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BSG - Entscheidung vom 04.10.2006

B 12 R 7/06 B

Normen:
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 § 160a Abs. 2 S. 3

BSG, Beschluß vom 04.10.2006 - Aktenzeichen B 12 R 7/06 B

DRsp Nr. 2006/29841

Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage bei der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren

Die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage ist allein mit einer nicht näher erläuterten und dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Auslegung nicht iS von § 160a Abs. 2 S. 3 SGG dargelegt, wenn der Gesetzeswortlaut gegen die eigene, in der Beschwerdebegründung vertretene Auffassung spricht. In einem solchen Fall bedarf es der Herleitung der widersprechenden eigenen Auslegung aus dem Zweck der Vorschrift, der Entstehungsgeschichte oder dem Gesamtzusammenhang, in den die Norm gestellt ist. [Nicht amtlich veröffentlichte Entscheidung]

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1 § 160a Abs. 2 S. 3 ;

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten um die Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht als selbstständige Hebamme in der gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den Befreiungsantrag ab. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos. Zur Begründung seines Urteils vom 16. März 2006 hat das Landessozialgericht für das Saarland (LSG) ua ausgeführt, dass eine Befreiung nach § 231 Abs 6 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung ( SGB VI ) nicht begehrt werden könne, weil die Klägerin vor dem 31. Dezember 1998 Kenntnis von ihrer Rentenversicherungspflicht gehabt habe. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde ist unzulässig, denn die Klägerin hat in der Begründung keinen Zulassungsgrund in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes ( SGG ) gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet.

Das Bundessozialgericht (BSG) darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder

- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder

- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).

1. Die Klägerin beruft sich zunächst auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Die Beschwerdebegründung muss hierzu ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN - stRspr; vgl auch BVerwG SozR 3-1500 § 160a Nr 7). Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). - Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,

"-

ob es für die Verneinung des Vorliegens eines Befreiungstatbestandes gemäß § 231 Abs. 6 SGB VI ausreicht, dass ein betroffener Bürger rund 6 Jahre vor entsprechendem Stichtag anläßlich einer in anderem Zusammenhang (Bestehen eines versicherungspflichtigen abhängigen Anstellungsverhältnisses) geführten Korrespondenz von Seiten der Rentenversicherung über das Entstehen einer Beitragspflicht für den Fall des (späteren) Vorliegens einer überwiegend selbständigen Tätigkeit belehrt wird, und die insoweit einmal erlangte Kenntnis jedenfalls als fortwirkend zu behandeln ist,

-

oder ob es umgekehrt unschädlich für das Bejahen des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 231 Abs. 6 SGB VI , dass solche Hinweise einmal zu einem früheren Zeitpunkt in anderem Zusammenhang gegeben wurden, jedoch vom betroffenen Bürger zu diesem Zeitpunkt gar nicht registriert und beachtet, jedenfalls jedoch in den Folgejahren in Vergessenheit geraten sind mit der Folge, daß sie zum maßgeblichen Stichtag (31.12.1998) nicht (mehr) präsent sind."

