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BGH - Entscheidung vom 26.01.2010

5 StR 520/09

Normen:
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 64 S. 1
JGG § 7 Abs. 1

Fundstellen:
NStZ-RR 2010, 275

BGH, Beschluss vom 26.01.2010 - Aktenzeichen 5 StR 520/09

DRsp Nr. 2010/3272

Strafzumessungserwägungen unter Berücksichtigung der bei der Tat bestehenden Blutalkoholkonzentration und eines regelmäßigen Alkoholkonsums; Auswirkung einer fehlenden Erwägung der Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf die Festsetzung einer Jugendstrafe

1. Zwar ist eine direkte Konvertierung von Atemalkohol- in Blutalkoholkonzentrationen ausgeschlossen; indes wird jedem AAK-Wert eine gewisse Bandbreite von BAK-Werten entsprechen.2. Eine Maßregel nach § 64 StGB erfordert nicht die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB .

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 12. August 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Es wird davon abgesehen, dem Angeklagten die Kosten seines Rechtsmittels aufzuerlegen; er trägt indes die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin.

Normenkette:

StGB § 20 ; StGB § 21 ; StGB § 64 S. 1; JGG § 7 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung zweier amtsgerichtlicher Urteile (zuletzt sechs Monate Jugendstrafe unter Anwendung des § 31 Abs. 2 JGG ) zu einer einheitlichen Jugendstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.

1. Die Jugendkammer hat sich im Wesentlichen auf der Grundlage des Geständnisses des Angeklagten und des Obduktionsgutachtens davon überzeugt, dass der Angeklagte am 7. November 2008 - wenige Tage vor seinem 16. Geburtstag - gegen 19.00 Uhr den stark alkoholisierten S. auf einem Zittauer Spielplatz getötet hat.

Der Angeklagte war mit dem späteren Opfer in Streit geraten wegen von diesem versprochener, vom Vater des Angeklagten im Voraus bezahlter Fahrradteile. Dabei bezeichnete S. den Angeklagten und dessen Vater als "Arschloch" und "Wichser". "Herr S. erhob sich von der Parkbank und griff dem Angeklagten an den Hals. Der Angeklagte hatte das Gefühl, er werde gewürgt, befreite sich aber rasch und ohne Probleme aus dieser Lage und stieß Herrn S. zu Boden ... Der Angeklagte entschloss sich spätestens jetzt - aus Ärger über die vermeintlich fehlende Lieferung der Fahrradteile und aus Ärger über das Verhalten des Geschädigten - Herrn S. massiv zu verletzen. Dabei nahm er im Laufe des Geschehens den Tod des Geschädigten zumindest billigend in Kauf. S. war auf dem Boden liegend zu einer effektiven Gegenwehr und Verteidigung nicht mehr in der Lage. Der Angeklagte schlug und trat mit äußerster Kraft und Stärke wiederholt gegen den Rumpf, den Kopf und den Hals seines Opfers. Darüber hinaus wirkte er mehrfach und unter hoher Kraftaufwendung mit dem Hals einer abgebrochenen Bierflasche auf Kopf und Hals des Geschädigten ein. Das Gesicht und der Hals des Herrn S. bluteten aufgrund der erlittenen Verletzungen sehr stark. In diese stark blutenden Gesichts- und Halswunden trat der Angeklagte wiederum wiederholt mit großer Kraft mit seinem Fuß ein" (UA S. 9). Die hervorgerufenen Rippenserienbrüche führten zu erheblichen Verletzungen innerer Organe. Die Menge des hierdurch nach innen und aus den Verletzungen am Kopf und am Hals des Opfers nach außen ausgetretenen Blutes verursachte einen tödlichen Verblutungsschock.

2. Die Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch erfolglos im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO . Die insoweit fehlerfreien Feststellungen belegen insbesondere den Tötungsvorsatz des Angeklagten, dessen Verantwortungsreife und nicht aufgehobene Schuldfähigkeit.

3. Indes ist die Jugendstrafe aufzuheben, weil tragende Strafzumessungserwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen hat, und zur Höhe der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit auf zu Lasten und zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Fehlern in der Beweiswürdigung beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2007 - 5 StR 32/07 Tz. 7 f.).

a) Das Landgericht hat - sachverständig beraten - zwar eine Störung des Sozialverhaltens des Angeklagten, die hohe Alkoholkonzentration zur Tatzeit und die Provokation durch das Opfer unter den jeweils zutreffenden Eingangsmerkmalen der §§ 20 , 21 StGB erörtert, indes die gebotene Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 3) unterlassen und zudem die markanten Tatumstände, die eine besonders starke Enthemmung nahe legen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 - 5 StR 543/01, insoweit in NStZ-RR 2002, 107 nicht abgedruckt), nicht ersichtlich erwogen.

Soweit das Landgericht die aus dem Blutentnahmeprotokoll vom 8. November 2008, 3.32 Uhr, entnommenen Feststellungen dafür herangezogen hat, dass der Angeklagte zur Tatzeit um 19.00 Uhr in seiner Leistungsfähigkeit nicht wesentlich eingeschränkt gewesen sei (UA S. 28), stößt dies auf durchgreifende Bedenken. Der nur auf einen leichten Alkoholeinfluss hindeutende Untersuchungsbefund fußt auf der Blutalkoholkonzentration von 1,23 ‰ zum Entnahmezeitpunkt und ist schon deswegen nicht geeignet, das Leistungsvermögen des Angeklagten unter Wirkung einer Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰ zu belegen.

