damit das wirkliche Ende der Frist festgestellt werden kann (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663; Beschluss vom 22. November 2001 - XII ZB 195/01, NJW-RR 2002, 712 ; Beschluss vom 13. Dezember 2001 - VII ZB 19/01, BGH-Report 2002, 246, 247; Beschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZB 14/06, BeckRS 2006, 08247 Rn. 7; Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 6).

bb)

Diesen Anforderungen entsprach die Organisation des Fristenwesens in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 nicht. Nach den von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gab es in der Kanzlei keine Anweisung, das beantragte Fristende bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags in den Fristenkalender einzutragen.

cc)

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war dieses Versäumnis kausal für die Fristversäumung. Wäre das beantragte Fristende nebst Vorfrist bei oder alsbald nach Einreichung des Verlängerungsantrags im Fristenkalender eingetragen worden, so hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 1 nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten die Berufungsbegründungsfrist gewahrt. Denn spätestens bei Aktenvorlage zur Vorfrist des beantragten Fristendes wäre festgestellt worden, dass das endgültige Fristende nicht eingetragen war. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte der Prozessbevollmächtigte die Berufungsbegründungsschrift dann noch fristgerecht fertigen können (vgl. zur Kausalität BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 9).

c)

Die Rechtsbeschwerde ist zu Unrecht der Auffassung, dass es im Zeitpunkt eines Antrags auf Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist der Eintragung des beantragten Fristendes dann nicht bedürfe, wenn die gesetzliche Begründungsfrist im Zeitpunkt des Fristverlängerungsantrags eingetragen sei und noch laufe und diese aufgrund einer allgemeinen Kanzleianweisung erst dann gelöscht werde, wenn die begehrte Fristverlängerung gewährt und die verlängerte Frist im Fristenkalender eingetragen worden sei. Hierbei übersieht die Rechtsbeschwerde, dass sie den bei ordnungsgemäßer Kanzleiorganisation gegebenen Normalfall beschreibt, für den die oben dargestellten Anforderungen an die Eintragung des beantragten Fristendes bestehen. Denn die gesetzliche Begründungsfrist sollte im Zeitpunkt des (ersten) Fristverlängerungsantrags noch laufen, da anderenfalls eine Verlängerung nicht gewährt werden könnte. Auch erfordert es eine ordnungsgemäße Kanzleiorganisation, dass die gesetzliche Begründungsfrist nebst Vorfrist eingetragen wird. Dass diese erst gelöscht werden darf, wenn die begehrte Fristverlängerung gewährt wird, versteht sich von selbst.

d)

Soweit die Rechtsbeschwerde weiter anführt, dass die zwingende Eintragung des beantragten Fristendes eine Gefahrenquelle schaffe, ist dem im Ausgangspunkt zuzustimmen. Die Eintragung einer nur vorläufig berechneten Frist birgt eine Gefahrenquelle, weil sie leicht darüber hinwegtäuschen kann, dass das wirkliche Fristende auf einen anderen Tag als angenommen fällt. Dem ist jedoch dadurch zu begegnen, dass die Eintragung als nur vorläufiges Fristende besonders gekennzeichnet wird (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663; Beschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZB 14/06, BeckRS 2006, 08247 Rn. 7; Beschluss vom 27. Januar 2011 - VII ZB 44/09, BeckRS 2011, 03771 Rn. 9). Die Eintragung des beantragten Fristendes nebst Vorfrist bietet demgegenüber eine zusätzliche Fristensicherung. Sie kann die Fristwahrung in der Regel selbst dann gewährleisten, wenn, wie hier, die Eintragung der ursprünglichen Frist versehentlich gelöscht worden und die Eintragung der verlängerten Frist versehentlich unterblieben ist. Eine Unterscheidung der Maßnahmen zur Fristenkontrolle danach, in welchem zeitlichen Abstand zum Ende der ursprünglichen Berufungsbegründungsfrist ein Fristverlängerungsantrag gestellt wird, lässt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde der geschilderten Gefährdungslage jedenfalls nicht entnehmen und ist weder aus sachlichem Grund angezeigt noch geeignet, Fehler im System der Fristenkontrolle zu vermeiden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99, NJW-RR 1999, 1663).

e)

Der durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I 2001, 1887) mit Wirkung ab 1. Januar 2002 geänderte Beginn der Berufungsbegründungsfrist vom Zeitpunkt des Eingangs der Berufungsschrift bei Gericht auf den Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung hat an der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Eintragung des vorläufigen Endes der beantragten Fristverlängerung nichts geändert (vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. Juli 2010 - VI ZB 1/10, NJW 2011, 151 Rn. 6).

Vorinstanz: OLG Karlsruhe, vom 15.09.2009 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 12/09
Vorinstanz: LG Konstanz, vom 23.12.2008 - Vorinstanzaktenzeichen 2 O 204/06
Fundstellen
AnwBl 2012, 96
BRAK-Mitt 2011, 199
BRAK-Mitt. 2011, 199
FamRZ 2011, 970