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BVerfG - Entscheidung vom 04.02.2024

2 BvR 944/23

Normen:
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
BVerfGG § 92
BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1
BVerfGG § 92

BVerfG, Beschluss vom 04.02.2024 - Aktenzeichen 2 BvR 944/23

DRsp Nr. 2024/3693

Unzulässige Verfassungsbeschwerde bzgl der Gewährung von PKH für eine Schadensersatzklage

Für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung der von ihm gerügten Grundrechte in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 S. 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise aufführt. Der betreffende Sachverhalt ist substantiiert und schlüssig vorzutragen, sodass eine verfassungsrechtliche Beurteilung möglich ist.

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Normenkette:

BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2; BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1; BVerfGG § 92 ;

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Geltendmachung einer Geldentschädigung eines Sicherungsverwahrten wegen zu Unrecht versagter vollzugsöffnender Maßnahmen.

I.

1. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem Jahr 2010 in Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Werl. Seit Anfang des Jahres 2020 wurde er für selbständige vollzugsöffnende Maßnahmen gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 des Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen , also das Verlassen der Einrichtung für eine bestimmte Tageszeit ohne Begleitung (Ausgang), als geeignet erachtet.

Nachdem er die Mitwirkung an mehreren von der Justizvollzugsanstalt angeordneten Drogenscreenings verweigert hatte, widerrief diese mit Verfügung vom 30. September 2021 zwei für denselben Tag und den 11. Oktober 2021 genehmigte Begleitausgänge, von denen einer zu einem therapeutischen Gespräch mit einem externen Psychotherapeuten genutzt werden sollte. Mit Beschluss vom 23. August 2022 stellte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg fest, dass der Widerruf der Begleitausgänge rechtswidrig gewesen sei, weil die zuvor angeordneten Drogenscreenings rechtlicher Überprüfung nicht standhielten.

2. a) Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er beabsichtigte, das Land Nordrhein-Westfalen verurteilen zu lassen, ihm eine angemessene Geldentschädigung wegen der Verweigerung von Vollzugslockerungen beziehungsweise einer externen Psychotherapie im Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 zu zahlen. Angemessen sei eine Geldentschädigung in Höhe von 8.000 Euro, weil davon ausgegangen werden müsse, dass der Zeitraum von sieben Monaten, in dem er nicht therapiert worden sei, seine Vollzugszeit entsprechend verlängere.

b) Das Landgericht Arnsberg wies den Prozesskostenhilfeantrag mit angegriffenem Beschluss vom 3. Januar 2023 zunächst vollumfänglich zurück, weil die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete.

c) Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers bewilligte ihm das Oberlandesgericht Hamm mit angegriffenem Beschluss vom 15. Juni 2023 Prozesskostenhilfe für den Rechtsstreit erster Instanz, soweit er beantragen wolle, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 200 Euro nebst fünf Prozentpunkten seit dem 5. Oktober 2022 zu zahlen. Nur in Höhe dieses Betrags habe der Beschwerdeführer schlüssig dargetan, dass ihm ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG zustehe. Aufgrund der Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts stehe bindend fest, dass der Widerruf der für den 30. September 2021 und 11. Oktober 2021 genehmigten Begleitausgänge rechtswidrig gewesen sei. Ebenso bestehe kein Zweifel daran, dass dem beklagten Land ein Verschulden zur Last falle, denn die entsprechende Entscheidung der Justizvollzugsanstalt habe auf einer vermeidbar unrichtigen Rechtsanwendung beruht. Der rechtswidrige Widerruf der Begleitausgänge stelle einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Beschwerdeführers dar, aufgrund dessen ihm eine Geldentschädigung nicht versagt werden könne; insbesondere reiche die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme durch die Strafvollstreckungskammer als Wiedergutmachung nicht aus.

Allerdings könnten bei der Bemessung der Geldentschädigung nur die beiden widerrufenen Begleitausgänge vom 30. September 2021 und 11. Oktober 2021 berücksichtigt werden. Ob und in welchem Umfang dem Beschwerdeführer auch in der Folgezeit Begleitausgänge oder andere Vollzugslockerungen versagt worden seien, lasse sich auf der Grundlage seines Vortrags nicht beurteilen. Soweit er vortrage, er hätte die Justizvollzugsanstalt im Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 15 bis 20 Mal verlassen können, sei sein Vortrag unsubstantiiert, weil tatsächliche Anhaltspunkte, worauf er seine Behauptung stütze, nicht vorgetragen würden.

