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BGH - Entscheidung vom 20.06.2022

VIa ZB 5/21

Normen:
ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2

BGH, Beschluss vom 20.06.2022 - Aktenzeichen VIa ZB 5/21

DRsp Nr. 2022/12461

Anforderungen an die Berufungsbegründung

Für die Zulässigkeit der Berufung genügt es, wenn der Berufungskläger der Entscheidung der Vorinstanz hinsichtlich einer behaupteten vorsätzlich sittenwidrigen Motormanipulation entgegentritt und eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung hinsichtlich des Thermofensters behauptet sowie aus seiner Sicht Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass die unzulässige Abschaltung den Repräsentanten der Beklagten im Sinne des § 31 BGB bekannt gewesen sei.

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 11a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. September 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert beträgt bis 45.000 €.

Normenkette:

ZPO § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ;

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Verwerfung seiner Berufung.

Er erwarb im Juni 2015 von der ehemaligen Beklagten zu 1 einen Gebrauchtwagen VW Touareg 4,2l V8 TDI (EU 5; Erstzulassung 6/2013) für 53.000 € brutto. Die Beklagte zu 2, bei der es sich nicht um die Herstellerin des Fahrzeugs handelt, hat er mit der Behauptung, es seien in den Motor des Fahrzeugs verschiedene Abschalteinrichtungen eingebaut, auf Feststellung der Schadensersatzpflicht, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Hilfsweise hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an ihn 53.000 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des erworbenen Fahrzeugs zu zahlen sowie die Pflicht der Beklagten zu 2 zum Ersatz weiterer Schäden festzustellen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Sie sei hinsichtlich der Beklagten zu 2 unschlüssig. Dabei sei bereits fraglich, worauf der Kläger die Inanspruchnahme der Beklagten zu 2 stütze, die nicht Herstellerin des Fahrzeugs sei. Selbst eine Passivlegitimation der Beklagten zu 2 unterstellt, habe der Kläger keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen dafür vorgetragen, dass an dem von ihm erworbenen Fahrzeug von der Beklagten zu 2 in sittenwidriger Absicht Motormanipulationen in Form von unzulässigen Abschalteinrichtungen vorgenommen worden seien. Ob in dem unstreitig verbauten Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen sei, könne dahinstehen, da es insoweit an einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung fehle. Der Kläger trage auch insoweit nichts vor, was eine von der Rechtsprechung abweichende Beurteilung rechtfertige.

Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht nach vorausgegangenem Hinweis verworfen, weil die Berufungsbegründung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form genüge. Zwar werde die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hinsichtlich der Passivlegitimation der Beklagten zu 2 noch gerecht. Ihr sei zumindest die Behauptung zu entnehmen, dass das vom Kläger erworbene Fahrzeug einen von der Beklagten zu 2 hergestellten und entwickelten Motor enthalte. Die Berufungsbegründung setze sich aber nicht mit dem weiteren selbständig tragenden Klageabweisungsgrund auseinander, nach dem sich das gesamte erstinstanzliche Vorbringen des Klägers zum Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen nur auf andere Motoren als den in das Fahrzeug eingebauten Motor beziehe. Auch hinsichtlich des Thermofensters genüge die Berufungsbegründung den Anforderungen nicht. Der Vortrag lasse nicht erkennen, dass der Kläger den Inhalt des landgerichtlichen Urteils zur Kenntnis genommen habe.

Gegen diese Beurteilung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 , § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO ). Die Verwerfung seiner Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2021 - XI ZB 9/21, juris Rn. 12 mwN; Beschluss vom 21. März 2022 - VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 5).

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen.

a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Diese Anforderungen sind gewahrt, wenn die Berufungsbegründung erkennen lässt, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger das angefochtene Urteil für unrichtig hält, und zur Darlegung der Fehlerhaftigkeit die Umstände mitteilt, die das Urteil aus seiner Sicht in Frage stellen. Besondere formale Anforderungen an diesbezügliche Darlegungen des Berufungsklägers bestehen nicht. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weiter gehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist. Die Vorschrift des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO soll den Berufungskläger dazu anhalten, die angegriffene Entscheidung nicht nur im Ergebnis, sondern in der konkreten Begründung zu überprüfen und im Einzelnen darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchen Gründen er das angefochtene Urteil für unrichtig hält (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 13. April 2021 - VI ZB 50/19, NJW-RR 2021, 789 Rn. 5; Beschluss vom 5. August 2021 - III ZB 46/20, NJW-RR 2021, 1438 Rn. 7; Beschluss vom 16. November 2021 - VIII ZB 21/21, NJW-RR 2022, 449 Rn. 13 bis 15; Beschluss vom 21. März 2022 - VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7, jeweils mwN).

