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BGH - Entscheidung vom 24.11.2005

V ZB 95/05

Normen:
ZVG § 45 Abs. 1
GBBerG § 9 Abs. 5

BGH, Beschluß vom 24.11.2005 - Aktenzeichen V ZB 95/05

DRsp Nr. 2006/212

Berücksichtigung einer Grunddienstbarkeit zugunsten eines Versorgungsträgers in der Zwangsversteigerung

Weder die Entstehung einer Dienstbarkeit zugunsten von Versorgungsunternehmen gem. § 9 Abs. 1 S. 1 GBBerG kraft Gesetzes, noch die Einschränkung des gutgläubigen Erwerbs nehmen dem Versorgungsunternehmen das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 45 Abs. 1 ZVG .

Normenkette:

ZVG § 45 Abs. 1 ; GBBerG § 9 Abs. 5 ;

Gründe:

I. Die Beteiligte zu 1 betreibt die Zwangsversteigerung in im Grundbuch von B. S. eingetragene Miteigentumsanteile. Die Beteiligte zu 7 beantragte unter Berufung auf § 1 Sachenrechts-Durchführungsverordnung ( SachenR -DV), eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit für eine öffentliche Trinkwasserleitung nebst Schutzstreifen in das geringste Gebot aufzunehmen. Das Amtsgericht hat den Antrag mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses zurückgewiesen. Der Meistbietende erhielt den Zuschlag.

Dagegen hat die Beschwerdeführerin sofortige Beschwerde erhoben. Sie hat beantragt, unter Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses das Zwangsversteigerungsverfahren unter Aufnahme einer zu ihren Gunsten gesetzlich begründeten Dienstbarkeit für Regen- und Schmutzwasserleitungen in das geringste Gebot fortzusetzen. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 , Abs. 3 Satz 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt:

Ob die Antragstellerin ein Rechtsschutzbedürfnis gehabt habe, dass ihr Recht gemäß den §§ 44 Abs. 1 , 45 Abs. 1 ZVG berücksichtigt wurde, könne dahin stehen. Denn das Amtsgericht habe die Aufnahme in das geringste Gebot zu Recht verweigert, weil der Antragstellerin das angemeldete Recht nicht mehr zugestanden habe. Mit § 9 Abs. 9 des Grundbuchbereinigungsgesetzes ( GBBerG ) habe der Bundestag die Bundesregierung ermächtigt, die in § 9 Abs. 1 GBBerG erlassenen Bestimmungen ganz oder teilweise auf Anlagen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu erstrecken. Eine entsprechende Regelung habe die Bundesregierung mit der Sachenrechts-Durchführungsverordnung getroffen. Gemäß § 9 Abs. 9 Satz 2 GBBerG sei die Erstreckung jedoch ausdrücklich nur bis zum Ablauf des 31. Dezember 1995 zulässig gewesen; danach habe die Erstreckung ihre Wirkung verloren. Deshalb existiere seitdem keine Rechtsgrundlage mehr für die von der Antragstellerin behauptete beschränkte persönliche Dienstbarkeit an dem Grundbesitz.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

a) Ohne Rechtsfehler geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass die Zuschlagsbeschwerde statthaft ist. Eine fehlerhafte Feststellung des geringsten Gebots kann nur mit der Zuschlagsbeschwerde angegriffen werden (§§ 83 Nr. 1 , 95 , 100 Abs. 1 ZVG ).

b) Das Beschwerdegericht prüft nicht, ob das von der Beschwerdeführerin angemeldete Recht gemäß den §§ 44 Abs. 1 , 45 Abs. 1 ZVG bei der Aufstellung des geringsten Gebots berücksichtigt werden musste. Es lässt dahin stehen, ob ein Rechtsschutzbedürfnis für die Berücksichtigung des Rechts der Antragstellerin zu bejahen ist. Dies ist indes der Fall.

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 GBBerG wird zum Besitz und Betrieb sowie zur Unterhaltung und Erneuerung von Energieanlagen (Anlagen zur Fortleitung von Elektrizität, Gas und Fernwärme, einschließlich aller dazugehörigen Anlagen, die der Fortleitung unmittelbar dienen) auf Leitungstrassen, die am 3. Oktober 1990 in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet genutzt waren, zugunsten des Versorgungsunternehmens (Energieversorgungsunternehmen im Sinne des Energiewirtschaftsgesetzes und Fernwärmeversorgungsunternehmen), das die jeweilige Anlage bei Inkrafttreten dieser Vorschrift betreibt, am Tage des Inkrafttretens der Vorschrift eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit an den Grundstücken begründet, die von der Energieanlage in Anspruch genommen werden. Eine Dienstbarkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 GBBerG entstand mithin von Gesetzes wegen mit dessen Inkrafttreten am 25. Dezember 1993, wobei es alleine darauf ankommt, ob das betroffene Grundstück am 3. Oktober 1990 für eine Energiefortleitungsanlage genutzt wurde (vgl. BGHZ 157, 144 , 145; Demharter, GBO , 25. Aufl., Anhang zu §§ 84-89, Rdn. 44, 50; Schmidt-Räntsch, VIZ 1995, 1, 2). Die Regelungen des § 9 Abs. 1 bis 7 GBBerG gelten mit Wirkung ab dem 11. Januar 1995 (vgl. § 14 SachenR -DV) gemäß § 1 SachenR -DV im Wesentlichen auch für die in § 9 Abs. 9 Satz 1 GBBerG bezeichneten wasserwirtschaftlichen Anlagen, insbesondere also für Anlagen der öffentlichen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung (Nr. 1).

