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BGH - Entscheidung vom 08.11.2007

IX ZR 53/04

Normen:
InsO § 103 Abs. 2

Fundstellen:
BB 2007, 2704
BGHReport 2008, 198
DZWIR 2008, 87
InVo 2008, 13
MDR 2008, 289
NJW-RR 2008, 560
NZI 2008, 36
VersR 2008, 542
WM 2007, 2331
ZIP 2007, 2322
ZInsO 2007, 1275

BGH, Urteil vom 08.11.2007 - Aktenzeichen IX ZR 53/04

DRsp Nr. 2007/21993

Wirksamkeit einer vor Insolvenzeröffnung erklärten Aufforderung über die Erfüllung eines Vertrages nach Eröffnung des Verfahrens

»Die für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den vorläufigen Insolvenzverwalter gerichtete Aufforderung zu erklären, ob die Erfüllung eines Vertrages gewählt werden wird, bleibt auch dann nach der Eröffnung des Verfahrens wirkungslos, wenn vorläufiger und endgültiger Verwalter personenidentisch sind.«

Normenkette:

InsO § 103 Abs. 2 ;

Tatbestand:

Mit Beschluss vom 8. Dezember 1999 wurde der Kläger zum vorläufigen Verwalter im Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des E. (fortan: Schuldner) bestellt. Der Schuldner war selbständiger Tischlermeister. Er unterhielt mehrere Versicherungen bei der Beklagten, unter anderem eine Dynamische Sachversicherung (Inhaltsversicherung), eine Feuerbetriebsunterbrechungsversicherung und eine Gebäudeversicherung. Mit Schreiben vom 21. Februar 2000 unterrichtete die Beklagte den Kläger über die bestehenden Verträge. Wörtlich heißt es in dem Schreiben weiter:

"Für den Fall, dass es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommen sollte, bitten wir um Ihre Entscheidung, ob Sie Erfüllung der Verträge verlangen oder Nichteintritt gemäß § 103 InsO erklären."

In einem weiteren Schreiben vom 29. Februar 2000 wies die Beklagte auf einen weiteren Vertrag hin und bat insoweit ebenfalls um eine Entscheidung nach § 103 InsO .

Am 1. Mai 2001 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Am 26. Mai 2001 kam es zu einem Brand in der Tischlerei des Schuldners, die daraufhin geschlossen werden musste. Mit Schreiben vom 12. Juni 2001 erklärte die Beklagte, die Verträge seien mit Wirkung vom 1. Mai 2001 beendet, weil der Kläger ihrer Aufforderung zur Ausübung seines Wahlrechts nicht nachgekommen sei. Der Kläger antwortete unter dem 21. Juni 2001, er wähle die Erfüllung bestimmter, im Einzelnen bezeichneter Verträge. Eine entsprechende Erklärung hatte er bereits mit Schreiben vom 7. Juni 2001 an die A. AG abgegeben. Bereits mit Schreiben vom 13. Juni 2001 hatte die Beklagte es abgelehnt, für die Folgen des Brandes einzustehen. Mit seiner am 23. Oktober 2001 eingereichten und am 30. November 2001 zugestellten Klage hat der Kläger Zahlung von 202.136,69 EUR nebst Zinsen sowie die Feststellung verlangt, dass die Beklagte zum Ersatz aller weitergehenden Schäden aus dem Brand verpflichtet sei. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die bisherigen Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger könne nicht auf der Erfüllung der Versicherungsverträge bestehen, weil er auf die Aufforderungen der Beklagten vom 21. und 29. Februar 2000 hin nicht unverzüglich nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt habe, dass er die Verträge erfüllen wolle. Ob ein Aufforderungsschreiben, das dem Verwalter vor seiner Bestellung übersandt werde, generell als zugegangen angesehen werden könne, könne offen bleiben. Dem Kläger sei es jedenfalls nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf den "verfrühten" Zugang des Aufforderungsschreibens zu berufen; denn er sei bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit den Vermögensangelegenheiten des Schuldners befasst gewesen und habe nicht geltend gemacht, die Aufforderungsschreiben seien verloren gegangen oder in Vergessenheit geraten.

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Kläger hat das Recht, die Erfüllung der Versicherungsverträge zu verlangen, nicht nach § 103 Abs. 2 Satz 3 InsO verloren.

1. Ist ein gegenseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt, kann der Insolvenzverwalter anstelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen. Lehnt der Verwalter die Erfüllung ab, kann der andere Teil eine Forderung wegen der Nichterfüllung nur als Insolvenzgläubiger geltend machen. Fordert der andere Teil den Verwalter zur Ausübung seines Wahlrechts auf, hat der Verwalter unverzüglich zu erklären, ob er die Erfüllung verlangen will. Unterlässt er dies, kann er auf der Erfüllung nicht bestehen (§ 103 InsO ).