Hat das Gericht erster Instanz die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen. Denn nur dann kann die geltend gemachte Rechtsverletzung entscheidungserheblich sein (BGH, Beschluss vom 5. August 2020 - VIII ZB 18/20, NJW-RR 2020, 1132 Rn. 16; Beschluss vom 21. März 2022 - VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7). Dagegen ist die Berufung insgesamt zulässig, wenn die Begründung immerhin zu einem Streitpunkt eine § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügende Begründung enthält und die bezeichneten Umstände geeignet sind, der angegriffenen Entscheidung insgesamt die Grundlage zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2011 - II ZB 21/10, WM 2012, 209 Rn. 7; Urteil vom 23. Juni 2015 - II ZR 166/14, NJW 2015, 3040 Rn. 12).

b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers noch gerecht.

aa) Zutreffend hat das Berufungsgericht zunächst angenommen, dass die Berufungsbegründung die landgerichtlichen Ausführungen zur Passivlegitimation ausreichend angreift.

bb) Rechtsfehlerhaft ist indessen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Berufungsbegründung setze sich im Übrigen nicht ausreichend mit der Entscheidung des Landgerichts auseinander. Die Berufungsbegründung lässt noch ausreichend erkennen, welche Gründe der Kläger der tragenden Erwägung des Landgerichts entgegensetzt, es fehle am Vortrag hinreichender Anknüpfungstatsachen dafür, dass an dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug von der Beklagten zu 2 in sittenwidriger Absicht Motormanipulationen in Form eines Thermofensters vorgenommen worden seien.

(1) Für die Zulässigkeit der Berufung genügt es, wenn der Berufungskläger die Entscheidung der Vorinstanz hinsichtlich einer der behaupteten vorsätzlich sittenwidrigen Motormanipulationen in einer § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügenden Weise angreift, wobei es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung ist, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 7/20, WM 2020, 1945 Rn. 7 mwN), und zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht genügt, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2022 - XI ZB 24/21, juris Rn. 4). Ob das Vorbringen in der Berufungsbegründung geeignet ist, das Rechtsmittel inhaltlich zu rechtfertigen, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern eine Frage der Begründetheit der Berufung (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 2021 - III ZB 46/20, NJW-RR 2021, 1438 Rn. 12).

(2) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers gerecht.

Das Landgericht hat dahinstehen lassen, ob in dem eingebauten Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung zu sehen sei, weil es insoweit an einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung fehle.

Der Kläger hat dem nach § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO entgegengesetzt, das Landgericht habe wesentlichen Vortrag des Klägers in erster Instanz zur Funktionsweise des Thermofensters übergangen und in diesem Zusammenhang die Verteilung der Beweislast verkannt. Er hat weiter beanstandet, das Landgericht habe eine Haftung der Beklagten zu 2 nicht verneinen dürfen, ohne den Kläger zuvor auf das Fehlen hinreichenden Vortrags zu einer Verknüpfung des eingebauten Thermofensters mit einer Haftung nach § 826 BGB hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens zu geben. Hierzu hat er in der Berufungsbegründungsschrift vorgetragen, die streitgegenständlichen Abschalteinrichtungen - so auch das Thermofenster - seien jeweils Softwarefunktionen, die erkennten, ob das Fahrzeug sich in einem Prüfstandmodus befinde oder nicht. Sie hätten den Effekt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug auf dem Prüfstand einen anderen Schadstoffausstoß erzeuge als im realen Fahrbetrieb. Eine solche Abschalteinrichtung könne evident nur wissentlich mit dem Ziel eingebaut worden sein, gegenüber den Zulassungsbehörden einen bestimmten Schadstoffausstoß (insbesondere NOx) vorzutäuschen, um damit die Zulassung bzw. Genehmigung des Fahrzeugs zu erschleichen. In einem solchen Fall sei - entsprechend der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Motor des Typs EA 189 der Volkswagen AG - weder davon auszugehen, "dass untergeordnete Ingenieure heimlich Abschalteinrichtungen erfunden und verbaut" hätten, noch, "dass die Entwicklungsabteilung versehentlich Softwarefunktionen so konfiguriert" habe, dass "zufällig gerade auf dem Prüfstand gesetzliche Grenzwerte eingehalten wurden, während dies auf der Straße nicht der Fall war".

Der Kläger ist damit der Beurteilung des Landgerichts in einem entscheidungserheblichen Punkt entgegengetreten und hat eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte zu 2 bzw. die bei der Beklagten zu 2 Verantwortlichen (auch) hinsichtlich des Thermofensters behauptet. Er hat aus seiner Sicht Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die - nach der Unterstellung des Landgerichts - unzulässige Abschaltung Repräsentanten der Beklagten zu 2 im Sinne des § 31 BGB bekannt gewesen sei. Eine weitere Konkretisierung oder tiefergehende Auseinandersetzung mit der ebenfalls äußerst knappen Begründung des Landgerichts war zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO nicht erforderlich.

cc) Die vorstehenden Erwägungen gelten auch für die Anträge auf Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten, weil das Landgericht deren Abweisung ausschließlich mit dem Nichtbestehen der Hauptforderung begründet hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2022 - VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 16 mwN).

3. Gemäß § 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da die Verwerfung der Berufung als unzulässig sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 577 Abs. 3 ZPO .

Vorinstanz: LG Leipzig, vom 25.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 9 O 729/20
Vorinstanz: OLG Dresden, vom 02.09.2021 - Vorinstanzaktenzeichen U 2515/20