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BSG - Entscheidung vom 02.11.2006

B 1 KR 111/06 B

Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
SGB V § 27a Abs. 3 S. 1

BSG, Beschluß vom 02.11.2006 - Aktenzeichen B 1 KR 111/06 B

DRsp Nr. 2007/6628

Zulässigkeit der Ungleichbehandlung von privat und gesetzlich Versicherten in der Krankenversicherung

Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für zwei Systeme der Krankenversicherung, die unter Geltung des Sozialstaatsprinzips in dessen Ermessen fällt, ist die Ungleichbehandlung von Personen, die privat versichert sind, gegenüber den gesetzlich Versicherten. Sie verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG . [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

GG Art. 3 Abs. 1 ; SGB V § 27a Abs. 3 S. 1 ;

Gründe:

I

Der 1959 geborene Kläger zu 1. ist der Ehemann der 1963 geborenen Klägerin zu 2. Beide Ehegatten sind bei der beklagten Krankenkasse versichert. Sie haben ein gemeinsames, auf natürliche Weise gezeugtes Kind. Ein weiterer Kinderwunsch erfüllte sich bisher nicht. Eine im November/Dezember 2003 von der Beklagten finanzierte Intracytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) blieb ohne Erfolg. Im März 2004 beantragten die Kläger die Durchführung eines weiteren Versuchs der ICSI. Die Beklagte lehnte eine Übernahme von Behandlungskosten ab, weil die Klägerin zu 2. das 40. Lebensjahr vollendet habe und das Gesetz einen Anspruch auf medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nicht vorsehe, wenn weibliche Versicherte das 40. Lebensjahr vollendet haben. Widerspruch, Klage und Berufung hiergegen sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat ua ausgeführt, die in § 27a Abs 3 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung ( SGB V ) vorgesehene Altersgrenze von höchstens 40 Jahren für weibliche Versicherte sei verfassungsmäßig; sie verstoße insbesondere nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 3 Abs 1 Grundgesetz ( GG ) und das Recht auf Ehe und Familie aus Art 6 Abs 1 GG .

Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil. Sie machen die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

Die Beschwerde der Kläger ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 2 iVm § 169 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz ( SGG ) zu verwerfen. Sie genügt nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung von Revisionszulassungsgründen.

1. Die Beschwerde legt den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ) nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechend dar. Hierzu muss gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG eine Rechtsfrage klar formuliert und ausgeführt werden, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Derjenige, der sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung beruft, muss darlegen, woraus sich der Bedarf nach revisionsgerichtlicher Klärung der von ihm formulierten Rechtsfrage ergeben soll. Eine Rechtsfrage ist grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig, wenn sie bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). In diesem Fall muss deshalb dargetan werden, dass für die Frage - zB mit Blick auf einschlägige Kritik im Schrifttum oder bei den Instanzgerichten - erneut Klärungsbedarf entstanden ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Daran fehlt es.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Beschwerde mit der Frage, ob die Regelung des § 27a Abs 1 und 3 SGB V verfassungswidrig ist, hinreichend klar eine Rechtsfrage formuliert hat. Die Begründungsanforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts >BSG< (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; zuletzt BSG, Beschluss vom 4. April 2006 - B 12 RA 16/05 B - mwN) jedenfalls nicht dadurch geringer, dass ein Verstoß gegen Verfassungsrecht gerügt wird. Die Begründung darf sich daher nicht auf ein bloßes Berufen auf die angeblich verletzten Rechtsnormen des GG beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des BSG darlegen, woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; zuletzt BSG, Beschluss vom 4. April 2006 - B 12 RA 16/05 B - mwN). Hierzu ist insbesondere der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufzuzeigen, die Sachgründe ihrer jeweiligen Ausgestaltung sind zu erörtern und eine Verletzung der konkreten zitierten Regelung des GG ist darzulegen. Für die Prüfung der Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde ist das BSG auf das hierzu Vorgebrachte beschränkt. Im Kern wendet sich die Beschwerde danach dagegen, dass § 27a Abs 1 und 3 SGB V die Übernahme der Kosten für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf Frauen unter 40 Jahren beschränkt.

