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BGH - Entscheidung vom 03.12.2007

II ZB 20/07

Normen:
ZPO § 233

Fundstellen:
AnwBl 2008, 207
BGHReport 2008, 342
FamRZ 2008, 505
MDR 2008, 355
NJW-RR 2008, 576
ZIP 2008, 900

BGH, Beschluß vom 03.12.2007 - Aktenzeichen II ZB 20/07

DRsp Nr. 2008/2866

Pflicht des Rechtsanwalts zur Überprüfung der Ausführung von Einzelanweisungen betreffend die Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax

»Der Rechtsanwalt darf sich darauf verlassen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig arbeitende Büroangestellte seiner Anweisung folgend den unterzeichneten Berufungsbegründungsschriftsatz vollständig und unverändert per Telefax an das Berufungsgericht versendet, auch wenn ihr der Schriftsatz ungeheftet übergeben wird bzw. zur Übermittlung per Telefax auseinandergeheftet werden muss.«

Normenkette:

ZPO § 233 ;

Gründe:

I. Der Beklagte zu 2 hat mit Schriftsatz vom 15. Februar 2007 gegen das ihm am 17. Januar 2007 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Januar 2007, Az. 18 O 250/06, fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren erhielt beim Kammergericht das Aktenzeichen 26 U 16/07. Am 19. März 2007 nachmittags übermittelten die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 dem Kammergericht mittels Telefax einen - am Folgetag zur Geschäftsstelle des Berufungsgerichts gelangten - Schriftsatz vom 19. März 2007. Seite 1 dieses Schriftsatzes lautet:

"In dem Rechtsstreit R. u.a. ./. H. - 26 U 263/06 - begründen wir namens des Beklagten zu 2, Herrn G., die mit Schriftsatz vom 8.12.2006 eingelegte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 01.11.2006, Az. 18 O 530/05 mit dem Antrag, unter Abänderung des am 01.11.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin, Az. 18 O 530/05, die Klage abzuweisen".

Das Original dieses Schriftsatzes ging am 20. März 2007 auf dem Postweg bei dem Berufungsgericht ein. Gegen die Beklagten waren zu diesem Zeitpunkt bei dem Berufungsgericht neun Berufungsverfahren mit nahezu identischem Streitstoff, aber unterschiedlichen Klägern anhängig. Am 27. März 2007 reichten die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 zu diesem Schriftsatz eine weitere Seite 1 zu den Akten. In diesem Schriftstück waren der Name der Klägerin, der Verkündungstermin und das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils, das Datum der Berufungseinlegung und das Aktenzeichen des Kammergerichts zutreffend angegeben.

Der Vorsitzende des Berufungssenats hat den Beklagten zu 2 mit Verfügung vom 27. März 2007 darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtige, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden sei. Der Beklagte zu 2 hat die Auffassung vertreten, die Berufungsbegründung sei rechtzeitig eingegangen, weil der am 19. März eingehende Berufungsbegründungsschriftsatz trotz des fehlerhaften Deckblatts dem richtigen Rechtsstreit habe zugeordnet werden können. Da die Berufungsbegründung in dem dort genannten Parallelverfahren bereits vollständig vorgelegen habe, sei offensichtlich gewesen, dass der Schriftsatz, der das aktuelle Datum getragen habe, fehlerhafte Angaben enthalten habe. Vorsorglich hat der Beklagte zu 2 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und hat die Berufung begründet.

Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte zu 2 vorgetragen:

Sein Prozessbevollmächtigter habe am 19. März 2007, dem Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, den Berufungsbegründungsschriftsatz unterzeichnet und die ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte Frau S. angewiesen, den Schriftsatz an das Kammergericht zu faxen. Frau S. habe den zu faxenden Schriftsatz auf ihren Schreibtisch neben die - als Vorlage zur Erstellung der Berufungsbegründung in diesem Verfahren ausgedruckte - Berufungsbegründung eines Parallelverfahrens gelegt; versehentlich habe sie die Deckblätter der Schriftsätze vertauscht und den Schriftsatz mit dem nunmehr falschen Deckblatt an das Kammergericht gefaxt. Anschließend habe sie dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt mitgeteilt, dass sie die Berufungsbegründung in dieser Sache per Fax abgesandt habe. Dieser habe daraufhin die Frist im Fristenbuch gelöscht. Den Schriftsatz habe sie unverändert zur Post gegeben. Bei Frau S. handle es sich um eine zuverlässige Bürokraft, die, wie regelmäßige Kontrollen seiner Prozessbevollmächtigten ergeben hätten, ihre Aufgaben seit über drei Jahren sorgfältig und fehlerfrei ausgeführt habe.

