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BSG - Entscheidung vom 16.01.2024

B 12 KR 10/23 BH

Normen:
SGG § 202 S. 1
ZPO § 78b Abs. 1

BSG, Beschluss vom 16.01.2024 - Aktenzeichen B 12 KR 10/23 BH

DRsp Nr. 2024/3164

Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts und auf Gewährung von Prozesskostenhilfe; Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde

1. Ein Notanwalt ist nicht zu bestellen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung als aussichtslos zu beurteilen ist. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstigeres Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann. 2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt generelle Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtssfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich und durch das Revisionsgericht zu erwarten ist. Dass Sozialversicherungsbeiträge auch auf Arbeitsentgelt zu entrichten sind, das erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt wird, wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.

Tenor

Die Anträge des Klägers, ihm einen Notanwalt zu bestellen sowie ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Juni 2023 ( L 4 KR 457/22) Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, werden abgelehnt.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorstehend bezeichneten Beschluss wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Normenkette:

SGG § 202 S. 1; ZPO § 78b Abs. 1 ;

Gründe

I

In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit begehrt der Kläger die Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen.

Er war vom 20.9.2010 bis zum 30.11.2011 aufgrund Beschäftigung versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sein Arbeitgeber verpflichtete sich in einem arbeitsgerichtlichen Vergleich zur Zahlung einer noch ausstehenden "Restvergütung 5.000.-- € (...) brutto". Nach der insoweit erstellten "Abrechnung der Brutto/Netto-Bezüge für November 2016" vom 6.12.2016 wurden von dem Bruttobetrag neben Steuern auch der Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 958,83 EUR einbehalten. Diese Beiträge forderte der Kläger von der Beklagten als Einzugsstelle zurück, da 2016 kein Arbeitsverhältnis mehr bestanden habe. Die Beklagte lehnte den Erstattungsantrag ab (Bescheid vom 9.12.2020; Widerspruchsbescheid vom 24.3.2021).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.7.2022). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Das SG habe zutreffend ausgeführt, dass kein Verstoß gegen § 28g Satz 3 SGB IV vorliege. Der Abzug der Beitragsanteile sei nicht unterblieben. Nur für diesen Fall dürfe der Abzug grundsätzlich nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltszahlungen nachgeholt werden. Vorliegend handele es sich aber um nachgezahlten Arbeitslohn. Darauf seien Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten. Die Regelungen der §§ 28g Satz 3 und 28h SGB IV fänden keine Anwendung. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen (Beschluss vom 12.6.2023).

Der Kläger hat eine "PKH Begründung" vorgelegt und für die "Zulässigkeitsbeschwerde" die Beiordnung eines Notanwalts beantragt, da er ohne Erfolg "10 Rechtsanwaltskanzleien" kontaktiert habe.

II

1. Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts ist abzulehnen. Nach § 202 Satz 1 SGG iVm § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht, insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einem Beteiligten auf seinen Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint. Unabhängig davon, ob der Kläger ein erfolgloses Bemühen um eine Prozessvertretung bei mindestens fünf zugelassenen Prozessbevollmächtigten ( BSG Beschluss vom 26.7.2017 - B 12 R 28/17 B - juris RdNr 11 mwN) hinreichend aufgezeigt und seine Bereitschaft zur Rechnungsbegleichung erklärt hat, ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung als aussichtslos zu beurteilen. Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstigeres Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann (BGH Beschluss vom 29.9.2011 - V ZA 14/11 - juris = NJW-RR 2012, 84 ). Diese Einschränkung der gerichtlichen Notanwaltsbeiordnung soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt, vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren (vgl auch Althammer in Zöller, Zivilprozessordnung , 34. Aufl 2022, § 78b ZPO RdNr 5 mwN).

Die Revision gegen die Entscheidung des LSG steht dem Kläger nur zu, wenn sie zugelassen worden ist 160 Abs 1 Satz 1 SGG ). Das BSG darf die Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr ) oder die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Aufgrund des Vorbringens des Klägers und der Durchsicht der Akten ist ein Revisionszulassungsgrund nicht ersichtlich.

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt generelle Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit und Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Ungeklärte Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem vorliegenden Rechtsstreit sind nicht ersichtlich. D ass Sozialversicherungsbeiträge auch auf Arbeitsentgelt zu entrichten sind, das erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt wird, wirft keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf. Das Gesetz sieht keine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht zur Zahlung von Beiträgen auf Arbeitsentgelt im Hinblick auf den Auszahlungszeitpunkt vor (§§ 14 , 22 ff SGB IV ). In § 23a Abs 2 SGB IV findet sich zudem eine ausdrückliche Regelung zur Zuordnung von Arbeitsentgelt, das nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlt wird, zu einem bestimmten Entgeltabrechnungszeitraum. Offenbleiben kann daher, ob der Anspruch auf das nachgezahlte Arbeitsentgelt bereits vor dem arbeitsgerichtlichen Vergleich bestand oder erst durch diesen begründet worden ist. Jedenfalls ist der Arbeitsentgeltanspruch durch den gerichtlichen Vergleich auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt worden. Das kann unter keinem Gesichtspunkt dazu führen, dass die Beitragspflicht entfällt. Die Vorschrift des § 28g SGB IV betrifft ausschließlich den Anspruch des Arbeitgebers gegen den Beschäftigten auf den Arbeitnehmeranteil der Sozialversicherungsbeträge, weil der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag abzuführen hat. Unabhängig davon, dass der Arbeitgeber des Klägers diesen entsprechend § 28g Satz 2 SGB IV durch Abzug vom Arbeitsentgelt geltend gemacht hat, müsste der Kläger einen etwaigen Verstoß ohnehin gegenüber seinem früheren Arbeitgeber, nicht gegenüber der beklagten Einzugsstelle geltend machen. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beitragsberechnung sind nicht erkennbar.