Gemäß § 9 Abs. 5 GBBerG berichtigt das Grundbuchamt das Grundbuch auf Antrag des Versorgungsunternehmens entsprechend dem Inhalt der Bescheinigung der Aufsichtsbehörde (Abs. 4), wenn die im Folgenden genannten Antragsvoraussetzungen vorliegen. Für die Dienstbarkeit gelten grundbuchrechtlich und materiellrechtlich die allgemeinen Regeln, soweit sich aus dem Grundbuchbereinigungsgesetz und der Sachenrechts-Durchführungsverord-nung nichts Abweichendes ergibt (vgl. auch § 9 Abs. 6 Satz 2 GBBerG ). Insoweit bestimmt allerdings § 9 Abs. 1 Satz 2 GBBerG , dass § 892 BGB nur in Ansehung des Ranges für Anträge gilt, die nach dem Inkrafttreten des Grundbuchbereinigungsgesetzes gestellt werden, im Übrigen erst für Anträge, die nach dem 31. Dezember 2010 gestellt werden. Ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb der belasteten Grundstücke mit der Wirkung, dass die kraft Gesetzes entstandenen Dienstbarkeiten erlöschen, ist mithin nur möglich, wenn die Antragstellung des Versorgungsunternehmens nach dem genannten Datum erfolgt (vgl. Demharter, aaO., Rdn. 48; Seelinger, DtZ 1995, 34 f.).

Weder die Entstehung der Dienstbarkeit kraft Gesetzes noch die Einschränkung des gutgläubigen Erwerbs nehmen indes dem Versorgungsunternehmen das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag nach § 45 Abs. 1 ZVG . Die Anmeldung ist erforderlich zur Erlangung der Stellung als Beteiligter (§ 9 Nr. 2 ZVG ), zur Aufnahme nicht aus dem Grundbuch ersichtlicher Rechte in das geringste Gebot (§ 45 ZVG ) und zur Rangwahrung (vgl. §§ 10 , 110 ZVG ). Aus § 44 Abs. 1 ZVG ergibt sich, dass eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit als Recht am Grundstück (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG ) in das geringste Gebot aufzunehmen ist, wenn ein nachrangiger Gläubiger die Zwangsvollstreckung betreibt. Rechte, die bei der Feststellung des geringsten Gebotes nicht berücksichtigt werden bzw. nicht nach den Versteigerungsbedingungen oder aufgrund besonderer Vereinbarung bestehen bleiben sollen, erlöschen (§§ 52 Abs. 1 , 91 Abs. 1 , 2 ZVG ).

Es muss hier nicht erörtert werden, unter welchen Voraussetzungen eine nach § 9 GBBerG gesetzlich begründete Dienstbarkeit trotz durchgeführter Zwangsversteigerung bei den verschiedenen in Betracht kommenden Fallgestaltungen Bestand hat. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass die Dienstbarkeit jedenfalls bei der Zwangsversteigerung durch einen vorrangigen Gläubiger erlöschen kann (BT-Drucks. 12/6228 S. 76). Aber auch schon die Möglichkeit, dass sie unter den Voraussetzungen des vorliegenden Falles bei unterlassener Aufnahme in das geringste Gebot erlischt, begründet ein ausreichendes Rechtsschutzinteresse des Versorgungsunternehmens an der Antragstellung und daran, dass seine Dienstbarkeit bei der Aufstellung des geringsten Gebots berücksichtigt wird.

c) Unrichtig ist die Auffassung des Beschwerdegerichts, auf die vorstehenden Erwägungen komme es nicht an, weil der Antragstellerin das angemeldete Recht jedenfalls nicht mehr zustehe.

aa) Das Beschwerdegericht stützt dies auf § 9 Abs. 9 GBBerG . Dort heißt es:

"Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die vorstehende Regelung und auf Grund von Absatz 8 erlassene Bestimmungen ganz oder teilweise zu erstrecken auf

1. Anlagen der öffentlichen Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung ...

2. ...

3. ...

Die Erstreckung ist nur bis zum Ablauf des 31. Dezember 1995 zulässig und soll erfolgen, soweit dies wegen der Vielzahl der Fälle oder der Unsicherheit der anderweitigen rechtlichen Absicherung erforderlich ist..."