2. Das Wahlrecht aus § 103 Abs. 1 InsO steht ausschließlich dem Insolvenzverwalter zu, nicht dem vorläufigen Insolvenzverwalter. Dies ergibt sich hinreichend deutlich aus dem Wortlaut des Gesetzes, das vom Insolvenzverwalter - nicht vom vorläufigen Insolvenzverwalter - spricht, sowie aus der systematischen Stellung des § 103 InsO im Dritten Teil der Insolvenzordnung (§§ 80 bis 147 ), welcher die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens behandelt, und wird folgerichtig in Rechtsprechung und Literatur nicht in Zweifel gezogen (vgl. etwa BGHZ 97, 87, 90; 130, 38, 42, jeweils zur Konkursordnung ; OLG Düsseldorf ZInsO 2005, 820 , 821; Gottwald/Huber, Insolvenzrechts-Handbuch 3. Aufl. § 35 Rn. 2; Uhlenbruck/Berscheid, InsO 12. Aufl. § 103 Rn. 62; Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO § 103 Rn. 51; HK-InsO/Marotzke, 4. Aufl. § 103 Rn. 57). § 22 InsO , welcher die Rechtsstellung des vorläufigen Insolvenzverwalters regelt, enthält keine Verweisung auf § 103 InsO .

3. Aus den gleichen Gründen ist die Aufforderung nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO ausschließlich an den Insolvenzverwalter zu richten (vgl. OLG Düsseldorf OLG-Report 1992, 340, 341 f.; Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO § 103 Rn. 70). Auch im zweiten Absatz des § 103 InsO geht es allein um den Verwalter, und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird vorausgesetzt. Ihrem Sinn und Zweck nach kann die Vorschrift ebenfalls erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Anwendung finden. Sie soll dem Vertragspartner des Insolvenzschuldners ermöglichen, die Unsicherheit darüber zu beseitigen, ob ein gegenseitiger Vertrag erfüllt werden wird oder nicht, sowie eine etwaige Schadensersatzforderung zu berechnen und zur Tabelle anzumelden (Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen Band 4 [Nachdruck 1983], S. 87). Bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht diese Unsicherheit nicht. Die Anordnung der vorläufigen Verwaltung hat keinen Einfluss auf den Fortbestand der Verträge. Der "Schwebezustand" tritt erst mit der Eröffnung ein. Die Anmeldung zur Tabelle hat ebenfalls erst nach der Eröffnung zu erfolgen (§ 174 InsO ). Solange nicht feststeht, ob das Verfahren überhaupt eröffnet werden wird, wäre die Ausübung des erst für das eröffnete Verfahren geltenden Wahlrechts ohne Sinn.

4. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen bedarf dieses Ergebnis auch nicht in den Fällen einer Korrektur, in denen vorläufiger und endgültiger Insolvenzverwalter personenidentisch sind und der Verwalter nicht schlüssig darlegen kann, das verfrühte Aufforderungsschreiben bis zur Eröffnung vernichtet, verlegt oder vergessen zu haben.

a) Die Aufforderung nach § 103 Abs. 2 Satz 2 InsO ist an den Insolvenzverwalter zu richten, nicht an den vorläufigen Verwalter. Das ist allen Beteiligten auch bekannt. Insbesondere weiß der Vertragspartner des Schuldners, dass erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Erfüllung des Vertrages entschieden werden kann. Er bedarf insoweit auch keines besonderen Schutzes. Den Zeitpunkt der Eröffnung erfährt er dadurch, dass der Eröffnungsbeschluss veröffentlicht (§ 30 Abs. 1 InsO ) und den Gläubigern und Schuldnern des Insolvenzschuldners zugestellt (§ 30 Abs. 2 InsO ) wird. Darauf kann er dann so reagieren, wie er es für richtig hält. Frühere Aufforderungen, die erst für den Insolvenzfall gelten, würden für ihn wenig oder keinen Zeitgewinn bedeuten, könnten die Arbeit des Verwalters jedoch nicht unerheblich erschweren.

b) Die Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahre 1908 (LZ 1909, 162 ff.), auf welche die Vorinstanzen sich für ihre gegenteilige Ansicht berufen haben, betraf einen Sonderfall. Das Konkursverfahren war am 30. Juli 1907 um 12.30 Uhr eröffnet worden. Der Vertragspartner des Gemeinschuldners hatte das an "die Konkursverwaltung" - nicht an einen Sequester - adressierte Aufforderungsschreiben am Vormittag des Eröffnungstages in den Geschäftsräumen des Gemeinschuldners abgeben lassen, offensichtlich in der Annahme, der Konkursverwalter werde es erhalten, sobald er seine Tätigkeit aufnehmen würde. In den folgenden (drei) Wochen beachtete der Konkursverwalter das Schreiben nicht. Nach Ansicht des Kammergerichts hätte die Möglichkeit der Kenntnisnahme, auf die es für § 130 BGB ankam, in diesem Zeitraum jedenfalls bestanden. Die Frage des Zugangs vor Eröffnung und vor Übernahme des Amtes des Konkursverwalters stellte sich nicht. Der jetzt zu entscheidende Fall eines bewusst an den vorläufigen Verwalter gerichteten Schreibens, das eine Aufforderung für den Fall der Eröffnung enthält, liegt anders.

III. Das angefochtene Urteil kann deshalb keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO ). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO ), das nunmehr zu prüfen haben wird, welche Ansprüche aus den Versicherungsverträgen bestehen.

Vorinstanz: OLG Hamburg, vom 04.02.2004 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 116/02
Vorinstanz: LG Hamburg, vom 03.05.2002 - Vorinstanzaktenzeichen 331 O 331/01
Fundstellen
BB 2007, 2704
BGHReport 2008, 198
DZWIR 2008, 87
InVo 2008, 13
MDR 2008, 289
NJW-RR 2008, 560
NZI 2008, 36
VersR 2008, 542
WM 2007, 2331
ZIP 2007, 2322
ZInsO 2007, 1275