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BSG - Entscheidung vom 27.02.2024

B 5 R 131/23 B

Normen:
SGG § 160a Abs. 4 S. 1 Hs. 2
SGG § 169 S. 2, 3

BSG, Beschluss vom 27.02.2024 - Aktenzeichen B 5 R 131/23 B

DRsp Nr. 2024/4176

Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung; Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde

Nicht ausreichend für die Darlegung einer Divergenz ist es, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Juli 2023 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 160a Abs. 4 S. 1 Hs. 2; SGG § 169 S. 2, 3;

Gründe

I

Die 1959 geborene Klägerin begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung, zuletzt nur noch für die Zeit vom 1.7.2020 bis zum Beginn ihrer Altersrente für besonders langjährig Versicherte am 1.7.2022.

Die Beklagte lehnte ihren Rentenantrag vom 29.7.2020 auf der Grundlage der beigezogenen Befundberichte und weiteren medizinischen Unterlagen sowie des eingeholten Gutachtens des Chirurgen Protzel vom 9.2.2021 ab (Bescheid vom 8.3.2021; Widerspruchsbescheid vom 20.7.2021). Das SG hat die Klage abgewiesen, nachdem es Gutachten beim Orthopäden und Unfallchirurgen S vom 4.2.2022, beim Internisten Kr vom 14.6.2022 sowie beim Neurologen und Psychiater R vom 8.10.2022 eingeholt hatte (Gerichtsbescheid vom 6.1.2023). Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das LSG nach Einholung einer Arbeitgeberauskunft mit Urteil vom 19.7.2023 zurückgewiesen. Wie sich aus den nachvollziehbaren Gutachten der gerichtlich bestellten Sachverständigen ergebe, sei das Leistungsvermögen der Klägerin weiterhin ausreichend für Verrichtungen, die in ungelernten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes üblicherweise gefordert würden. Die Klägerin sei auch nicht berufsunfähig. Zwar seien die qualitativen Einschränkungen ihres Leistungsvermögens nicht mit der letzten Tätigkeit als Reinigungskraft vereinbar. Sie sei aber auch insoweit auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar. Ihre geschützte Tätigkeit sei allenfalls der Stufe der Angelernten unteren Ranges zuzuordnen.

Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie nach Verlängerung der Beschwerdefrist bis zum 2.11.2023 mit Schriftsätzen vom 2.11.2023 und 16.2.2024 begründet hat.

II

1. Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz ist nicht anforderungsgerecht dargetan.

Divergenz liegt vor, wenn der angefochtenen Entscheidung ein abstrakter Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem zu derselben Rechtsfrage entwickelten abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des BSG , des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, und die angefochtene Entscheidung auf dieser Abweichung beruht. Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzulegen. Hierzu sind die betreffenden Rechtssätze einander gegenüberzustellen; zudem ist näher zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 13). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.7.2022 - B 5 R 87/22 B - juris RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung, die in weiten Teilen das Berufungsvorbringen wiederholt, nicht gerecht.

Die Klägerin meint, die vom LSG in der angefochtenen Entscheidung vertretene Rechtsauffassung widerspreche der Entscheidung des BSG vom 23.9.2003 (B 4 RA 48/02 R), wonach "(d)ie Facharbeiterqualifikation (...) aufgrund langjähriger Berufserfahrung dann erworben werden (kann), wenn der höherwertige Beruf während eines Zeitraums ausgeübt wurde, der ausreicht, um die theoretischen und praktischen Fähigkeiten für eine vollwertige Berufsausübung auch ohne formelle Ausbildung zu vermitteln." Zudem weiche sie von der Entscheidung des BSG vom 9.12.1997 ( 8 RKn 26/96) ab, wonach "ein erweiterter Aufgabenbereich auch zu einer höheren Wertigkeit des bisherigen Berufes der Klägerin führt, insbesondere, wenn dies auch in der tariflichen Einstufung berücksichtigt wird." Es fehlt bereits Vortrag dazu, welche davon möglicherweise abweichenden abstrakten Rechtssätze die Klägerin dem LSG zuschreibt. Dass das LSG im angefochtenen Urteil ausdrücklich einen oder mehrere anderslautende tragende Rechtssätze aufgestellt habe, behauptet die Klägerin nicht. Ebenso wenig legt sie schlüssig dar, dass sich ein divergierender Rechtssatz unzweifelhaft aus den Ausführungen im Berufungsurteil ableiten lasse und dass das LSG den Rechtssatz als solchen auch tatsächlich vertreten wollte (vgl zur den Anforderungen an die Darlegung eines konkludent aufgestellten Rechtssatzes zB BSG Beschluss vom 13.7.2023 - B 1 KR 25/22 B - juris RdNr 10 mwN). Indem die Klägerin vorbringt, sie habe wegen ihrer beruflichen Erfahrung, des Einsatzes von schweren Reinigungsmaschinen und der hohen Verantwortung bei der Reinigung von Schulen zuletzt als "Reinigungsfachkraft" gearbeitet, wendet sie sich im Kern gegen die Einstufung der Wertigkeit ihrer letzten beruflichen Tätigkeit im Einzelfall.

Die Klägerin legt den Zulassungsgrund der Divergenz auch nicht anforderungsgerecht dar, indem sie unter Schilderung ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, insbesondere der Sehkraftminderung vorträgt, bei einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsminderung müsse dem Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit benannt werden. Sie erwähnt dabei ua die Entscheidung des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 ( GS 2/95). Auch unter diesem Aspekt wird nicht aufgezeigt, welchen vermeintlich divergierenden abstrakten Rechtssatz das LSG aufgestellt haben könnte. Das pauschale Vorbringen, insoweit bestehe ein deutlicher Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des LSG und derjenigen des BSG , genügt nicht.

Falls die Klägerin zudem eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend machen will, indem sie mit Schriftsatz vom 16.2.2024 im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde erstmals einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG ) rügt, kann sie damit von vornherein nicht gehört werden. Die Vorlage einer bisher nicht aufgeworfenen - hier nicht einmal formulierten - Rechtsfrage ist nach Ablauf der Begründungsfrist 160a Abs 2 Satz 1 SGG ) unzulässig (vgl BSG Beschluss vom 13.6.2001 - B 10/14 EG 4/00 B - juris RdNr 13). Im Übrigen liegt das Vorbringen der Klägerin zur Höhe der Abgeordnetenentschädigung neben der Sache.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG ).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 Satz 1 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und 4 SGG .

Vorinstanz: SG Speyer, vom 06.01.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 8 R 433/21
Vorinstanz: LSG Rheinland-Pfalz, vom 19.07.2023 - Vorinstanzaktenzeichen 6 R 23/23