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BGH - Entscheidung vom 13.02.2007

VI ZR 174/06

Normen:
BGB § 823 Abs. 1

BGH, Beschluß vom 13.02.2007 - Aktenzeichen VI ZR 174/06

DRsp Nr. 2007/6331

Arzthaftung: Verschulden des Arztes bei Schäden durch Bestrahlung

Verfügt ein Bestrahlungsgerät über Sicherungsvorrichtungen, die eine Überdosierung verhindern und haben diese Sicherungsvorrichtungen stets beanstandungsfrei funktioniert, so gereicht es dem behandelnden Arzt und auch dem Bedienpersonal nicht zum Verschulden, wenn es zu Strahlenschäden durch Überdosierung kommt, weil die Sicherungsvorrichtungen in einem Einzelfall ausgefallen sind.

Normenkette:

BGB § 823 Abs. 1 ;

Gründe:

I. 1. Die Klägerin verlangt von der Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz wegen Verbrennungen an ihren Händen, die nach einer medizinisch verordneten Bestrahlung am 9. November 1998 in der Praxis der Beklagten aufgetreten sind. Das Landgericht hat die Klage weitgehend zugesprochen. Auf die Berufung der Beklagten wurde das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Zur Durchführung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem am 17. Juli 2006 zugestellten Berufungsurteil hat die Klägerin am 11. August 2006 Prozesskostenhilfe beantragt. Der Senat hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2006 Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht des Rechtsmittels abgelehnt. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragte am 6. November 2006 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und legte Nichtzulassungsbeschwerde ein. Mit Schriftsatz vom 24. November 2006 beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde und begründete die Nichtzulassungsbeschwerde.

2. Der Klägerin ist die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Rechtsmittelfrist Prozesskostenhilfe beantragt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag so lange als ohne sein Verschulden an der Fristwahrung verhindert anzusehen, als er nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise nicht mit der Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, weil er sich für bedürftig im Sinne der §§ 114 ff. ZPO halten durfte und aus seiner Sicht alles getan hatte, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden konnte (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - XII ZB 125/05 - FamRZ 2006, 32 , 33 und vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901 f.; Zöller/Greger ZPO 26. Aufl. § 233 Rn. 23 "Prozesskostenhilfe"). Das ist im vorliegenden Fall gegeben, weil der Klägerin in den Vorinstanzen Prozesskostenhilfe bewilligt worden war. Nach Ablehnung der Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde hat sie die versäumten Prozesshandlungen, verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch, rechtzeitig und formgerecht nachgeholt (§§ 234 , 236 ZPO ).

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde bleibt erfolglos.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie wirft keine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage auf, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann noch berühren andere Auswirkungen des Rechtsstreits die Interessen der Allgemeinheit in besonderem Maße (vgl. BGHZ 151, 221 , 223; BGHZ 152, 182 , 191). Es handelt sich vielmehr um einen nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall. Das Berufungsurteil bedarf auch keiner Korrektur zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch eignet sich die Sache zur Fortentwicklung des Rechts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO ).

1. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich die Beklagte in Umkehr der Beweislast analog § 282 BGB a.F. (nunmehr § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ) vom Vorwurf des Verschuldens entlasten muss. Wegen des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Bestrahlung und den Verbrennungen ist anzunehmen, dass die Hautschäden der Klägerin durch eine überhöhte Strahlendosis in der Praxis der Beklagten verursacht worden sind. Hierbei handelt es sich um den Gefahrenbereich, der von der Beklagten voll beherrscht wird. Dementsprechend trägt in Anwendung des Rechtsgedankens des § 282 BGB a.F. die Beweislast für die Fehler- und Verschuldensfreiheit die Behandlungsseite (vgl. Senatsurteile vom 11. Oktober 1977 - VI ZR 110/75 - VersR 1978, 82 und vom 24. Januar 1995 - VI ZR 60/94 - VersR 1995, 539 , 540; OLG Hamm, VersR 1980, 1030 mit Nichtannahme-Beschluss des Senats vom 8. Juli 1980 - VI ZR 1/80; Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 5. Aufl. B 214). Als ihr günstig wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen nicht. Soweit sie angreift, dass das Berufungsgericht sich unter Würdigung der Umstände des Falles davon überzeugt hat, dass die Beklagte ein schuldhafter Sorgfaltsverstoß nicht trifft, bleibt sie erfolglos. Die der Auffassung des Berufungsgerichts zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen begegnen keinen durchgreifenden verfahrensrechtlichen Bedenken. Auch ist der vom Berufungsgericht angelegte objektive Sorgfaltsmaßstab bei Röntgenbehandlungen nicht zu beanstanden.

2. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine Haftung nur in Betracht kommt, wenn die Beklagte es zu verantworten hätte, dass sich das Bestrahlungsgerät entweder nicht in einem ordnungsgemäßen technischen Zustand befunden hat oder das Gerät nicht ordnungsgemäß bedient und überwacht worden ist. Dass im Regelfall die Sicherheit der Patienten bei der Behandlung aufgrund der Konstruktion des Geräts gewährleistet ist, zieht auch die Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Zweifel. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht darüber hinaus unter den Umständen des Streitfalls bis zu dem Vorfall mit der Klägerin weitere Schutzvorkehrungen durch die Beklagte für nicht geboten gehalten hat. Die Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Sch. , K. , Ko. und Prof. Dr. Se. stützen die Auffassung des Berufungsgerichts. Danach ist das Gerät mit einer automatischen Spannungskontrolle ausgestattet, die bei Nichtübereinstimmung von gewählter Spannungsstufe und Filtereinstellung die Strahlung blockiert. Die zulässigen und möglichen Kombinationen von Röhrenhochspannung und Filter sind über die Software dergestalt untrennbar miteinander verbunden, dass sie bei der Bedienung nicht geändert werden und somit auch manuell keine Kombinationen erzeugt werden können, die einen Strahlenschaden verursachen könnten. Entgegen der Behauptung der Nichtzulassungsbeschwerde haben weder der Sachverständige Prof. Dr. Sch. noch der Zeuge Kr. , deren Angaben vor dem Landgericht Erfurt im Parallelverfahren M. gegen J. (Az.: 4 O 981/00) im Einverständnis der Parteien zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemacht worden sind, bekundet, dass die Blockierung des Gerätes jemals vor dem Unfall versagt hätte. Erfolglos rügt deshalb die Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß gegen das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs.1 GG , weil das Berufungsgericht dies außer Acht gelassen habe. Der Strahlenschutzbeauftragte Kr. bekundete, dass es zwar zu Fehleinstellungen kommen könne, dann das Gerät jedoch eine Fehlermeldung mache und keine Strahlung mehr abgebe. Diese Angaben bestätigte der sachverständige Zeuge Ka. dahingehend, dass er anlässlich einer Begutachtung eine fehlerhafte Filterstellung provoziert habe; dies sei ihm jedoch nur gemeinsam mit dem Hersteller gelungen, weil hierbei in das Softwareprogramm des Geräts eingegriffen werden müsste. Der Sachverständige Prof. Dr. Sch. hat erklärt, dass es zwar Fehlermeldungen mit Toleranzunterschieden der Überwachungskanäle gegeben habe, es sei jedoch jedes Mal die Freigabe der Strahlung blockiert worden.

Waren aber Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit der eingebauten Fehlerkontrolle durch das Gerät ersichtlich nicht gegeben, begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte bis zum Unfall der Klägerin für eine visuelle Kontrolle der ordnungsgemäßen Filterwahl vor jeder Bestrahlung, wie sie von der zuständigen Behörde nach den Vorfällen ab dem 7. Dezember 1998 angeordnet worden ist, keine Veranlassung hatte und dazu auch nicht verpflichtet war, keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Auch der Sachverständige Dr. Wu. , auf dessen Äußerungen sich die Nichtzulassungsbeschwerde stützt, fordert eine solche Sorgfalt nicht. Zwar hat er für notwendig erachtet, dass die Beklagte bei der Durchführung der Bestrahlungsvorbereitung die korrekt zu verwendenden Zubehörteile visuell überprüft. Hierbei könnte es sich um Zubehör wie beispielsweise den Tubus handeln. Doch ist damit nicht gesagt, dass eine besondere visuelle Kontrolle auch des durch das Gerät automatisch eingelegten Filters vor jeder Bestrahlung durchzuführen ist, obwohl die Fehlerkontrolle des Geräts zuverlässig und wirksam funktioniert und auch keine Anhaltspunkte für einen Gerätefehler gegeben sind.

3. Die Haftung der Beklagten lässt sich auch nicht damit begründen, dass der Beweis für die Ursächlichkeit der Bestrahlung für die Verbrennungen der Klägerin nachträglich durch eine verspätete Meldung des Unfalls bei der Aufsichtsbehörde, Veränderungen am Bestrahlungsgerät und eine unzureichende Dokumentation der Vorfälle vereitelt worden sei. Auch wenn die Meldung des Unfalls bei der Aufsichtsbehörde nicht unverzüglich erfolgt sein sollte, was die Beklagte allerdings unter Beweisantritt in Abrede stellt, zeigt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf, welche Nachteile für die Durchsetzung des von der Klägerin behaupteten Anspruchs aus der Verzögerung entstanden sein könnten. Zwar erfolgte der Einbau eines weiteren Sicherheitskreises im Gerät der Beklagten, doch ist unstreitig, dass die zuständige Aufsichtsbehörde davon Kenntnis hatte und dies befürwortete, um weitere Schadensfälle zu vermeiden. Aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Sch. konnte das Berufungsgericht annehmen, dass diese Maßnahme die Begutachtung des Gerätes nicht beeinflusst hat. Der zweite Sicherheitskreis konnte ohne weiteres wieder entfernt und der ursprüngliche Zustand des Geräts wiederhergestellt werden. Die im Beschwerdeverfahren aufgestellte Behauptung, Techniker der Firma W. hätten weitere Eingriffe am Gerät vorgenommen, wodurch der Fehler verschleiert worden sei, ist neuer Tatsachenvortrag und im Revisionsverfahren nicht mehr zu berücksichtigen. Sie entbehrt zudem ersichtlich tatsächlicher Anhaltspunkte.

4. Schließlich begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Berufungsgericht im Fall der Klägerin festgestellt hat, dass die Behandlungsdaten vor der Bestrahlung richtig in den Computer des Röntgengerätes eingegeben wurden und die von der Klägerin erlittenen Schäden nicht durch die Benutzung eines falschen Tubus verursacht worden sein können. Diese Feststellungen werden gestützt durch das von der Beklagten nicht veränderbare Eingabeprotokoll und die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. Sch. und Prof. Dr. Se..

Nach alledem hat die Nichtzulassungsbeschwerde keinen Erfolg und ist mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Vorinstanz: OLG Thüringen, vom 12.07.2006 - Vorinstanzaktenzeichen 4 U 705/05
Vorinstanz: LG Erfurt, vom 24.06.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 8 O 2633/01