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BGH - Entscheidung vom 23.02.2023

V ZB 35/22

Normen:
WEG § 45

BGH, Beschluss vom 23.02.2023 - Aktenzeichen V ZB 35/22

DRsp Nr. 2023/4992

Sachentscheidung des Gerichts über eine Beschlussklage hinsichtlich Wahrung der Anfechtungsfrist und Begründungsfrist

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Berlin - Zivilkammer 85 - vom 30. Juni 2022 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 10.805,85 €.

Normenkette:

WEG § 45 ;

Gründe

I.

Der Kläger ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Mit Klageschrift vom 5. August 2021 hat er - soweit noch von Interesse - zunächst beantragt, den Beschluss zu TOP 4 der Eigentümerversammlung vom 5. Juli 2021 betreffend die Jahresabrechnung 2020 mit der Maßgabe für ungültig zu erklären, dass (1.) die Verwendung der Instandsetzungsrücklage zur Begleichung einer Rechnung vom 16. November 2020 über 19.115,29 € in vollem Umfang und (2.) aus dem Konto "Laufende Instands." die Verwendung zur Begleichung von drei näher beschriebenen Rechnungen über 928,20 €, 1.948,80 € und 291,18 € ungültig seien. Das Amtsgericht hat den Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte, weil es für den Erfolg einer Anfechtungsklage seit der Reform des Wohnungseigentumsrechts nicht mehr genüge, dass lediglich einzelne Teile der Jahresabrechnung fehlerhaft seien, solange sich dieser Fehler nicht auf die Zahlungspflicht ausgewirkt habe. Nach Abweisung der Klage durch Versäumnisurteil hat der Kläger Einspruch eingelegt und beantragt, das Versäumnisurteil aufzuheben und den am 5. Juli 2021 gefassten Beschluss zu TOP 4 der Jahreseinzelabrechnung insoweit für ungültig zu erklären, als der Betrag der Einzelkosten 2.243,50 € übersteigt und die anteilige Instandhaltungsrücklage einen Betrag von 3.726,71 € unterschreitet. Das Amtsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und den von ihm in der Klageschrift vom 5. August 2021 formulierten Antrag gestellt, wobei allerdings die Rechnung i.H.v. 291,18 € nicht mehr aufgeführt wird. Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt.

II.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil der Kläger den in der ersten Instanz erhobenen Anspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt. Der Kläger stelle die Anträge aus der Klageschrift. Diese habe er jedoch in der ersten Instanz nicht zur Entscheidung gestellt, vielmehr habe er die Anträge in dem Einspruchstermin umgestellt. Dies sei vor dem Hintergrund, dass das Zahlenwerk der Jahresabrechnung nicht mehr Gegenstand des Beschlusses gemäß § 28 Abs. 2 WEG sei, zutreffend. Deshalb habe sich der von dem Kläger zuletzt gestellte Antrag auf die Abrechnungsbeträge bezogen. Über den ursprünglichen Antrag habe das Amtsgericht ausweislich des Tatbestands und des Protokolls der mündlichen Verhandlung keine Entscheidung getroffen. Soweit sich das Amtsgericht mit diesen Anträgen beschäftigt habe, beziehe sich dies lediglich auf die Einhaltung der Anfechtungs- und Begründungsfrist. Die Klage sei deshalb abgewiesen worden, weil der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag erst nach Ablauf der Klagefrist gestellt worden sei. Die weiteren Ausführungen des Amtsgerichts in der Sache seien nur hilfsweise erfolgt.

Es sei auch nicht möglich, die Berufungsanträge dahingehend auszulegen, dass der Kläger mit der Berufung die im Einspruchstermin vor dem Amtsgericht geänderten Klageanträge weiterverfolge. Hierbei handele es sich um eine Anfechtungsklage. Der Kläger habe aber in der Berufungsbegründung ausdrücklich klargestellt, keine Anfechtungsklage erheben zu wollen.

III.

Die Rechtsbeschwerde ist zwar gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber unzulässig, weil es an den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.

1. Der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts wird von dem Kläger nicht in Frage gestellt. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Berufung nur dann zulässig ist, wenn der Berufungskläger mit ihr die Beseitigung einer in dem angefochtenen Urteil liegenden Beschwer erstrebt. Hieran fehlt es, wenn die Berufung den in erster Instanz erhobenen Klageanspruch nicht wenigstens teilweise weiterverfolgt, sondern lediglich im Wege der Klageänderung einen neuen, bislang nicht geltend gemachten Anspruch zur Entscheidung stellt (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/96, NJW-RR 1996, 1276 , 1277 mwN). Nichts anderes gilt, wenn mit der Berufung ein Klageanspruch weiterverfolgt wird, den der Kläger zwar in der ersten Instanz zunächst geltend gemacht hatte, über den das erstinstanzliche Gericht aber im Hinblick auf eine Klageänderung keine Entscheidung getroffen hat.

2. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht auf der Grundlage dieser Rechtsprechung die Berufung des Klägers als unzulässig ansieht, wirft entgegen dem Vorbringen in der Rechtsbeschwerde keine zulassungsrelevanten Fragen auf.

a) Dies gilt zunächst für die Auffassung des Klägers, dass die Annahme des Berufungsgerichts, das Amtsgericht habe über die mit der Klage gestellten Anträge keine Entscheidung getroffen, unter mehreren Gesichtspunkten eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordere (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ).

aa) Das Berufungsgericht weiche - so der Kläger - von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Es habe nämlich stillschweigend den Rechtssatz aufgestellt, dass keine Sachentscheidung des Gerichts über die Anträge einer Beschlussklage vorliege, wenn sich ein Gericht damit auseinandersetze, ob der Kläger die Anfechtungsfrist sowie die Begründungsfrist nach § 45 WEG gewahrt habe. Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergebe sich demgegenüber der Rechtssatz, dass eine Sachentscheidung des Gerichts über eine Beschlussklage bereits dann vorliege, wenn sich das Gericht damit auseinandersetze, ob der Kläger die Anfechtungsfrist und die Begründungsfrist gewahrt habe. Bei den Ausschlussfristen handelt es sich nämlich um Fristen des materiellen Rechts (Verweis auf Senat, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08, juris Rn. 2). Diese Rechtssatzabweichung sei entscheidungserheblich, weil das Amtsgericht hier eine Sachentscheidung über die ursprünglichen Anträge getroffen habe. Ob der Kläger diese Anträge in der ersten Instanz noch zur Entscheidung gestellt habe, könne offen bleiben. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung schaffe ein Urteil Rechtskraft auch insoweit, als das Gericht irrtümlich über einen Anspruch entscheide, den keine der Parteien erhoben habe (Verweis auf BGH, Urteil vom 28. Mai 1998 - I ZR 275/95, NJW 1999, 287 , 288). Aufgrund der drohenden Rechtskrafterstreckung müsse es dem Kläger möglich sein, seinen Antrag aus der Klageschrift in der Berufungsinstanz weiterzuverfolgen.

bb) Unabhängig davon sei der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch deshalb gegeben, weil das Berufungsgericht dem Kläger den Zugang zu der Berufungsinstanz in nicht zu rechtfertigender Weise eingeschränkt habe. Obwohl das Amtsgericht über den Klageantrag des Klägers vom 5. August 2021 mitentschieden habe, habe das Berufungsgericht den Antrag auf Weiterverfolgung dieses Antrags in der Berufungsinstanz nicht zugelassen.

cc) Beide Gesichtspunkte stellen keinen Zulassungsgrund dar.

(1) Eine Obersatzabweichung liegt nicht vor. Dass ein Gericht - wie hier das Amtsgericht - in einer Entscheidung Ausführungen zu den Fristen des § 45 Satz 1 WEG macht, besagt als solches nichts zu der hier interessierenden Frage, ob das Gericht eine Entscheidung über einen von dem Kläger ursprünglich gestellten Klageantrag getroffen hat. Den von dem Kläger formulierten Obersatz hat der Senat nicht aufgestellt. Vielmehr ist es eine Frage des Einzelfalls und der Auslegung von Tenor und Entscheidungsgründen, was Gegenstand einer Entscheidung ist. Hiervon geht das Berufungsgericht aus und legt das Urteil des Amtsgerichts im Hinblick auf den Tatbestand und das Sitzungsprotokoll jedenfalls vertretbar dahingehend aus, dass nur über die in dem Einspruchstermin von dem Kläger zuletzt noch gestellten Anträge entschieden werden sollte. Die Ausführungen des Amtsgerichts dazu, dass die Klagefrist ursprünglich gewahrt worden sei und auch bei einer abweichenden Auslegung der ursprünglichen Klageanträge inhaltlich keine andere Entscheidung gerechtfertigt sei, sind erkennbar bloße Hilfsüberlegungen, die das Urteil nicht tragen.

(2) Da das Amtsgericht hiernach keine Entscheidung über die ursprünglichen Klageanträge getroffen hat, stellt es auch keine unzumutbare Einschränkung des Zugangs des Klägers zur Berufungsinstanz dar, dass das Berufungsgericht sich an einer Entscheidung über diese ursprünglichen Anträge gehindert gesehen und die Berufung als unzulässig verworfen hat.

b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist auch nicht deshalb zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil der Kläger nach Auffassung des Berufungsgerichts die vor dem Amtsgericht zuletzt noch gestellten Anträge in der Berufungsinstanz nicht weiterverfolgt. Anders als der Kläger meint, ist das Berufungsgericht nicht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen, dass für die Auslegung von Anträgen nicht allein der Wortlaut maßgebend ist, sondern vielmehr der erklärte Wille, wie er aus der Klagebegründung, den sonstigen Begleitumständen und nicht zuletzt aus der Interessenlage hervorgeht (vgl. Senat, Urteil vom 26. Februar 2016 - V ZR 250/14, NJW 2016, 2181 Rn. 18). Das Berufungsgericht hat ausdrücklich erwogen, ob der von dem Kläger in der Berufungsinstanz gestellte Antrag trotz des entgegenstehenden Wortlauts dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Kläger seinen Antrag aus dem Einspruchstermin weiterverfolgt. Dies lehnt es aber im Hinblick auf die Erläuterungen in der Berufungsbegründung ab, in der der Kläger ausdrücklich klargestellt hat, keine Anfechtungsklage erheben zu wollen, sondern eine Feststellungsklage, wie dies auch bereits mit der Klageschrift geschehen sei. Der Gemeinschaft habe für die Umlage der Kosten der Fenstererneuerung keine Beschlusskompetenz zugestanden (Ziff. 1 des Antrags). In Ziff. 2 des Antrags gehe es nicht um die Ungültigerklärung einzelner Positionen der Jahresabrechnung, sondern um die Beschlussunwirksamkeit des Beschlusses über die Kostenverteilung vom 29. Mai 2019. Damit hat das Berufungsgericht gerade nicht ausschließlich auf den Wortlaut der Berufungsanträge abgestellt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO . Die Wertfestsetzung entspricht der Festsetzung durch das Berufungsgericht.

Vorinstanz: AG Berlin-Charlottenburg, vom 15.12.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 75 C 37/21
Vorinstanz: LG Berlin, vom 30.06.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 85 S 6/22 WEG