Es kann unerörtert bleiben, ob damit schon eine hinreichend konkrete Rechtsfrage formuliert ist, über die in einem Revisionsverfahren zu entscheiden wäre. Jedenfalls hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage in der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt. Sie hat nicht in der gebotenen Weise dargelegt, warum eine Überschreitung des Wortlauts des § 231 Abs 6 Satz 1 Nr 1 SGB VI ("... bis zu diesem Zeitpunkt ..."), der auch aus ihrer Sicht für die vom LSG vorgenommene Auslegung spricht, möglich erscheint. Spricht der Gesetzeswortlaut gegen die eigene, in der Beschwerdebegründung vertretene Auffassung, ist die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage allein mit einer nicht näher erläuterten und dem Wortlaut des Gesetzes widersprechenden Auslegung nicht iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargelegt (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 59). Vielmehr bedarf es in einem solchen Fall der Herleitung der widersprechenden eigenen Auslegung aus dem Zweck der Vorschrift, der Entstehungsgeschichte oder dem Gesamtzusammenhang, in den die Norm gestellt ist. Aus welchen Gründen sich - unter Heranziehung der einschlägigen Auslegungsmethoden - über den Wortlaut der Bestimmung hinaus ein gesetzgeberischer Wille dahin ergeben soll, dass "darauf abzustellen ist, was zum Zeitpunkt der Antragstellung an Kenntnis vorhanden ist und was nicht", hat die Klägerin nicht ausgeführt. Dass die Interpretation des Berufungsgerichts "unhaltbar" sei, weil vom Bürger "nicht gefordert werden könne", behördlicherseits mitgeteilte Hinweise auf bestimmte rechtliche Erfordernisse zur Kenntnis zu nehmen, zu "speichern" und über längere Zeit zu behalten, reicht als Darlegung ebenso wenig aus wie der Vortrag, die vom LSG gewählte Auslegung sei "augenscheinlich" nicht vom Willen des Gesetzgebers getragen. Auch hat die Klägerin nicht dargetan, an welcher Stelle der Gesetzestext die von ihr behauptete und in ihrem Sinne liegende Formulierung enthält, wonach eine entsprechende Unkenntnis "zum Zeitpunkt der Antragstellung" vorhanden sein muss. Schließlich hat sich die Klägerin nicht mit der zu § 231 Abs 6 SGB VI ergangenen Rechtsprechung des Senats auseinandergesetzt sowie damit, ob sich hieraus nicht möglicherweise ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von ihr herausgestellten Rechtsfrage ergeben können. So hat der Senat beispielsweise in seinem Urteil vom 23. November 2005 (B 12 RA 13/04 R = SozR 4-2600 § 231 Nr 2) zum Charakter der Befreiungsnorm als besonderer Ausnahmenorm Stellung genommen und hieraus geschlossen, dass § 231 Abs 6 SGB VI eng auszulegen sei (dort RdNr 15 und 17). Auch hat er hierin - wenn auch für Selbstständige, die laufend Pflichtbeiträge gezahlt haben - ausgeführt, dass die der Vorschrift zu Grunde liegende Problemlage es rechtfertige, solche Selbstständigen vom Befreiungsrecht auszunehmen, die "vor dem 31. Dezember 1998" von ihrer Rentenversicherungspflicht Kenntnis hatten. Ist demnach die Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargetan, so fehlen in der Beschwerdebegründung überdies erforderliche Ausführungen zu den (weiteren) Befreiungsvoraussetzungen des § 231 Abs 6 Satz 1 SGB VI , etwa der Nr 3. Denn in der Befreiungsvorschrift ist die fehlende Kenntnis von der Versicherungspflicht nur als eine der Voraussetzungen für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht normiert.

2. Auch einen möglicherweise entscheidungserheblichen Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG ) hat die Klägerin nicht bezeichnet.

Die als Verfahrenfehler geltend gemachte Verletzung des § 103 SGG kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nur darauf gestützt werden, dass das Berufungsgericht einem Beweisantrag (im hier maßgeblichen Sinn der Zivilprozessordnung ) ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Es kann unerörtert bleiben, ob die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 1. September 2004 einen oder mehrere diesen Anforderungen genügende Anträge überhaupt bezeichnet hat. Jedenfalls muss ein Beweisantrag, um der hiermit verbundenen Warnfunktion (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 9) genügen zu können, der Tatsacheninstanz unmittelbar vor deren abschließender Entscheidung vor Augen führen, dass die Klagepartei die gerichtliche Sachaufklärung in einem bestimmten Punkt noch nicht als erfüllt ansieht. Die Klägerin hat indes nicht - wie dies demzufolge erforderlich gewesen wäre - vorgetragen, dass sie die im Rahmen der Berufungsbegründung gestellten Anträge auf Zeugeneinvernahme jeweils noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 16. März 2006 aufrechterhalten hat (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 64).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen, § 160a Abs 4 Satz 3 Halbsatz 2 SGG .

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG .

Vorinstanz: Landessozialgericht für das Saarland 1. Senat - L 1 RA 25/04 - 16.03.2006,
Vorinstanz: SG Saarbrücken - S 9 RA 293/02 - 12.02.2004,