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BVerwG - Entscheidung vom 16.01.2024

1 B 51.23

Normen:
VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3
GG Art. 103 Abs. 1

BVerwG, Beschluss vom 16.01.2024 - Aktenzeichen 1 B 51.23

DRsp Nr. 2024/2349

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision; Drohen von Obdachlosigkeit eines Ausländers in Bulgarien

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. Oktober 2023 wird verworfen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Normenkette:

VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 3 ; GG Art. 103 Abs. 1 ;

Gründe

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg, weil keine Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO bezeichnet sind und die Beschwerde damit bereits den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht entspricht.

1. Sollte die Beschwerde sinngemäß ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung rügen wollen, könnte eine Revisionszulassung auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Beschwerde macht - nach Art einer Berufungsbegründung - geltend, der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts sei rechtsfehlerhaft, weil der bulgarische Staat nicht mehr bereit sei, den Kläger wiederaufzunehmen und diesem in Bulgarien Obdachlosigkeit drohe. Dies werde in der angegriffenen Entscheidung nicht berücksichtigt. Indessen rechtfertigen ernstliche Zweifel - sofern sie denn bestehen - zwar nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Zulassung der Berufung, nicht aber die Zulassung der Revision. Denn einen Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung kennt § 132 Abs. 2 VwGO , der die Revisionszulassungsgründe abschließend aufzählt, nicht (BVerwG, Beschlüsse vom 28. Juni 2006 - 8 B 48.06 - juris Rn. 3, vom 15. April 2021 - 6 B 3.21 - juris Rn. 7, vom 21. Juni 2021 - 4 BN 1.21 - juris Rn. 3 und vom 5. November 2021 - 2 B 19.21 - juris Rn. 27).

2. Soweit der Einwand der Beschwerde, der angefochtene Beschluss berücksichtige die oben genannten Umstände nicht, auf die Geltendmachung von Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ) in Gestalt einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG oder des Grundsatzes der richterlichen Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hindeuten könnte, sind auch solche Verfahrensmängel bereits nicht (ausdrücklich) bezeichnet worden. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. November 1992 - 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5).

2.1 Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG ), verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundlage soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>).

Solche besonderen Umstände legt die Beschwerde nicht dar. Vielmehr ist das Berufungsgericht auf die Fragen des fortbestehenden Schutzstatus des Klägers in Bulgarien (BA S. 5 f.) sowie einer drohenden Obdachlosigkeit (BA S. 10 ff.) ausdrücklich eingegangen, hat diese Umstände aber in tatsächlicher und rechtlicher Sicht anders gewürdigt, als es die Beschwerde für richtig hält. Mit diesen Ausführungen setzt sich die Beschwerde nicht auseinander, sondern wendet sich lediglich gegen die anderslautende Tatsachenwürdigung des Berufungsgerichts, auf die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und damit die Zulassung der Revision nicht gestützt werden kann.

2.2 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der Beweiswürdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Ob das Gericht auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage entschieden hat (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ), ist grundsätzlich eine dem materiellen Recht zuzuordnende Frage der Tatsachen- und Beweiswürdigung, auf die eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2023 - 1 B 62.22 - juris Rn. 8 m. w. N.). Ein Verfahrensverstoß kommt ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das angegriffene Urteil von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht. Das Gericht darf nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen oder Beweisergebnisse nicht in die rechtliche Würdigung einbezieht, sondern Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen und deshalb seiner Überzeugungsbildung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde legt. In solchen Fällen fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts, auch wenn die darauf basierende rechtliche Würdigung als solche nicht zu beanstanden ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. März 2018 - 1 B 155.17 - juris Rn. 3 m. w. N.).

Wie bereits unter 2.1 ausgeführt, ist das Berufungsgericht ausdrücklich auf die Fragen einer fortbestehenden Schutzgewährung und behaupteten drohenden Obdachlosigkeit eingegangen. Die Beschwerde legt nicht dar, welche konkreten weiteren Sachaufklärungsmaßnahmen sich dem Berufungsgericht hätten aufdrängen müssen oder dass es erhebliche tatsächliche Informationen, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden waren, in seine Würdigung nicht einbezogen hat. Vielmehr beschränkt sich die Beschwerde darauf, die tatsächliche Würdigung durch das Berufungsgericht zu kritisieren und unter Hinweis auf eine anderslautende Entscheidung des VG Ansbach (Urteil vom 31. Januar 2023 - AN 14 K 18.50050 - juris) durch eine eigene Tatsachenwürdigung zu ersetzen.

2.3 Dem Vorbringen des Klägers zu seiner Integration in Deutschland lässt sich ein Verfahrensfehler des Berufungsgerichts oder ein sonstiger Zulassungsgrund ebenfalls nicht entnehmen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO . Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG . Gründe für eine Abweichung nach § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Vorinstanz: OVG Nordrhein-Westfalen, vom 02.10.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 11 A 1001/21