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BVerwG - Entscheidung vom 18.01.2024

1 B 49.23

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1
AsylG § 71 Abs. 5 S. 1

BVerwG, Beschluss vom 18.01.2024 - Aktenzeichen 1 B 49.23

DRsp Nr. 2024/2353

Verwerfung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache; Verzicht auf Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung in einem Asylfolgeverfahren

Im Rahmen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Begründungspflicht, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substanziiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist. Insbesondere genügt nicht, darauf hinzuweisen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht zu der Frage noch nicht geäußert hat. Vielmehr ist darzulegen, dass die Antwort, die die Vorinstanz gegeben hat, mindestens zu Bedenken Anlass gibt und es deshalb im Interesse der Rechtssicherheit oder Weiterentwicklung des Rechts einer revisionsgerichtlichen Klärung der Frage bedarf. Das nötigt zu einer Auseinandersetzung mit der Lösung und der Argumentation in der angefochtenen Entscheidung.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2023 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1 ; AsylG § 71 Abs. 5 S. 1;

Gründe

1. Die allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg, weil sie bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

1.1 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substanziiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m. w. N.). Es genügt nicht, darauf hinzuweisen, dass sich das Bundesverwaltungsgericht zu der Frage noch nicht geäußert hat. Vielmehr ist darzulegen, dass die Antwort, die die Vorinstanz gegeben hat, mindestens zu Bedenken Anlass gibt und es deshalb im Interesse der Rechtssicherheit oder Weiterentwicklung des Rechts einer revisionsgerichtlichen Klärung der Frage bedarf. Das nötigt zu einer Auseinandersetzung mit der Lösung und der Argumentation in der angefochtenen Entscheidung (BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2013 - 4 BN 1.13 - BRS 81 Nr. 40 m. w. N.).

1.2 Hieran gemessen ist die Revision nicht wegen der Frage zuzulassen,

"ob in den Fällen, [in denen] das BAMF in einem Asylfolgeverfahren unter Anwendung des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG auf Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung verzichtet, § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG über § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG entsprechend anzuwenden ist, oder ob in den Fällen des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG die Vorschrift des § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG keine Anwendung findet bzw. ob jedenfalls die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht gelten soll,"

weil die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen an eine Grundsatzrüge genügt.

Soweit die Beschwerde ihre Rechtsauffassung teilende erstinstanzliche Rechtsprechung anführt, ersetzt dies nicht die gebotene Auseinandersetzung mit der Begründung des Berufungsbeschlusses, zumal die genannten Entscheidungen an den von der Beschwerde zitierten Stellen die Frage der statthaften Antragsart im Eilverfahren (nach § 80 Abs. 5 oder § 123 VwGO ) behandeln und zu der hier maßgeblichen Frage der entsprechenden Geltung der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG für Klagen gegen die Ablehnung von Folgeanträgen in Fällen des Absehens vom Erlass einer weiteren Abschiebungsandrohung nicht näher begründet sind.

Die Beschwerde setzt sich insbesondere nicht hinreichend mit den tragenden Begründungserwägungen der Vorinstanz auseinander. Danach handelt es sich bei dem Verweis in § 71 Abs. 4 Halbs. 2 AsylG , nach dem die §§ 34 , 35 und 36 AsylG im Fall des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG entsprechend anzuwenden sind, um eine Rechtsfolgenverweisung, die auch in Fällen des Absehens vom Erlass einer erneuten Abschiebungsandrohung (§ 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ) gelte, weil die Verweisungsnorm des § 71 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG andernfalls leerliefe (BA S. 5 f.; ebenso OVG Bautzen, Beschluss vom 12. Oktober 2022 - 3 D 23/22 - juris Rn. 21 m. w. N.). Ausgehend von einer Rechtsfolgenverweisung sei die Klage binnen Wochenfrist zu erheben, und zwar sowohl in Fällen, in denen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Ablehnung des Folgeantrages mit einer neuen Abschiebungsandrohung verbunden habe, als auch dann, wenn es von dem Erlass einer neuen Abschiebungsandrohung abgesehen habe (so nunmehr auch Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 39. Edition Stand 1. Oktober 2023, § 71 AsylG Rn. 32).

Die entsprechende Anwendung von § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG sowohl in Fällen des § 71 Abs. 4 als auch Abs. 5 AsylG stützt das Berufungsgericht auf deren Wortlaut, nach dem in beiden Regelungen vorausgesetzt wird, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen. Mit dieser Erwägung setzt sich die Beschwerde nicht in der gebotenen Weise auseinander, sondern beschränkt sich auf den Hinweis, dem Wortlaut des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG sei gerade kein Verweis auf §§ 34 , 35 und 36 AsylG zu entnehmen.

In systematischer Hinsicht knüpft das Berufungsgericht an § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG an, nach dem auch Eilanträge gegen die Anordnung und Befristung eines mit der Ablehnung eines Folgeantrages verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 7 AufenthG innerhalb einer Woche zu stellen sind. Gälte diese Frist nicht auch für Rechtsbehelfe gegen die (bei Ablehnung des Folgeantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG zu treffende) Unzulässigkeitsentscheidung, käme es regelmäßig zu unterschiedlichen Rechtsbehelfsfristen bei Haupt- und Nebenentscheidung. Dies liefe dem Harmonisierungszweck, den der Gesetzgeber § 36 Abs. 3 Satz 10 AsylG beigemessen habe (BT-Drs. 18/6185, S. 33) zuwider. Die Annahme des Laufs einer längeren Frist in den Fällen des § 71 Abs. 5 AsylG stehe auch zu der von der Vorschrift bezweckten Verfahrensbeschleunigung im Widerspruch (BA S. 6 f.). Dieser nicht allein an systematischen Gesichtspunkten, sondern auch an Sinn und Zweck der hier maßgeblichen Normen orientierten Begründung des Berufungsbeschlusses setzt die Beschwerde lediglich den Hinweis entgegen, die Systematik des Gesetzes spreche eindeutig dafür, dass in § 71 Abs. 5 AsylG eine andere Regelung beabsichtigt sei als § 71 Abs. 4 AsylG , und genügt damit nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO .

Die Beschwerde rügt schließlich, die Auffassung des Berufungsgerichts stehe mit den Anforderungen aus Art. 42 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU und aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht in Einklang, namentlich im Hinblick auf die danach gebotene Rechtsklarheit. Damit wird eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ebenfalls nicht aufgezeigt. Insoweit hätte die Beschwerde auf die Frage eingehen müssen, ob der Informationspflicht nicht durch die dem angefochtenen Bescheid beigefügte, auf die Wochenfrist hinweisende Rechtsmittelbelehrung Rechnung getragen wurde. Eine Auslegung des § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG "gegen den klaren Wortlaut" hat das Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Beschwerde jedenfalls nicht vorgenommen, sodass hieraus auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache folgt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG ; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 11.09.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 11 A 1/22