Das Beschwerdegericht entnimmt dem, die Bundesregierung sei nicht ermächtigt gewesen, eine Dienstbarkeit zugunsten der in § 9 Abs. 9 GBBerG genannten Versorgungsunternehmen über den 31. Dezember 1995 hinaus zu "erstrecken". Dem kann nicht gefolgt werden. Das genannte Datum kennzeichnet ersichtlich nur den Zeitpunkt, bis zu dem die in § 9 Abs. 1 GBBerG genannten Versorgungsunternehmen durch Rechtsverordnung mit den in § 9 Abs. 1 GBBerG genannten Versorgungsunternehmen gleich gestellt werden durften.

§ 9 Abs. 9 GBBerG besagt also lediglich, dass die Rechtsverordnung bis zum 31. Dezember 1995 erlassen werden musste; eine später ergangene Rechtsverordnung der Bundesregierung wäre von der Verordnungsermächtigung des § 9 Abs. 9 GBBerG nicht mehr gedeckt gewesen (vgl. Zimmermann in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, B 425 § 9 GBBerG Rdn. 91 und 95). Die Annahme, der Gesetzgeber habe bereits begründete Dienstbarkeiten auf den genannten Zeitpunkt befristen wollen, findet im Gesetz keine Stütze und wird - soweit ersichtlich - außer von dem Beschwerdegericht auch von niemandem vertreten.

Sie widerspricht auch Sinn und Zweck der Begründung derartiger Dienstbarkeiten (vgl. dazu BT-Drucks. 12/6228 S. 76; BGHZ 157, 144 , 146 ff.; Schmidt-Räntsch, aaO., S. 1 f.; ders. RdE 1994, 214, 215; Seelinger, aaO., S. 34). Energieversorgungsunternehmen benötigen zur Erfüllung ihrer auch im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben sichere Leitungsführungsrechte. Als sinnvoll erscheint allein eine dingliche Sicherung. Eine vergleichbare Sicherung gab es im Gebiet der ehemaligen DDR nicht. Eine Ablösung der bestehenden Rechtssituation, insbesondere der Mitnutzungsrechte, durch die Bestellung privatrechtlicher Dienstbarkeiten auf jedem der mehreren Millionen betroffenen Grundstücke erschien aus praktischen Gründen nicht durchführbar. Deshalb entschloss sich der Gesetzgeber, die zur Sicherung der Leitungsführungsrechte erforderlichen dauerhaften dinglichen Sicherungen durch Gesetz zu begründen. Dieser Hintergrund gilt sowohl für die in § 9 Abs. 1 GBBerG als auch für die in § 9 Abs. 9 GBBerG genannten Versorgungsunternehmen. Die Begründung von auf den 31. Dezember 1995 befristeten Dienstbarkeiten für die Letztgenannten wäre offensichtlich nicht geeignet gewesen, diesen für die Zukunft sichere Leitungsführungsrechte zu verschaffen. Dadurch wären keine dauerhaften dinglichen Rechte geschaffen worden. Unverständlich wäre für diesen Fall zudem, warum § 9 Abs. 9 GBBerG uneingeschränkt auf die Absätze 1 bis 8 der Vorschrift verweist, insbesondere auf die bis zum 31. Dezember 2010 befristete beschränkte Anwendbarkeit des § 892 BGB (Abs. 1 Satz 2) und die auf Zahlungszeitpunkte in den Jahren 2001 und 2011 abstellende Ausgleichszahlungsregelung (Abs. 3).

Dem entsprechend hat der Bundesgerichtshof in dem Beschluss vom 31. Januar 2002 ( III ZR 136/01, WM 2002, 1135 ff.), in dem u.a. um das Entstehen einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit nach § 9 GBBerG für eine einen öffentlichen Verkehrsweg kreuzende Abwasserleitung erörtert wird, nicht in Betracht gezogen, das Recht könne schon wegen Zeitablaufs erloschen sein.

bb) Von der in § 9 Abs. 9 GBBerG eingeräumten Möglichkeit der Erstreckung des § 9 Abs. 1 bis 8 GBBerG auf die genannten wasserwirtschaftlichen Versorgungsunternehmen hat die Bundesregierung durch die Sachenrechts-Durchführungsverordnung vom 20. Dezember 1994, in Kraft seit dem 11. Januar 1995 (§ 14), Gebrauch gemacht. Das Bestehen einer Dienstbarkeit der Antragstellerin kann mithin nicht mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung verneint werden.

III. Die Sache ist an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Dieses hat - von seinem Rechtsstandpunkt her konsequent - bisher nicht festgestellt, ob das Recht der Antragstellerin vorrangig ist und inwieweit die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 ZVG (fehlender Widerspruch der Gläubiger oder Glaubhaftmachung des Rechts der Antragstellerin) vorliegen. Das wird nachzuholen sein. Falls ein vorrangiges Recht besteht und die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1 ZVG vorliegen, ist der Zuschlagsbeschluss aufzuheben und das Verfahren bei dem Amtsgericht unter Berücksichtigung des Rechts der Antragstellerin bei der Aufstellung des geringsten Gebots fortzusetzen.

Vorinstanz: LG Neubrandenburg, vom 19.05.2005 - Vorinstanzaktenzeichen 4 T 115/05
Vorinstanz: AG Neubrandenburg, vom 04.04.2005 - Vorinstanzaktenzeichen K 31/04