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BSG - Entscheidung vom 19.02.2024

B 10 ÜG 2/23 BH

Normen:
SGG § 160 Abs. 1 Nr. 1

BSG, Beschluss vom 19.02.2024 - Aktenzeichen B 10 ÜG 2/23 BH

DRsp Nr. 2024/5942

Ablehnung eines Antrags auf Beiordnung eines Notanwalts für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 9. Mai 2023 einen Notanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Normenkette:

SGG § 160 Abs. 1 Nr. 1 ;

Gründe

I

Der Kläger begehrt in der Hauptsache eine höhere Geldentschädigung für die überlange Dauer eines vor dem SG und LSG geführten Verfahrens über die Erstattung von Miet- und Heizkosten.

Das LSG als Entschädigungsgericht hat dem Kläger eine Entschädigung iH von 200 Euro zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die gerichtliche Inaktivität im Verfahren vor dem SG belaufe sich auf 14 Monate, von denen nach Abzug der regelmäßigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit eine Entschädigungspflicht für zwei Monate verbleibe. Das Berufungsverfahren habe ebenfalls unangemessen lange gedauert, weil die Gerichtsakte für drei Jahre und sieben Monate im Sitzungsfach "verschwunden" sei. Der Kläger könne dafür aber keine Entschädigung verlangen, weil er seine Verzögerungsrüge erst nach der und in unmittelbarer Reaktion auf die Ladung zur mündlichen Berufungsverhandlung erhoben habe. Die Verzögerungsrüge sei nur noch "notwendiger Formalakt" zur Erreichung des Entschädigungsanspruchs gewesen und daher Ausdruck eines unzulässigen "Dulde und Liquidiere" des Klägers (Urteil vom 9.5.2023).

Gegen das ihm am 30.6.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 31.7.2023 (Montag) beim BSG einen Antrag auf Rechtsanwaltsbeiordnung für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde gestellt, weil er sich zuvor erfolglos um einen Anwalt bemüht habe.

II

1. Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des Entschädigungsgerichts vom 9.5.2023 einen Notanwalt beizuordnen, ist abzulehnen. Nach § 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 78b Abs 1 ZPO hat das Prozessgericht, insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, einem Beteiligten auf seinen Antrag durch Beschluss für den Rechtszug einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte beizuordnen, wenn er einen zu seiner Vertretung bereiten Rechtsanwalt nicht findet und die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Der Senat lässt dahingestellt, ob im Fall des Klägers die von der Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal des "Nicht-Findens" entwickelten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl hierzu BSG Beschluss vom 23.3.2016 - B 1 KR 14/16 B - juris RdNr 6 mwN). Eine Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers gegen das Urteil des Entschädigungsgerichts erscheint bei der gebotenen summarischen Prüfung ähnlich dem Verfahren der Prozesskostenhilfe (PKH; vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG , § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO ) jedenfalls aussichtslos.

Im Unterschied zur PKH ist der Entscheidungsmaßstab für die Beiordnung eines Notanwalts allerdings nicht eine hinreichende Erfolgsaussicht, sondern "Aussichtslosigkeit" als solche (siehe zu dieser Differenzierung Keller in jurisPR-SozR 9/2018 Anm 5). Aussichtslosigkeit besteht, wenn ein günstiges Ergebnis auch bei anwaltlicher Beratung ganz offenbar nicht erreicht werden kann. Diese Einschränkung der gerichtlichen Beiordnung eines Notanwalts soll einen Rechtsanwalt, der die Verantwortung für den Inhalt und die Fassung seiner Schriftsätze trägt, vor einer ihm nicht zumutbaren Vertretung in von vornherein aussichtslosen Sachen bewahren. Bei einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in einem Urteil des LSG liegt eine solche Aussichtslosigkeit vor, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen der in § 160 Abs 2 SGG enumerativ aufgeführten Gründe für die Zulassung der Revision - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung (Divergenz), Verfahrensmangel - offenbar nicht vorliegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 16.2.2023 - B 7 AS 146/22 B - juris RdNr 3 mwN). Eine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in dem Sinne, ob das LSG in der Sache richtig entschieden hat, ist im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig und kann daher nicht deren Erfolgsaussichten begründen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 13.7.2018 - B 9 V 19/18 B - juris RdNr 8 mwN).

Nach summarischer Prüfung liegt offenbar keiner der in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründe für die Zulassung der Revision vor. Die Revision darf danach nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat 160 Abs 2 Nr 1 SGG ), das Urteil von einer Entscheidung des BSG , des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann 160 Abs 2 Nr 3 SGG ). Es stellen sich im vorliegenden Verfahren keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung 160 Abs 2 Nr 1 SGG ). Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge 160 Abs 2 Nr 2 SGG ) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig.

Das gilt auch, soweit das Entschädigungsgericht einen Anspruch auf Geldentschädigung für die überlange Dauer des Berufungsverfahrens verneint hat, weil es die Verzögerungsrüge des Klägers als verspätet angesehen hat. Nach der Rechtsprechung des BSG ist eine Verzögerungsrüge rechtsmissbräuchlich und damit unwirksam, wenn sie von einem Beteiligten im Ausgangsverfahren aus sach- oder verfahrensfremden Zwecken erhoben wird. Rechtsmissbrauch in diesem Sinne wird insbesondere dann angenommen, wenn die Rüge so spät erhoben wird, dass eine verfahrensbeschleunigende Reaktion des Richters des Ausgangsverfahrens gar nicht mehr möglich ist oder wenn nach Würdigung der Gesamtumstände ein Beteiligter die Verzögerungsrüge zu einem sehr späten Zeitpunkt nur noch mit Blick auf die zukünftige Entschädigung erhebt ( BSG Urteil vom 17.12.2020 - B 10 ÜG 1/19 R - BSGE 131, 153 = SozR 4-1720 § 198 Nr 20, RdNr 27 mwN).

Fallübergreifende Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich in dieser Hinsicht nicht mehr. Sollte der Kläger im Kern mit der vom Entschädigungsgericht vorgenommenen Würdigung der Gesamtumstände in seinem Einzelfall bei der Bewertung seiner Verzögerungsrüge als verspätet nicht einverstanden sein, liefe dies auf eine Rüge der fehlerhaften Rechtsanwendung hinaus. Hierauf kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde von vornherein nicht gestützt werden (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.1.2018 - B 10 ÜG 14/17 B - juris RdNr 8).

Ebenso wenig ersichtlich ist ein Verfahrensfehler des Entschädigungsgerichts, der nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Revisionszulassung führen könnte.

2. Die Entscheidung ergeht kostenfrei ( BSG Beschluss vom 9.3.2021 - B 1 KR 9/20 BH - juris RdNr 22 mwN).

Vorinstanz: LSG Schleswig-Holstein, vom 09.05.2023 - Vorinstanzaktenzeichen L 12 SF 1/20