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BGH - Entscheidung vom 02.02.2005

5 StR 393/04

Normen:
StGB § 15 § 212 Abs. 1

BGH, Urteil vom 02.02.2005 - Aktenzeichen 5 StR 393/04

DRsp Nr. 2005/4983

Bedingter Tötungsvorsatz bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen

1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. 2. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter auch mit der Möglichkeit, dass das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.

Normenkette:

StGB § 15 § 212 Abs. 1 ;

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten K wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Angeklagte greift das Urteil mit verfahrens- und sachlichrechtlichen Beanstandungen an; die Staatsanwaltschaft macht mit der Sachrüge geltend, das Landgericht habe zu Unrecht bei dem Angeklagten das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint. Beide Revisionen haben keinen Erfolg.

I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

1. Nach einer gemeinsamen Feier in Glöwen, an welcher der Angeklagte K und die Mitangeklagten Bu, E, M, W und Kl teilgenommen hatten, kam es am 17. Januar 2003 nachts auf einer Landstraße aus nichtigem Anlaß zu mehreren tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Angeklagten und dem Nebenkläger Bl, der sich zu Fuß auf dem Heimweg befand. Bl wurde zunächst von den Angeklagten W und Kl angegriffen, und einige Zeit später von den Angeklagten Bu und M, die W alarmiert hatte, gegen Kopf und Körper getreten und geschlagen, wobei diese Angeklagten Schuhe mit Stahlkappen trugen. Hierdurch erlitt der Zeuge bereits erhebliche Gesichtsverletzungen und verlor zeitweise das Bewußtsein.

2. Danach kehrten Bu, M und W nach Glöwen zurück und berichteten ihren Freunden, darunter auch dem Angeklagten K, daß sie Bl verprügelt hätten. Aus nicht feststellbaren Gründen schlug nun K vor, noch einmal zu dem Geschädigten zu fahren, und brach gemeinsam mit den Angeklagten W, Bu und E zum Tatort auf. Dort hatten inzwischen zwei Autofahrer Bl entdeckt, angehalten und die Polizei alarmiert. Als Bl die Angeklagten auf sich zukommen sah, versuchte er sich aufzurichten, was ihm jedoch aufgrund seiner zuvor erlittenen Verletzungen nicht gelang. Während sich die beiden Autofahrer aufgrund der bedrohlichen Situation einige Meter zurückzogen, versetzten die Angeklagten E, K und Bu dem Opfer Schläge und Tritte gegen den Körper, wobei K Turnschuhe trug; zumindest Bu trat allerdings mit Wissen und Billigung seiner Mittäter - er trug Schuhe mit Stahlkappen - auch gegen dessen Kopf. Bl wimmerte vor Schmerzen und stöhnte: "Ich kann nicht mehr!" Gleichwohl setzte jedenfalls Bu die Mißhandlungen fort, wobei er K, der eine Bierflasche in der Hand hielt, aufforderte, ihm diese auszuhändigen. Dies tat K in dem Glauben, daß Bu etwas trinken wolle. Bu zerschlug jedoch die Flasche auf dem Kopf des Geschädigten, der hierdurch wiederum das Bewußtsein verlor. Alsdann verließen die Angeklagten den Tatort.

3. Der Zeuge erlitt durch die Mißhandlungen eine laterale Mittelgesichtsfraktur, eine verschobene Jochbeinfraktur und eine beidseitige Oberkieferfraktur sowie stark blutende Quetsch- und Rißwunden. Seine Nase war gebrochen und schief gestellt. Am Rumpf und an den Knien waren Schürfwunden und Hämatome entstanden; diese Verletzungen waren jedoch relativ geringfügig und sind folgenlos verheilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts befand Bl sich in konkreter Lebensgefahr, da die Tritte gegen den Kopf auch zu Knochenbrüchen am Gesichtsschädel hätten führen, die ihrerseits tödliche Verletzungen des Gehirns hätten zur Folge haben können. Außerdem hätte der Geschädigte ohne rechtzeitige Hilfe verbluten können. Als Folgeschaden ist ein durch die Quetschung eines Augenmuskels verursachter Doppelblick verblieben, der nur durch das Tragen einer sogenannten Prismenbrille ausgeglichen werden kann.

4. Mit Ausnahme des Angeklagten Bu, den das Landgericht wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, hat die Strafkammer das Tatgeschehen hinsichtlich aller anderen Angeklagten (nur) als gefährliche Körperverletzung bewertet. Die Verurteilungen der Angeklagten W und M sind durch Beschluß des Senats nach § 349 Abs. 2 StPO vom heutigen Tag (5 StR 393/04) rechtskräftig. Die Angeklagten Bu und Kl haben kein Rechtsmittel eingelegt; die zuungunsten des Angeklagten E eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft ist zurückgenommen worden.

II. 1. Revision der Staatsanwaltschaft.

Die Ablehnung eines (bedingten) Tötungsvorsatzes hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, daß der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen, wie sie das Landgericht hier festgestellt hat, nahe, daß der Täter auch mit der Möglichkeit, daß das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1 - 3, 5 - 14, 16, 23, 24, 30).

b) Das Landgericht hat in seiner ausführlichen Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes ausdrücklich die Lebensgefährlichkeit der Tritte durch den Mittäter Bu mit schwerem Schuhwerk gegen den Kopf des schon erheblich verletzten Opfers erörtert und auch festgestellt, daß der Angeklagte dabei die abstrakte Möglichkeit einer tödlichen Verletzung erkannt hat. Den von Bu mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Schlag mit der Bierflasche hat es auf der Grundlage rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung als Mittäterexzeß dem Angeklagten K nicht zugerechnet.

Im Ergebnis hat sich die Jugendstrafkammer aufgrund einer Gesamtabwägung aller Tatumstände unter besonderer Berücksichtigung der Einlassung des - selbst nur mit Turnschuhen gegen den Körper des Opfers tretenden - Angeklagten letztlich nicht davon überzeugen können, daß dieser auch die konkrete Möglichkeit des Todeseintritts erkannt und dieses Ergebnis billigend in Kauf genommen hätte. Angesichts der ausführlichen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten und des Tat- und Verletzungsbildes läßt die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe letztlich darauf vertraut, ein tödlicher Erfolg werde nicht eintreten und einen solchen Erfolg auch nicht gebilligt, durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen, wenn auch - wie die Revision der Staatsanwaltschaft im Ansatz zutreffend vorbringt - eine andere Wertung möglich oder gar näherliegend gewesen wäre.

Der Strafausspruch enthält - auch angesichts des Umstandes, daß in Fällen der hier vorliegenden Art der Unrechtsgehalt einer gefährlichen Körperverletzung nicht beträchtlich geringer sein muß, als der eines gemeinschaftlichen versuchten Totschlags (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 - 5 StR 290/04) - keinen durchgreifenden Rechtsfehler.

2. Revision des Angeklagten.

Die Revision des Angeklagten ist unbegründet; die sachlichrechtliche Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

Vorinstanz: LG Neuruppin, vom 15.03.2004