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BGH - Entscheidung vom 24.08.2022

XII ZR 76/21

Normen:
GG Art. 103 Abs. 1
BGB § 543 Abs. 1

BGH, Beschluss vom 24.08.2022 - Aktenzeichen XII ZR 76/21

DRsp Nr. 2022/13231

Zulassung der Revision wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Räumung und Herausgabe von Gewerberäumen nach zwei außerordentlichen Kündigungen

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 26. August 2021 zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 217.799 €

Normenkette:

GG Art. 103 Abs. 1 ; BGB § 543 Abs. 1 ;

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Räumung und Herausgabe von Gewerberäumen nach zwei außerordentlichen Kündigungen der Klägerin.

Die Klägerin ist nach ihren eigenen Angaben Eigentümerin einer Gewerbeimmobilie an der Königsallee in Düsseldorf. Die Räume im 5. Obergeschoss der Immobilie werden seit 2008 zum Betrieb einer Privatklinik für kosmetische Behandlungen genutzt. Bis Februar 2014 war die Beklagte zu 2 Mieterin der Räumlichkeiten. Mit Wirkung ab März 2014 mietete die Beklagte zu 1 die Räumlichkeiten, die von den Beklagten zu 2 und 3 als Untermieter genutzt wurden. Ob dies mit Kenntnis und Billigung der Klägerin erfolgte, wird von den Parteien unterschiedlich dargestellt.

Die Beklagte zu 1 verfügt im Gegensatz zur Beklagten zu 3 nicht über eine gewerbliche Erlaubnis nach § 30 Abs. 1 Satz 1 GewO zum Betrieb einer Klinik.

Das mit der Beklagten zu 1 bestehende Mietverhältnis hat die Klägerin mit Schreiben vom 1. August 2019 fristlos gekündigt, gestützt auf das Fehlen einer gewerberechtlichen Erlaubnis, einen angeblichen Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung und die Nichtzahlung einer angeblich verwirkten Vertragsstrafe.

Das Landgericht hat die Beklagten mit Urteil vom 17. Juli 2020 zur Räumung und Herausgabe der Gewerberäume verurteilt. Das Urteil wurde den Beklagten am 28. Juli 2020 zugestellt.

Gegen das Urteil haben die Beklagten Berufung eingelegt. Mit der Berufungserwiderung vom 11. Januar 2021 hat die Klägerin erneut die außerordentliche Kündigung erklärt. Zur Begründung hat sie insbesondere vorgetragen, die Beklagte zu 1 habe ab Juni 2020 keinerlei Miete mehr gezahlt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die angefochtene Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge in vollem Umfang weiter.

II.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Zulassung der Revision, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Dass die Beklagte zu 1 keine Konzession nach § 30 GewO eingeholt habe, stelle keinen wichtigen Grund für eine Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB dar. Denn die Beklagte zu 1 habe gegenüber der Klägerin keine solche Pflicht getroffen, weil sie nach § 7.7 des Mietvertrages zwar verpflichtet gewesen sei, baurechtliche Vorschriften im Zusammenhang mit Um- und Ausbaumaßnahmen einzuhalten, nicht aber eine Konzession nach § 30 GewO einzuholen und der Vermieterin vorzulegen. Soweit die Beklagte zu 1 zugesagt habe, jeglichen auf das Vorhandensein einer Kliniklizenz hindeutenden Außenauftritt wie etwa Beschilderungen, Bezeichnungen auf Briefbögen oder Bekundungen in der Öffentlichkeit oder in der Kommunikation mit Dritten zu unterlassen, seien Verstöße nicht nachgewiesen. Ebenso wenig könne ein Grund für eine außerordentliche Kündigung daraus hergeleitet werden, dass die Beklagte eine Vertragsstrafe gemäß der von ihr abgegebenen Unterlassungserklärung nicht bezahlt habe.

Soweit die Klägerin die weitere außerordentliche Kündigung vom 11. Januar 2021 auf eine Einstellung der Zahlung von Nutzungsentschädigung stütze, gehe dies schon deswegen fehl, weil eine solche nur geschuldet sei, wenn der Mieter die Mietsache nach Beendigung des Mietverhältnisses nicht zurückgebe.

Im Übrigen stelle zwar die Nichtzahlung der Miete, auf die die Klägerin sich berufe, grundsätzlich einen wichtigen Grund zur Kündigung nach § 543 Abs. 1 BGB dar. Dem liege jedoch der Gedanke zu Grunde, dass eine Leistung nur im Hinblick auf die zu erwartende Gegenleistung erfolgen solle. Dieser Schutzgedanke greife indessen vorliegend nicht. Denn die Beklagte zu 1 habe die Miete gerade deswegen nicht weiter gezahlt, weil sie von der Klägerin auf Räumung in Anspruch genommen worden sei. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin solle in direktem zeitlichen Zusammenhang mit dem Erlass des erstinstanzlichen, auf Räumung lautenden Urteils eine weitgehende Räumung der Räumlichkeiten erfolgt sein. Zahle aber der zur Räumung verurteilte Mieter die Miete nicht mehr, weil er dem Räumungsverlangen schon vor Rechtskraft des Urteils nachkomme, falle ihm jedenfalls kein Verschulden zur Last, da er sich so verhalte, wie es das Urteil von ihm verlange. Die unterbliebene Zahlung begründe dann auch keinen Kündigungsgrund nach § 543 BGB , weil der Vermieter seine Kündigung nach der gebotenen Interessenabwägung nicht darauf stützen könne, dass der Mieter dem auf die (unberechtigte) Kündigung gestützten Räumungsverlangen nachgekommen sei und gerade deshalb die Miete nicht zahle.

2. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, soweit das Berufungsgericht die Wirksamkeit der Kündigung der Klägerin vom 11. Januar 2021 verneint hat. Denn die Klägerin beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht insoweit unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG ) entschieden hat.

a) Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 12. Mai 2021 - XII ZR 152/19 - NJW-RR 2021, 861 Rn. 10).

b) Gemessen daran beanstandet die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht ausweislich seiner Ausführungen den Vortrag der Klägerin offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen hat, die Beklagte zu 1 habe ab Juni 2020, und damit bereits zwei Monate vor Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung, jegliche Mietzahlungen eingestellt.

Zwar hat das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, wann die Beklagte zu 1 die Mietzahlungen eingestellt hat und wann die Beklagten die Gewerberäume geräumt haben. Es legt seiner Beurteilung aber offensichtlich zugrunde, dass die Mietzahlungen erst nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils und zu einem Zeitpunkt eingestellt wurden, als die Räumlichkeiten bereits weitgehend geräumt waren. Dies lässt nur den Schluss zu, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin nicht zu Kenntnis genommen hat, wonach die Mietzahlungen bereits im Juni 2020 eingestellt worden sein sollen. Dass die Beklagten zu diesem Zeitpunkt die Gewerberäume schon weitgehend geräumt hätten, ist weder festgestellt noch ersichtlich.

c) Die gerügte Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Die Nichtzulassungsbeschwerde führt zu Recht aus, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es Feststellungen dazu getroffen hätte, wann die Beklagte zu 1 die Mietzahlungen eingestellt hat.

3. Das angefochtene Urteil kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann, und die vom Berufungsgericht angenommene Unwirksamkeit der Kündigung der Klägerin vom 1. August 2019 keinen rechtlichen Bedenken begegnet.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird nach § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

Vorinstanz: LG Düsseldorf, vom 17.07.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 40 O 80/19
Vorinstanz: OLG Düsseldorf, vom 26.08.2021 - Vorinstanzaktenzeichen I-10 U 136/20