Die Frage sei klärungsbedürftig und höchstrichterlich noch nicht entschieden. Die Kläger meinen, die Begrenzung des Anspruchs aus § 27a Abs 1 und 3 SGB V auf Frauen bis zum Alter von höchstens 40 Jahren verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

Die Kläger legen die Klärungsbedürftigkeit nicht hinreichend dar. In der Rechtsprechung des BVerfG ist anerkannt, dass eine Differenzierung nach dem Geschlecht ausnahmsweise zulässig ist, wenn im Hinblick auf die objektiven biologischen oder funktionalen Unterschiede (zwischen Mann und Frau) nach der Natur des jeweiligen Lebensverhältnisses eine besondere Regelung erlaubt oder sogar geboten ist (vgl BVerfGE 74, 163 = SozR 2200 § 1248 Nr 47 mwN: unterschiedliche Zugangsalter für Altersrenten). Außerdem sind in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung generalisierende und pauschalierende Regelungen vor allem in den Bereichen der Sozialversicherung anerkannt. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen braucht der Gesetzgeber nicht um die differenzierende Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er ist vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl BVerfGE 87, 234 , 255 = SozR 3-4100 § 137 Nr 3 S 30 mwN).

Der erkennende Senat hat ebenfalls bereits entschieden, dass es vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art 3 Abs 1 GG einem weiten gesetzgeberischen Ermessen unterliegt, welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der GKV einbezogen und welche davon ausgenommen und damit - ganz oder teilweise - der Eigenverantwortung der Versicherten (vgl § 2 Abs 1 Satz 1 SGB V ) zugeordnet werden. Die Grenze ist dann erreicht, wenn sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zum Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt (BSGE 88, 166 , 170 ff = SozR 3-2500 § 28 Nr 5 S 29 f). Der Senat hatte keine Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von kieferorthopädischen Behandlungen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr bereits vollendet hatten, denn er hat die Altersgrenze durch medizinische Gründe als ausreichend begründet angesehen (BSGE 81, 245 , 250 = SozR 3-2500 § 28 Nr 3 S 12; entsprechend BSGE 91, 32 = SozR 4-2500 § 28 Nr sowie Beschluss vom 20. Juni 2005 - B 1 KR 20/04 B). Die Kläger tragen selbst vor, dass auch für die Altersgrenze für Frauen bei der künstlichen Befruchtung medizinische Gründe maßgeblich waren. Der Senat hat weiter bereits entschieden, dass die Versicherten in der GKV grundsätzlich nicht auf einen unveränderten Fortbestand der im Gesetz vorgesehenen Leistungen vertrauen können (BSGE 81, 245 , 250 = SozR 3-2500 § 28 Nr 3 S 11). Die Kläger haben weder Ausführungen dazu gemacht, dass die genannten Entscheidungen verfassungswidrig seien, noch dass darüber hinaus weiterer Klärungsbedarf besteht.

Soweit die Beschwerde den allgemeinen Gleichheitssatz deshalb beeinträchtigt sieht, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Frauen über 40 Jahren einen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung gegen ihre private Krankenversicherung haben können (BGHZ 164, 122 = NJW 2005, 3783 ), setzt sie sich nicht mit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes auseinander. Die Ungleichbehandlung von Personen, die privat versichert sind, gegenüber den gesetzlich Versicherten ist Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für zwei Systeme der Krankenversicherung. Das BVerfG hat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber trotz seiner Bindung an Art 3 Abs 1 GG weitgehend frei ist, Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung in der GKV festzulegen, soweit er nicht gleichheitswidrig bestimmte Gruppen ausschließt (BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 1964 - 1 BvL 4/59, BVerfGE 18, 38 , 45 f; vom 26. November 1964 - 1 BvL 14/62, BVerfGE 18, 257 , 265 ff; vom 16. Februar 1965 - 1 BvL 20/64, BVerfGE 18, 366 = SozR Nr 54, 55, 56 zu Art 3 GG ). Wie das BSG wiederholt ausgeführt hat, steht es unter Geltung des Sozialstaatsprinzips im Ermessen des Gesetzgebers, sich für verschiedene Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz unterschiedlich auswirkt (BSG, Urteil vom 26. September 1974 - 5 RJ 77/72, BSGE 38, 149, 150 = SozR 2200 § 1267 Nr 3 S 10; Urteil vom 5. Februar 1976 - 11 RK 2/75, BSGE 41, 157, 158 f = SozR 5420 § 2 Nr 2 S 2; Urteil vom 6. Dezember 1978 - 9 RV 78/77, BSGE 47, 259, 260 f = SozR 3100 § 40a Nr 6 S 16 f). Die unterschiedliche Behandlung in gesetzlicher und privater Krankenversicherung verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG . Klärungsbedarf ist auch insoweit nicht dargelegt.

