Kontakt : 0221 / 93 70 18 - 0
Wir durchsuchen unsere Datenbank

BVerwG - Entscheidung vom 29.01.2024

1 B 46.23

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 29.01.2024 - Aktenzeichen 1 B 46.23

DRsp Nr. 2024/3550

Hinreichende Darlegung des Verfahrensmangels einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs

1. Dass das Gericht nach Kenntnisnahme des Sachvortrags des Verfahrensbeteiligten nicht die nach dessen Auffassung zutreffenden Schlussfolgerungen gezogen hat, kann einen Gehörsverstoß nicht rechtfertigen. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung begründet keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO . 2. Das Bezeichnungserfordernis hinsichtlich eines Verfahrensmangels im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO schließt die Darlegung seiner Entscheidungserheblichkeit ein. 3. § 138 Nr. 6 VwGO ist erst dann verletzt, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen. Demgegenüber liegt ein Mangel im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 24. August 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

Die auf den Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Revision ist nicht wegen des geltend gemachten Verstoßes gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO , Art. 103 Abs. 1 GG ) zuzulassen.

Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe den Kläger in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt, dass sein Vorbringen zu seiner wirtschaftlichen Integration im Bundesgebiet nicht berücksichtigt worden sei. Auch habe die Ermessensüberprüfung zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts, also zum 24. August 2023, stattfinden müssen.

Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG ), verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundlage soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>). Hieran gemessen liegt der geltend gemachte Verfahrensfehler nicht vor.

Das Oberverwaltungsgericht hat die Behauptung des Klägers, in Deutschland seit über drei Jahren als Bauhelfer zu arbeiten, zur Kenntnis genommen, was sich bereits daraus ergibt, dass es dieses Vorbringen in den Gründen zu I. des angegriffenen Beschlusses wiedergegeben hat (BA S. 3). Dass es hieraus nicht die nach Auffassung der Beschwerde zutreffenden Schlussfolgerungen hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gezogen hat, ist keine Frage der Gewährung rechtlichen Gehörs. Etwas Anderes folgt auch nicht daraus, dass das Berufungsgericht bei seiner Prüfung des Einreise- und Aufenthaltsverbots unter Verstoß gegen § 83c i. V. m. § 77 Abs. 1 AsylG (vgl. hierzu im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - BVerwGE 173, 201 Rn. 10 ff. insbesondere Rn. 12) auf § 11 Abs. 2 AufenthG a. F. abgestellt hat. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung begründet keinen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO .

Vor diesem Hintergrund kann hier dahinstehen, ob die Beschwerde den Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG überhaupt hinreichend dargelegt hat. Ein Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Das Bezeichnungserfordernis schließt die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit ein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2021 - 1 B 62.21 - juris Rn. 2). Dem Beschwerdevorbringen ist aber nicht zu entnehmen, weshalb der Vortrag des Klägers zu seiner Erwerbstätigkeit als Bauhelfer zu einer abweichenden Entscheidung hätte führen können. Insbesondere hat die Beschwerde nicht näher dargetan, dass die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit im Bundesgebiet geeignet ist, als nicht nur niederschwellige Integrationsleistung eine rechtliche Grundlage für eine legale Wiedereinreise zu legen und damit eine im Rahmen des § 11 Abs. 3 AufenthG zu beachtende aufenthaltsrechtliche Rückkehrperspektive zu vermitteln (vgl. zu den Anforderungen an eine solche Integrationsleistung BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 - 1 C 47.20 - BVerwGE 173, 201 Rn. 22 ff.).

2. Die Rüge, das Urteil sei im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, weil es einer Begründung für die Verhältnismäßigkeit der für rechtmäßig erachteten Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots entbehrt, greift ebenfalls nicht durch.

Nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt ein absoluter Revisionsgrund - und damit zugleich ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO - vor, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist. Das ist nicht nur dann der Fall, wenn dem Tenor der Entscheidung überhaupt keine Gründe beigegeben sind, sondern auch dann, wenn die Begründung völlig unverständlich und verworren ist, sodass sie in Wirklichkeit nicht erkennen lässt, welche Überlegungen für die Entscheidung maßgebend gewesen sind. § 138 Nr. 6 VwGO ist verletzt, wenn die Entscheidungsgründe rational nicht nachvollziehbar, sachlich inhaltslos oder aus sonstigen Gründen derart unbrauchbar sind, dass die angeführten Gründe unter keinem denkbaren Gesichtspunkt geeignet sind, den Urteilstenor zu tragen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juli 2010 - 8 B 94.09 - juris Rn. 13 m. w. N.). Demgegenüber liegt ein Mangel i. S. d. § 138 Nr. 6 VwGO nicht schon dann vor, wenn die Entscheidungsgründe lediglich unklar, unvollständig, oberflächlich oder unrichtig sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2020 - 6 B 33.20 - juris Rn. 21 m. w. N.).

Nach diesen Maßstäben verstoßen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht gegen § 138 Nr. 6 VwGO . Sie sind zwar - wie bereits unter 1. ausgeführt - mit Blick auf das angewandte Recht teilweise unrichtig und auch knapp bemessen. Sie überschreiten aber nicht die Grenze zu sachlich inhaltslosen, unverständlichen und nicht auf den Fall bezogenen Entscheidungsgründen. Denn den Ausführungen lässt sich entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots für rechtmäßig hält. Auch zeigt die Einbeziehung der Erwerbstätigkeit des Klägers in die Gründe zu I. des angegriffenen Beschlusses, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen zur Kenntnis genommen hat, ihm aber keine fristverkürzende Wirkung bezogen auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot beigemessen hat.

3. Zu den übrigen Ziffern des Bescheides des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 7. März 2019 hat die Beschwerde bereits keine Revisionszulassungsgründe im Sinne der § 132 Abs. 2 VwGO , § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO substantiiert dargelegt.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG . Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 24.08.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 11 A 163/23