Der Kläger selbst wirft folgende Fragen auf (vgl Schreiben vom 10.7.2023 Seite 3 RdNr 90 ff sowie Schreiben vom 14.7.2023 Seite 7 f RdNr 270 ff):

"Gilt das Entstehungsprinzip oder das Zuflussprinzip oder keins der beiden oder beide? Müssen die Angaben über das Beschäftigungsverhältnis, Art der Tätigkeit, Dauer, Entgelt, Auszahlung wahr sein?

Wann entsteht eine Beitragspflicht,? Beginnt diese am ersten Tag der Beschäftigung?

in welcher Höhe und wann endet diese?

Gilt die ortsübliche Vergütung als Berechnungsgrundlage, wenn die Lohnvereinbarung von Beginn an sittenwidrig war und nur knapp 40% der üblichen Vergütung entsprach?

Nach dem Verhalten der Einzugstelle; Wahrheitsgehalt nein; Beitrage entstehen erst nach einem Vergleich, nicht nach geleisteter Arbeit.

Hat eine unberechtigt ausgesprochene Kündigung, die selben strafrechtliche Auswirkung oder Schuldhaftigkeit des Beitragseinzug , wie ein Arbeitsverhältnis unterhalb der 2/3-Grenze für Lohnwucher?"

Auch daraus wird keine Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung erkennbar, die bisher noch nicht hinreichend geklärt ist und deren Klärung im vorliegenden Rechtsstreit durch das Revisionsgericht zu erwarten wäre.

b) Eine Divergenz kann nur dann zur Revisionszulassung führen, wenn die mit der Beschwerde angegriffene Entscheidung auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der von einem abstrakten Rechtssatz in einer (anderen) Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2005 - B 3 P 13/04 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 6 RdNr 5 und BSG Beschluss vom 16.7.2004 - B 2 U 41/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 4 RdNr 6, jeweils mwN). Auch hierfür ist angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelungen nichts ersichtlich.

c) Durchgreifende Verfahrensfehler ergeben sich nach Durchsicht der Akten auch unter Berück - sichtigung des Vorbringens des Klägers nicht. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Trotz der insoweit erhobenen Rüge enthält sein Vorbringen lediglich eine Kritik an der inhaltlichen Entscheidung des LSG. Dass die angegriffene Entscheidung des LSG auf einer fehlenden Beiladung des zuständigen Rentenversicherungsträgers beruhen könnte, ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar.

Soweit der Kläger fehlende Ermittlungen der Einzugsstelle zum Sachverhalt rügt und meint, das LSG habe "einen anderen Sachverhalt behandelt" (vgl Schreiben vom 14.7.2023 Seite 7 RdNr 240) ist darauf hinzuweisen, dass der arbeitsgerichtliche Vergleich keinen Anlass für weitere Ermittlungen zum geschuldeten Arbeitsentgelt bietet.

d) Unabhängig davon, dass allein eine mögliche inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung über die Berufung nicht zur Zulassung der Revision führen kann (stRspr; vgl bereits BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10; BSG Beschluss vom 13.11.2019 - B 13 R 125/18 B - juris RdNr 13), finden sich auch dafür keine Anhaltspunkte. Der Kläger geht offenbar selbst davon aus, dass "Sozialabgaben fällig werden" (vgl Schreiben vom 10.7.2023 Seite 3 RdNr 115 sowie Rechtsmittelschrift vom 14.7.2023 Seite 8 RdNr 295). Ein günstigeres Ergebnis kann daher ganz offenbar auch bei anwaltlicher Beratung nicht erreicht werden.

2. Soweit der Kläger auch die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts begehrt, ist auch dieser Antrag abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es mangelt aber - wie dargelegt - an der erforderlichen Erfolgsaussicht.

3. Die von dem Kläger selbst eingelegte Beschwerde entspricht nicht der gesetzlichen Form, da dieses Rechtsmittel nur durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten eingelegt werden kann 73 Abs 4 SGG ). Die nicht formgerecht eingelegte Beschwerde ist daher durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG ).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG .

Vorinstanz: SG Regensburg, vom 14.07.2022 - Vorinstanzaktenzeichen S 8 KR 210/21
Vorinstanz: LSG Bayern, vom 12.06.2023 - Vorinstanzaktenzeichen L 4 KR 457/22