Die Kläger machen geltend, dass die Verfassungsmäßigkeit von § 27a Abs 3 SGB V klärungsbedürftig sei, weil die gesetzgeberische Entscheidung, die Leistung zu kürzen, ihre Rechte auf Ehe und Familie aus Art 6 Abs 1 GG beeinträchtige. Die Kläger machen vor den Sozialgerichten Leistungsrechte auf Kostenerstattung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung geltend. Dass sich aus dem Förderungsgebot für Ehe und Familie ein Anspruch auf Leistungen der künstlichen Befruchtung gegen die Beklagte ergeben könnte, haben sie dagegen nicht dargelegt. Einer solchen Darlegung hätte es aber vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG bedurft, dass sich aus dem Förderungsgebot des Art 6 Abs 1 GG keine konkreten Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ableiten lassen (BVerfGE 107, 205 , 212 f = SozR 4-2500 § 10 Nr 1 RdNr 28).

Schließlich halten die Kläger für klärungsbedürftig, ob die Altersgrenze in § 27a Abs 3 Satz 1 SGB V unter dem Gesichtspunkt gegen ihre allgemeine Handlungsfreiheit aus Art 2 Abs 1 GG verstößt, dass ihnen trotz ihrer Beitragspflicht anerkannte Leistungen verweigert würden. Soweit die Beschwerde die Frage für klärungsbedürftig hält, weil eine Entscheidung über diese konkrete Fragestellung noch nicht ergangen sei und sie dem BSG Gelegenheit gebe, Leistungskürzungen verfassungsrechtlich zu beurteilen, legt sie einen Klärungsbedarf nicht hinreichend dar. Der Senat hat bereits mehrfach über die Frage der Zulässigkeit gesetzlicher Leistungskürzungen in der GKV entschieden. So hat er zB mit Urteil vom 10. Mai 2005 - B 1 KR 25/03 R (BSGE 94, 302 ff = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 >Viagra(r)<; vgl entsprechend Senat, Urteil vom 18. Juli 2006 - B 1 KR 10/05 R - RdNr 13 >Caverject(r)<) den Leistungsausschluss für Arzneimittel bestätigt, die der Behandlung der erektilen Dysfunktion dienen. Er hat dabei unter Anschluss an die Judikatur des BVerfG die einschlägigen verfassungsrechtlichen Aspekte mitberücksichtigt (BSGE 94, 302, aaO, RdNr 25 mwN). Dabei hat er den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers betont, der es grundsätzlich nicht erlaubt, originäre Leistungsansprüche aus dem Verfassungsrecht abzuleiten. Dieser Gestaltungsspielraum wird nicht überschritten, wenn angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV einzelne Leistungen aus dem Leistungskatalog herausgenommen oder der Höhe nach beschränkt werden. Nichts anderes folgt aus dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98 (SozR 4-2500 § 27 Nr 5 = NZS 2006, 84 = NJW 2006, 891 = MedR 2006, 164). Er hat die Zulässigkeit eines begrenzten Leistungskatalogs der GKV bestätigt und nur eine verfassungskonforme Auslegung derjenigen Rechtsnormen des SGB V gefordert, die bei regelmäßig tödlich verlaufenden bzw lebensbedrohlichen Krankheiten einen Leistungsausschluss bewirken (vgl auch BSG, Urteil vom 4. April 2006 - B 1 KR 7/05 R - RdNr 23, zur Veröffentlichung vorgesehen).

2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat in entsprechender Anwendung von § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG ab.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: Hessisches Landessozialgericht 8. Senat - L 8 KR 87/05 - 29.06.2006,
Vorinstanz: SG Darmstadt, vom 29.04.2005 - Vorinstanzaktenzeichen S 10 KR 449/04