Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BGH - Entscheidung vom 25.04.2022

VIa ZR 524/21

Normen:
ZPO § 91a Abs. 1 S. 1

BGH, Beschluss vom 25.04.2022 - Aktenzeichen VIa ZR 524/21

DRsp Nr. 2022/8182

Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten

Eine Kostenaufhebung kommt in Betracht, wenn bei summarischer Prüfung der Ausgang des Rechtsstreits bei nicht hinreichend geklärter Rechtslage oder aufgrund tatsächlicher Unwägbarkeiten offen ist.

Tenor

Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Klägerin zu 23 % und die Beklagte zu 77 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 11 % und die Beklagte zu 89 %. Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 808,13 € festgesetzt.

Normenkette:

ZPO § 91a Abs. 1 S. 1;

Gründe

Nachdem die Parteien den Rechtsstreit im Revisionsverfahren in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.

I. Die Revision der Beklagten gegen ihre Verurteilung zur Freistellung der Klägerin von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten ist statthaft und auch ansonsten zulässig. In der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Zulassung der Revision, "soweit der Senat für das Jahr 2015 eine grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin von den ihren Anspruch aus §§ 286 , 31 BGB begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB verneint", liegt keine wirksame Beschränkung der Revisionszulassung (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04, NJW-RR 2007, 182 Rn. 19; Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 17; Urteil vom 10. Februar 2022 - VII ZR 365/21, juris Rn. 10).

II. Es entspricht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands der Billigkeit, die Kosten des Revisionsverfahrens gegeneinander aufzuheben und es hinsichtlich der in den Vorinstanzen angefallenen Kosten bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen Verteilung zu belassen (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO ).

1. Für die Billigkeitsentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO kommt es vornehmlich darauf an, welchen Ausgang der Rechtsstreit mutmaßlich genommen hätte und welche Partei dementsprechend mit den Kosten belastet worden wäre, wenn die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 24. September 2020 - IX ZB 71/19, NJW-RR 2020, 1440 Rn. 13; Beschluss vom 9. Februar 2021 - VIII ZR 346/19, NJW 2021, 1887 Rn. 4). Eine Kostenaufhebung kommt in Betracht, wenn bei summarischer Prüfung der Ausgang des Rechtsstreits bei nicht hinreichend geklärter Rechtslage oder aufgrund tatsächlicher Unwägbarkeiten offen ist (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2019 - II ZR 94/17, AG 2020, 126 Rn. 3 und 5; Beschluss vom 24. September 2020, aaO Rn. 14).

2. Bei summarischer Prüfung erscheint es offen, ob die Klägerin die im Revisionsverfahren im Streit stehende Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten verlangen kann.

Die Revision nimmt die Annahme des Berufungsgerichts hin, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB zusteht; Rechtsfehler sind insoweit auch nicht ersichtlich. Soweit die Revision die von der Klägerin geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nicht nach § 249 Abs. 1 BGB für ersatzfähig hält, fehlt es hierzu an Feststellungen des Berufungsgerichts.

a) Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung und Durchsetzung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 22. Juni 2021 - VI ZR 353/20, NJW-RR 2021, 1070 Rn. 6; Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21, WM 2022, 543 Rn. 12).

b) Das Berufungsgericht hat die zugesprochenen Rechtsverfolgungskosten darauf zurückgeführt, dass die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigten mit der außergerichtlichen Geltendmachung ihres Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB beauftragt habe. Anhand der Feststellungen des Berufungsgerichts lässt sich allerdings nicht beurteilen, ob die vorgerichtliche anwaltliche Zahlungsaufforderung aus Sicht der Klägerin zur Wahrnehmung ihrer Rechte erforderlich und zweckmäßig war. Die Beklagte hat eingewandt, die Klägerin habe aufgrund der öffentlich verbreiteten Rechtsansicht der Beklagten von vornherein nicht mit einer freiwilligen Leistung rechnen können. Ist der Schuldner bekanntermaßen zahlungsunwillig und erscheint der Versuch einer außergerichtlichen Anspruchsdurchsetzung auch nicht aus sonstigen Gründen erfolgversprechend, sind die dadurch verursachten Kosten nicht zweckmäßig (BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 - XI ZR 148/11, juris Rn. 35; Urteil vom 17. September 2015 - IX ZR 280/14, NJW 2015, 3793 Rn. 11). Insoweit kommt es auf die (Gesamt-)Umstände des Einzelfalls an, deren Würdigung dem Tatgericht obliegt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Mai 2013, aaO). Das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen; sie wären daher bei streitiger Fortführung des Rechtsstreits nachzuholen gewesen.

3. Wegen des insoweit offenen Ausgangs des Rechtsstreits entspricht es der Billigkeit, die Kosten des Revisionsverfahrens gegeneinander aufzuheben. Hinsichtlich der Kosten erster und zweiter Instanz verbleibt es bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen Kostenverteilung, weil es sich in den Vorinstanzen bei dem Antrag auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten um eine anteilig verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung gehandelt hat, die keine höheren Kosten veranlasst hat (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ).

Vorinstanz: LG Passau, vom 06.04.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 4 O 1273/20
Vorinstanz: OLG München, vom 20.10.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 13 U 2620/21