II. 1. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten zu 2 unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen.

Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

Der am 19. März 2007 bei der gemeinsamen Briefannahmestelle des Kammergerichts eingegangene Schriftsatz vom gleichen Tag sei nicht geeignet gewesen, die Berufungsbegründungsfrist zu wahren, da er infolge eines falschen Geschäftszeichens des Kammergerichts, einer falschen Bezeichnung der Gegenpartei, eines unrichtigen Verkündungsdatums des angefochtenen Urteils und eines unrichtigen Geschäftszeichens der Vorinstanz dem hiesigen Verfahren ohne ergänzende Angaben des Beklagten zu 2 nicht rechtzeitig habe zugeordnet werden können. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 hätten frühestens nach Vorlage des Schriftsatzes an die Geschäftsstelle am Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, als diese habe feststellen können, dass in dem genannten Parallelverfahren bereits eine Berufungsbegründung vorgelegen habe, auf einen möglichen Fehler hingewiesen werden können. Der Beklagte zu 2 habe auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Begründung der Berufung verhindert gewesen sei. Der Vortrag, die Büroangestellte seiner Prozessbevollmächtigten habe die erste Seite des Berufungsbegründungsschriftsatzes in diesem Verfahren mit der ersten Seite der ausgedruckten Berufungsbegründung eines Parallelverfahrens verwechselt, könne den Beklagten zu 2 nicht entlasten. Gerade wenn mehrere gleichartige Berufungsverfahren bei einem Senat anhängig seien, bei denen die Begründung der Berufung in der Sache wortgleich ausfalle, habe der Rechtsanwalt dafür Sorge zu tragen, dass die verfahrensbezogenen Angaben in dem Schriftsatz zutreffend seien, zumal er durch seine Unterschrift für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Schriftsatzes einstehe. Er habe deshalb auch dafür Sorge zu tragen, dass sein Schriftsatz nicht - etwa zur Vorbereitung der Telefax-Übermittlung - in der Weise auseinander genommen werde, dass hierbei Blätter mit denen anderer Schriftsätze vermengt oder vertauscht würden.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich der Beklagte zu 2 mit seiner Rechtsbeschwerde.

2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO . Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten überspannt und dadurch den Anspruch des Beklagten zu 2 auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat.

3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

a) Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass der Beklagte zu 2 die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO ) versäumt hat. Der am 19. März 2007 beim Kammergericht eingegangene Schriftsatz hat die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt, weil ihm nicht zweifelsfrei zu entnehmen war, dass es sich hierbei um die Begründung der in diesem Verfahren eingelegten Berufung handelte. Der Schriftsatz enthielt nicht nur ein unzutreffendes Geschäftszeichen des Kammergerichts und eine unrichtige Bezeichnung der Gegenpartei, sondern auch ein falsches Aktenzeichen der Vorinstanz, ein fehlerhaftes Verkündungsdatum des angefochtenen Urteils und ein unzutreffendes Datum der Berufungseinlegung. Unrichtige Angaben schaden zwar dann nicht, wenn auf Grund sonstiger, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Prozessgegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist (st. Rspr. vgl. BGH, Beschl. v. 24. April 2003 - III ZB 94/02, NJW 2003, 1950 ; v. 18. April 2000 - VI ZB 1/00, NJW-RR 2000, 1371 ; v. 25. Februar 1993 - VII ZB 22/92, NJW 1993, 1719 , 1720, jeweils für die Berufungsschrift). Diese Voraussetzung ist indessen hier nicht erfüllt. Weder aus dem eingereichten Schriftsatz selbst noch aus der Akte des dort genannten, beim Kammergericht anhängigen (Parallel-)Verfahrens ist erkennbar, dass die übermittelte Berufungsbegründung dieses - beim Kammergericht unter dem Aktenzeichen 26 U 16/07 anhängige - Verfahren betreffen sollte. Im Hinblick auf die insgesamt neun Parallelverfahren beruft sich der Beklagte zu 2 zu Unrecht darauf, den Bediensteten der Geschäftstelle habe klar sein müssen, dass dieses Verfahren gemeint gewesen sei, weil in dem Rechtsstreit 26 U 263/06, zu dem das fehlerhafte Deckblatt gehörte, bereits die Berufungsbegründung vorgelegen habe.

