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BGH - Entscheidung vom 06.02.2007

VI ZB 41/06

Normen:
ZPO § 233

Fundstellen:
BB 2007, 853
BGHReport 2007, 523
BRAK-Mitt 2007, 106
FamRZ 2007, 720
MDR 2007, 747
NJW 2007, 1599
VersR 2007, 858

BGH, Beschluß vom 06.02.2007 - Aktenzeichen VI ZB 41/06

DRsp Nr. 2007/6046

Prüfungspflicht des Rechtsanwalts hinsichtlich des Fristenlaufs bei Vorlage der Akte

»Der Rechtsanwalt, dem die Handakten am letzten Tag der Berufungsbegründungsfrist zur Bearbeitung vorgelegt werden, hat den Fristablauf eigenverantwortlich zu prüfen.«

Normenkette:

ZPO § 233 ;

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. März 2006 abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 10. März 2006 zugestellt worden. Am 7. April 2006 hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am 10. Mai 2006 ab. Mit einem am 12. Mai 2006 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin die Berufung begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, die Berufungsbegründungsfrist mit Ablauf 10. Mai 2006 nebst einer Vorfrist von einer Woche sei ordnungsgemäß von der für die Fristenüberwachung zuständigen Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten L. notiert und zusätzlich auch in dem persönlichen Fristenkalender von Rechtsanwalt B., der handschriftlich geführt werde, vermerkt worden. In der Kanzlei sei es grundsätzlich üblich, dass Rechtsanwalt B. von Frau L. am Tage des Ablaufs einer Vor- oder Notfrist auf diese explizit hingewiesen werde. Frau L. habe jedoch auf die am 3. Mai 2006 ablaufende Vorfrist nicht hingewiesen. Am 10. Mai 2006 seien ihm von Frau L. die Handakten sowie sein persönlicher Fristenkalender vorgelegt worden. In diesem werde für Vorfristen das Kürzel "VF" und für Notfristen das Kürzel "NF" verwendet. Neben dem Hinweis auf die Berufungsbegründungsfrist in vorliegender Sache habe sich ein Kürzel befunden, welches er als "VF" gelesen habe; tatsächlich habe es sich jedoch um das Kürzel "NF" gehandelt. Obwohl es üblich sei, dass Frau L. ihn am Tage des Ablaufs einer Notfrist hierauf auch mündlich hinweise, habe sie dies am 10. Mai 2006 versäumt. Der Irrtum sei erst am 12. Mai 2006 bemerkt worden.

Mit Beschluss vom 17. Mai 2006 hat das Oberlandesgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Rechtsmittel sei unzulässig. Der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet, denn die Fristversäumung sei nicht unverschuldet. Die Klägerin müsse sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Dieser hätte erkennen können, dass es sich bei der Frist um eine Notfrist handelte. Er hätte selbst bei flüchtiger Betrachtung zweifeln können und müssen, ob die Eintragung im Fristenkalender tatsächlich ein "V" mit schrägem Aufstrich war. Er wäre deswegen verpflichten gewesen, entweder nachzufragen oder in den ihm vorliegenden Handakten nachzusehen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO ). Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt, insbesondere eine Zulassung nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das Berufungsgericht hat zu Recht die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen.

Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unbegründet. Die Klägerin war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (vgl. § 233 ZPO ). Ihren Prozessbevollmächtigten trifft ein eigenes Verschulden an der Fristversäumung. Dieses muss sich die Klägerin - unabhängig von einem Versehen der Büroangestellten L. - gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Anwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar nicht bei jeder Vorlage der Handakten, wohl aber dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung vorgelegt werden (Senatsbeschlüsse vom 1. Juni 1976 - VI ZB 23/75 - VersR 1976, 962; vom 2. November 1976 - VI ZB 7/76 - VersR 1977, 255 und vom 11. Februar 1992 - VI ZB 2/92 - NJW 1992, 1632 ; vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - z.V.b.; BGH, Beschluss vom 25. März 1985 - II ZB 2/85 - VersR 1985, 552). Diese Verpflichtung entsteht bereits bei der Vorlage der Akten an ihn, nicht erst bei deren Bearbeitung. Von der eigenen Verantwortung für die Einhaltung der Frist kann sich der Rechtsanwalt nicht durch die Anweisung an sein Büropersonal befreien, die Fristwahrung zu kontrollieren und ihn gegebenenfalls an die Erledigung der Fristsache zu erinnern (BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - VersR 1992, 1153 ).

Da die Handakten dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Fertigung der Berufungsbegründungsschrift vorgelegt worden sind, war dieser zur eigenverantwortlichen Fristenprüfung verpflichtet. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, Rechtsanwalt B. habe am 10. Mai 2006 nach Einsichtnahme in seinen persönlichen Fristenkalender davon ausgehen dürfen, dass es sich bei dem Vermerk um ein "V" und nicht um ein "N" handelte, weil Frau L. es versäumt gehabt habe, ihn zuvor auf den Ablauf der Vorfrist hinzuweisen. Im Hinblick darauf, dass Rechtsanwalt B. sowohl sein persönlicher Fristenkalender als auch seine Handakten vorgelegt worden sind, konnte er gerade nicht von dem Ablauf einer Vorfrist ausgehen. Die Vorlage der Akten sprach nämlich für den Ablauf der Notfrist, denn die Klägerin hat nicht dargetan, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten die Weisung bestand, dem Anwalt die Handakten stets schon bei Ablauf der Vorfrist zur Bearbeitung vorzulegen. Gegen das Bestehen einer solchen Weisung spricht auch die eidesstattliche Versicherung von Frau L., die dazu lediglich angegeben hat, sie habe Rechtsanwalt B. am 3. Mai 2006 (nicht: 2005) auf die Vorfrist hinweisen wollen, ihn aber nicht im Büro angetroffen. Hätte die Weisung bestanden, bei Ablauf einer Vorfrist auch die Handakten vorzulegen, hätte die Angestellte L. dies pflichtwidrig versäumt. Dies hat die Klägerin jedoch nicht geltend gemacht. Musste Rechtsanwalt B. am 10. Mai 2006 aber zumindest mit der Möglichkeit rechnen, dass an diesem Tag eine Notfrist ablief, durfte er sich nicht mit dem Blick in seinen persönlichen Fristenkalender begnügen. Er hätte sich vielmehr vergewissern müssen, welche Frist an diesem Tag ablief.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob Rechtsanwalt B. darauf vertrauen durfte, dass die Büroangestellte L. ihn auf den Ablauf der Notfrist mündlich hinweisen würde. Da ihn ein eigenes Verschulden trifft, ist es ohne Bedeutung, ob daneben auch ein Verschulden von Frau L. vorliegt (Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2006 - VI ZB 20/06 - BB 2006, 2779 ; BGH, Urteil vom 9. Januar 2003 - VII ZR 103/02 - VersR 2004, 353 ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO .

Vorinstanz: OLG Celle, vom 17.05.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 85/06
Vorinstanz: LG Stade, vom 07.03.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 3 O 205/05
Fundstellen
BB 2007, 853
BGHReport 2007, 523
BRAK-Mitt 2007, 106
FamRZ 2007, 720
MDR 2007, 747
NJW 2007, 1599
VersR 2007, 858