Wegen der beiden widerrufenen Begleitausgänge erscheine eine Geldentschädigung in Höhe von 200 Euro angemessen. Für die Annahme, dass die ihm verwehrte Vollzugslockerung zu einer Verlängerung der Dauer der Sicherungsverwahrung geführt habe, fehle nach dem Vortrag des Beschwerdeführers jeglicher Anhaltspunkt. Eine Gleichsetzung der Dauer verwehrter Vollzugslockerungen mit einer vermeidbaren Fortdauer der Sicherungsverwahrung sei aufgrund der Vielzahl der Faktoren, die für die Entscheidung über die Beendigung der Sicherungsverwahrung maßgeblich seien, nicht möglich. Die bloße Behauptung des Beschwerdeführers, dass er nach dem Ergebnis des letzten Überprüfungsverfahrens kurz vor der Entlassung stehe, sei mangels Darlegung von Einzelheiten ebenfalls substanzlos.

3. Ein Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung, dass die Verweigerung von Begleitausgängen und Ausgängen durch die Justizvollzugsanstalt im Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 rechtswidrig gewesen sei, ist nach seiner Darstellung gegenwärtig noch bei dem Landgericht Arnsberg anhängig (IV- 2 StVK 224/22).

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer insbesondere Verletzungen von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG geltend. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte mache es bestehende Rechtsbehelfe unwirksam, wenn die Gewährung einer Entschädigung an die Bedingung geknüpft werde, dass derjenige, der eine Beschwerde erhebe, ein Verschulden seitens der Behörden und die Rechtswidrigkeit ihres Handelns beweisen könne (unter Verweis auf EGMR , R. v. Deutschland, Urteil vom 22. Oktober 2020, Nr. 6780/18 und 30776/18, § 96). Soweit vorliegend darüber hinweggegangen werde, dass ihm Unrecht getan und für einen Zeitraum von sieben Monaten jede Möglichkeit genommen worden sei, zu beweisen, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgehe, dürfte dies der Konstellation der Verneinung eines Schadensersatzanspruchs aufgrund fehlenden Verschuldens entsprechen. In einer Konstellation wie der vorliegenden, in der er "kurz davor" sei, aus der Sicherungsverwahrung entlassen zu werden, von ihm den Beweis zu verlangen, dass die verzögerte Therapie zu einer Verzögerung der Entlassung führe, habe zur Folge, dass ein offensichtlich rechtswidriges Verhalten der Justizvollzugsanstalt ohne jegliche haftungsrechtliche Konsequenz bleibe. Dies komme einer Rechtsverweigerung gleich, weil er naturgemäß nicht beweisen könne, wie sich die Situation dargestellt hätte, wenn er die therapeutische Behandlung im streitgegenständlichen Zeitraum hätte wahrnehmen können.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor, weil die Verfassungsbeschwerde unzulässig ist.

1. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit einer Verletzung der von ihm gerügten Grundrechte nicht in einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden Weise aufgezeigt (vgl. zum diesbezüglichen Maßstab BVerfGE 88, 40 <45>; 129, 269 <278>; 130, 1 <21>; 149, 86 <108 f. Rn. 61>; 151, 67 <84 f. Rn. 49>; stRspr). Er hat den der vorgeblichen Rechtsverletzung zugrundeliegenden Sachverhalt nicht substantiiert und schlüssig vorgetragen, sodass eine verantwortbare verfassungsrechtliche Beurteilung nicht möglich ist.

Soweit der Beschwerdeführer den vor den Fachgerichten geltend gemachten Amtshaftungsanspruch darauf zu stützen beabsichtigt, ihm seien im Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 vollzugsöffnende Maßnahmen in Form von Ausgängen oder Begleitausgängen gänzlich versagt worden, kann dies nicht nachvollzogen werden. Aus seinem Vortrag ist allein ersichtlich, dass zwei für den 30. September 2021 und 11. Oktober 2021 genehmigte Begleitausgänge widerrufen wurden. Dass mit diesem Widerruf zugleich eine generelle Versagung von vollzugsöffnenden Maßnahmen einherging, ergibt sich aus der vorgelegten Verfügung vom 30. September 2021 nicht. Woraus der Beschwerdeführer die Schlussfolgerung zieht, ihm sei der "Lockerungsstatus" bis zum 3. Mai 2022 entzogen worden, erschließt sich nicht. Weder führt er zu dieser für die Geltendmachung des Amtshaftungsanspruchs in dem von ihm beabsichtigten Umfang zentralen Behauptung näher aus, noch legt er Unterlagen vor, aus denen sich eine derartige Anordnung ergeben könnte. Mit den entsprechenden Ausführungen des Oberlandesgerichts, das im angegriffenen Beschluss vom 15. Juni 2023 gleichfalls darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich auf der Grundlage seines Vortrags nicht beurteilen lasse, ob und in welchem Umfang ihm über die beiden genannten Begleitausgänge hinaus auch in der Folgezeit vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden seien, setzt er sich nicht auseinander.