Zudem ist zu besorgen, dass die vom Landgericht für einen Ausschluss erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit herangezogene Alkoholgewöhnung und fehlende Erinnerungslücke überbewertet worden sind (vgl. BGHSt 43, 66 , 71, 73, 76; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 4; BGH, Beschluss vom 28. März 2007 - 5 StR 32/07 Tz. 8).

b) Soweit das Landgericht aufgrund einer an sich zutreffenden Rückrechnung unter Würdigung von Angaben des Angeklagten zu einem Nachtrunk von lediglich 0,375 l Bier zu der angenommenen maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰ gelangt ist, steht dies schon in einem vom Landgericht nicht ersichtlich bedachten Spannungsverhältnis zu den übrigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum eher eine geringere Alkoholintoxikation nahe legenden Nachtatverhalten des Angeklagten. Hinzu tritt, dass es das Landgericht unterlassen hat, die Bedeutung des anlässlich einer Polizeikontrolle um 22.50 Uhr durchgeführten Atemalkoholtests mit 0,76 mg/l in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. Zwar ist eine direkte Konvertierung von Atemalkohol- in Blutalkoholkonzentrationen ausgeschlossen (BGHSt 46, 358 , 365). Indes wird jedem AAK-Wert eine gewisse Bandbreite von BAK-Werten entsprechen (BGHSt aaO. m.w.N.), die ohne Weiteres in die Beweiswürdigung über den Umfang eines Nachtrunks, zumal bei - wie hier - widersprüchlichen Angaben eines Angeklagten, in Befolgung der Aufklärungspflicht einzubeziehen und mit zu bewerten ist. Demnach hätte es nahe gelegen, bei dem Angeklagten zum Zeitpunkt der von ihm als Fahrradfahrer anstandslos passierten Polizeikontrolle von einer BAK von noch unter 2 ‰ auszugehen (vgl. BGHSt aaO. S. 366).

4. Zudem hat die festgesetzte Jugendstrafe auch deshalb keinen Bestand, weil es das Landgericht trotz Vorliegens erheblicher hierfür sprechender Umstände verabsäumt hat, die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu erwägen (§ 7 Abs. 1 JGG ), was die mit am Erziehungsbedarf orientierte Festsetzung der Jugendstrafe - auch ohne dass die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 JGG hätten erfüllt werden können - beeinflusst haben könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2002 - 5 StR 543/01, insoweit nicht in NStZ-RR 2002, 107 abgedruckt; BGH, Beschluss vom 25. November 2008 - 3 StR 404/08 Tz. 6).

Das Landgericht hat zum Alkoholkonsum des Angeklagten Feststellungen getroffen, die eine Würdigung als Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB erfordert hätten. Nach den - freilich zweifelhaften (vgl. oben 3.) - Feststellungen führte der Angeklagte die Tat unter Wirkung einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,81 ‰ aus. Er trank seit Anfang 2008 nunmehr auch in der Woche regelmäßig Alkohol. "Ab Sommer 2008 kam es bei dem Angeklagten zu regelmäßigem, fast täglichen Alkoholkonsum mit wiederholt einsetzenden Rauschzuständen" (UA S. 7). Die Freundin des Angeklagten beendete ihre Beziehung mit diesem, weil der Angeklagte im Sommer 2008 angefangen habe, oft schon frühmorgens Alkohol zu trinken (UA S. 18).

Die getroffenen Feststellungen hätten die Annahme des nach § 64 StGB weiter gebotenen symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang, der Tat und der zukünftigen Gefährlichkeit (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1) nicht grundlegend in Frage gestellt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2008 - 4 StR 316/08 Tz. 5 m.w.N.). Zwar hat das Landgericht aus zwei früher geahndeten - mit Mittätern begangenen - gefährlichen Körperverletzungen ohne Alkoholeinfluss auf eine hohe Gewaltbereitschaft und eine ausgesprochen geringe Hemmschwelle des Angeklagten geschlossen (UA S. 30, 36). Dem steht indes die für die Zeit stark gesteigerten Alkoholkonsums getroffene Feststellung entgegen, dass der Angeklagte gerade unter Alkohol häufig aggressiv geworden ist (UA S. 18).

Das neue Tatgericht wird gegebenenfalls zu beachten haben, dass eine Maßregel nach § 64 StGB nicht die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB erfordert (BGHR StGB § 64 Ablehnung 6).

5. Die Sache bedarf demnach hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs neuer Aufklärung und Bewertung. Insbesondere sofern das neue Tatgericht erneut die Voraussetzungen einer Provokation entsprechend § 213 StGB , 1. Alternative bejahen sollte, wird es seine Strafzumessungserwägungen schon aus diesem Grund nicht - wie im angefochtenen Urteil erfolgt (UA S. 37) - am Höchstmaß einer zu verhängenden Jugendstrafe orientieren können.

Vorinstanz: LG Görlitz, vom 12.08.2009
Fundstellen
NStZ-RR 2010, 275