b) Dem Beklagten zu 2 ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; denn die Fristversäumung beruht nicht auf einem - ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden - Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 habe dafür Sorge tragen müssen, dass der Berufungsschriftsatz nicht zum Zweck der Vorbereitung der Übermittlung per Telefax auseinandergeheftet wird und hierbei Blätter des Schriftsatzes mit denen anderer Schriftsätze vertauscht werden, ist rechtsfehlerhaft.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gehört es zu den Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, das ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Er muss jedoch zu diesem Zweck nicht jeden Arbeitsschritt persönlich ausführen, sondern ist grundsätzlich befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal zu übertragen. Dies gilt auch für die Übermittlung einer Berufungsbegründungsschrift mittels eines Telefaxgerätes (BGH, Beschl. v. 4. April 2007 - III ZB 109/06, NJW-RR 2007, 1429 ,1430; v. 28. 0ktober 1993 - VII ZB 22/93, NJW 1994, 329 ; BVerfG, Beschl. v. 27. September 1995 - 1 BvR 414/95, NJW 1996, 309, 310). Der Rechtsanwalt darf sich nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Beschl. vom 4. April 2007 - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430 , 1431) grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt und ordnungsgemäß ausführt. Fehler des Büropersonals, die nicht auf eigenes Verschulden des Rechtsanwalts zurückzuführen sind, hat die Partei nicht zu vertreten (BVerfG, Beschl. v. 27. September 1995 aaO.; BGH, Beschl. v. 28.Oktober 1993 aaO.).

Allerdings kann sich die eigene Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts erhöhen, wenn auf Grund besonderer Umstände die Gefahr besteht, dass die an das Büropersonal übertragenen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 233 Rdn. 23 "Büropersonal und -organisation"; BGH, Beschl. v. 26. August 1999 - VII ZB 12/99, NJW 1999, 3783 , 3784). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Eine besondere Sorgfalt des sachbearbeitenden Rechtsanwalts war hier nicht schon deshalb geboten, weil die Berufungsbegründung in dem Parallelverfahren als Vorlage für die Berufungsbegründung in dieser Sache ausgedruckt worden war. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 musste nicht in Betracht ziehen, dass die bisher zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte die Deckblätter beider Schriftsätze vertauschen und die Berufungsbegründung mit einem unrichtigen Deckblatt versenden würde. Dies war auch nicht etwa deshalb zu befürchten, weil die Berufungsbegründung erst am Nachmittag des letzten Tages der Frist per Fax an das Berufungsgericht übermittelt wurde. Ebenso wenig kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand Bedeutung zu, dass bei dem Berufungssenat mehrere Berufungen mit den gleichen Beklagten und mit einem identischen Streitstoff anhängig waren, die jedoch nicht am gleichen Tag begründet wurden. Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte war deshalb entgegen der Meinung der Beschwerdeerwiderung nicht verpflichtet, der lediglich abstrakt bestehenden Verwechslungsgefahr durch einen besonderen Hinweis vorzubeugen; vielmehr durfte er ohne weiteres darauf vertrauen, dass die mit der Versendung mittels Telefax beauftragte Rechtsanwaltsfachangestellte den ihr übergebenen unterzeichneten Berufungsbegründungsschriftsatz unverändert an das Berufungsgericht versenden würde, auch wenn er ungeheftet war bzw. zur Übermittlung per Telefax auseinandergeheftet werden musste.

Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte habe dafür Sorge tragen müssen, dass bei der Faxübermittlung der zusammengehörende Schriftsatz nicht entheftet wurde.

Vorinstanz: KG, vom 30.04.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 26 U 16/07
Vorinstanz: LG Berlin, vom 10.01.2007 - Vorinstanzaktenzeichen 18 O 250/06
Fundstellen
AnwBl 2008, 207
BGHReport 2008, 342
FamRZ 2008, 505
MDR 2008, 355
NJW-RR 2008, 576
ZIP 2008, 900