Des Weiteren hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt, sich - wie von ihm behauptet - "kurz vor der Entlassung" zu befinden, weshalb jeder Tag, an dem er keine vollzugsöffnende Maßnahme in Anspruch nehmen könne, die Dauer der Sicherungsverwahrung entsprechend verlängere. Die von ihm insoweit in Bezug genommenen Ausführungen der Sachverständigen Dr. (...) hat er weder vorgelegt noch inhaltlich umfassend wiedergegeben. Darauf, dass sein entsprechendes Vorbringen substanzlos sei, hatte den Beschwerdeführer im Übrigen ebenfalls schon das Oberlandesgericht aufmerksam gemacht. Auch hiermit setzt er sich im Rahmen der Verfassungsbeschwerde nicht auseinander.

2. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer den aus § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG abgeleiteten Grundsatz der Subsidiarität (vgl. dazu BVerfGE 68, 384 <388 f.>; 77, 381 <401>; 81, 97 <102>; 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; stRspr) nicht gewahrt.

Zum einen hat er nicht dargelegt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, ob und - wenn ja - welche Bemühungen er unternommen hat, um im Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 Ausgänge oder Begleitausgänge wahrzunehmen. Namentlich ist unklar, ob er - soweit eine diesbezügliche Anordnung ergangen ist, was jedoch nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht hinreichend sicher erscheint (zu den diesbezüglichen tatsächlichen Unsicherheiten s.o. Rn. 13) - einen etwaigen "Entzug" der Lockerungseignung angefochten beziehungsweise ob er entsprechende vollzugsöffnende Maßnahmen überhaupt beantragt und sich gegen versagende Entscheidungen gerichtlich zur Wehr gesetzt hat.

Zum anderen hat der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vortrag noch nicht alle fachgerichtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um sein Begehren - die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Amtshaftungsprozess betreffend die Versagung von Ausgängen und Begleitausgängen im Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 - zu erreichen. Er hat ausgeführt, dass derzeit noch ein Verfahren betreffend die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung von Ausgängen und Begleitausgängen im vorgenannten Zeitraum beim Landgericht anhängig sei (IV- 2 StVK 224/22). Es ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer sein Begehren, das er im dem Verfassungsbeschwerdeverfahren zugrundeliegenden fachgerichtlichen Verfahren verfolgt, im Falle eines Erfolgs des Verfahrens IV- 2 StVK 224/22 vor den Fachgerichten noch erfolgreich wird geltend machen können beziehungsweise inzwischen geltend gemacht hat. Denn im hier angegriffenen Beschluss vom 15. Juni 2023 konnte das Oberlandesgericht aufgrund des unsubstantiierten Vortrags des Beschwerdeführers eine Amtspflichtverletzung allein hinsichtlich der zu Unrecht widerrufenen Begleitausgänge vom 30. September 2021 und 11. Oktober 2021 feststellen. Insoweit sah sich das Gericht an die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts gebunden, welche die Rechtswidrigkeit des Widerrufs der genannten Begleitausgänge festgestellt hatte. Würde die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts aber im Verfahren IV- 2 StVK 224/22 auch noch die Rechtswidrigkeit des Ausbleibens vollzugsöffnender Maßnahmen im gesamten Zeitraum vom 30. September 2021 bis zum 3. Mai 2022 feststellen, käme dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Bindungswirkung für den Amtshaftungsprozess zu (vgl. BGHZ 161, 33 <34>; BGH, Beschluss vom 28. September 2006 - III ZB 89/05 -, juris, Rn. 7) und der Beschwerdeführer könnte einen neuerlichen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe stellen.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Vorinstanz: LG Arnsberg, vom 03.01.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 1 O 237/22
Vorinstanz: OLG Hamm, vom 15.06.2023 - Vorinstanzaktenzeichen I-11 W 7/23