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BGH - Entscheidung vom 17.01.2024

IV ZR 159/22

Normen:
VVG § 203 Abs. 5

BGH, Urteil vom 17.01.2024 - Aktenzeichen IV ZR 159/22

DRsp Nr. 2024/1836

Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung

1. Die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung steheneiner Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. 2. Die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt. 1. Die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung steheneiner Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. 2. Die Unwirksamkeit des § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Revision das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. April 2022, berichtigt durch Beschluss vom 30. August 2022, insoweit aufgehoben, als festgestellt worden ist, dass über den 30. April 2021 hinaus die Erhöhung des Monatsbeitrags in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Krankenversicherung mit der Versicherungsnummer KV ... im Tarif B B zum 1. April 2015 in Höhe von 26,89 € unwirksam ist und der Kläger nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet war.

Die Berufung des Klägers wird auch insoweit zurückgewiesen.

Die Urteilsformel des angefochtenen Urteils des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 5. April 2022 wird dahingehend berichtigt, dass es dort heißt:

"b) Es wird festgestellt, dass der Kläger nicht zur Tragung des jeweiligen Erhöhungsbetrages aus den folgenden Erhöhungen des Monatsbeitrags verpflichtet ist:

in dem Tarif B B die Erhöhung um 26,89 € zum 01.04.2015, [...]".

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 59 % und die Beklagte zu 41 % aus einem Streitwert von 22.937,27 €.

Die Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz tragen der Kläger zu 58 % und die Beklagte zu 42 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 29 % und die Beklagte zu 71 %.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 3.000 € festgesetzt.

Normenkette:

VVG § 203 Abs. 5 ;

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Musterbedingungen 2009 - MB/KK 2009 - des Verbandes der privaten Krankenversicherung (im Folgenden: MB/KK) und die Tarifbedingungen der Beklagten zugrunde. In den Muster- und Tarifbedingungen heißt es, wobei die Tarifbedingungen kursiv gedruckt sind:

"§ 8b Beitragsanpassung

1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit de n in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die se Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. [...]

1.1. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versichererüberprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 %können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung desTreuhänders angepasst werden. [...]

2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.

3. [...]"

Die Beklagte teilte dem Kläger unter anderem eine Beitragserhöhung im Tarif B B um 26,89 € zum 1. April 2014 mit Wirkung zum 1. April 2015 mit. Im Schreiben der Beklagten vom Februar 2015, dem unterem anderem ein Nachtrag zum Versicherungsschein und ein Informationsblatt beigefügt waren, hieß es:

"[...] in Deutschland nehmen schwerwiegende Krankheitsfälle immer mehr zu. Hierunter fallen psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Depressionen. Aber auch Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes wie Rückenschmerzen und Bandscheibenschäden treten häufiger auf. Die betroffenen Patienten sind deshalb oft lange arbeitsunfähig. Dadurch steigen die Ausgaben für Versicherungen, die einen Verdienstausfall abdecken. Auch deshalb müssen wir in diesem Jahr die Beiträge für die Krankentagegeldtarife erhöhen. [...]"

Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannte sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von zuletzt 12.734,16 € nebst Zinsen und die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass er aus dem Versicherungsvertrag im Tarif B B ab dem 1. Januar 2021 keine monatlichen Zahlungen über einen Betrag von 160,67 € hinaus schuldet.

Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 8.837,13 € nebst Zinsen verurteilt. Dagegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel zusätzlich verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € nebst Zinsen zu zahlen, sowie festgestellt, dass die oben genannte und - bis zum 30. April 2021 - weitere Prämienerhöhungen nicht wirksam geworden sind und der Kläger nicht zur Tragung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist.

Mit der Revision begehrt die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und Klageabweisung, soweit sie zur Zahlung von mehr als 7.223,73 € und mehr als 413,64 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt worden ist sowie das Berufungsgericht die Unwirksamkeit der Neufestsetzung des Beitrags im Tarif B B zum 1. April 2014 (mit Wirkung zum 1. April 2015) und das Fehlen einer Verpflichtung zur Zahlung des Erhöhungsbetrages aufgrund dieser Neufestsetzung festgestellt hat.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat nur teilweise Erfolg.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Prämienanpassung zum 1. April 2014/1. April 2015 sowohl formell als auch materiell unwirksam war. Bei dieser Tarifanpassung habe die Veränderung bei den Versicherungsleistungen unter dem gesetzlichen Schwellenwert von nicht mehr als 10 %, aber über 5 % gelegen. Die Beitragsanpassungsklausel in § 8b Abs. 1.1, 2 MB/KK widerspreche aber den gesetzlichen Vorschriften, nach denen eine Beitragsanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Neben den Rückzahlungsansprüchen habe der Kläger einen Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB .

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur teilweise stand.

1. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei entschieden, dass die von der Beklagten mitgeteilten Gründe für die Prämienerhöhung zum 1. April 2014/1. April 2015 die Voraussetzungen einer nach § 203 Abs. 5 VVG erforderlichen Mitteilung (vgl. dazu Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 26) nicht erfüllten. Insoweit liegt entgegen der Ansicht der Revision kein absoluter Revisionsgrund der fehlenden Gründe nach § 547 Nr. 6 ZPO vor. Das Berufungsgericht hat zunächst den Inhalt des Schreibens der Beklagten vom Februar 2015 im Urteil durch Bezugnahme auf die Akten festgestellt. Die formelle Unwirksamkeit der darin mitgeteilten Erhöhung hat es begründet, indem es die Entscheidung des Landgerichts bestätigt hat, das laut Berufungsurteil mit zutreffender Begründung davon ausgegangen sei, dass u.a. das Mitteilungsschreiben zu der Beitragserhöhung im Tarif B B zu dem Stichtag 1. April 2014, welches Grundlage für die Beitragserhöhung zum 1. April 2015 gewesen sei, den zu stellenden Mindestanforderungen an eine Mitteilung der maßgeblichen Gründe im Sinne des § 203 Abs. 5 VVG nicht genügt habe.

Die so in Bezug genommene Begründung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO Rn. 38). Danach fehlte es hier an einer hinreichend klaren Bezugnahme auf die Rechnungsgrundlage, welche die konkrete Prämienanpassung für den jeweils streitgegenständlichen Tarif ausgelöst hat.

2. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht dagegen die Prämienerhöhung zum 1. April 2014/1. April 2015 über die formelle Unwirksamkeit hinaus mit der Begründung für endgültig unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 ( IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078 ) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.).

3. Daher ist auch für diese Prämienanpassung eine Heilung des Begründungsmangels (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 41 f.) durch die Angaben der Beklagten in diesem Rechtsstreit zum 1. Mai 2021 eingetreten; die Unwirksamkeit der Beitragserhöhung und der fehlenden Zahlungspflicht ist somit nur bis zu diesem Zeitpunkt festzustellen. Das Landgericht hat festgestellt, dass die Beklagte im Schriftsatz vom 16. Februar 2021 für alle streitgegenständlichen Beitragserhöhungen die auslösenden Faktoren konkret benannt hat. Das Berufungsgericht hat die Annahme, dass dadurch eine Heilung eingetreten ist, für die weiteren Beitragserhöhungen bestätigt; weitergehender Feststellungen zu der hier in Rede stehenden Prämienerhöhung bedarf es nicht mehr.

In diesem Zusammenhang liegt jedoch eine offenbare Unrichtigkeit des Urteilstenors vor, die nach § 319 Abs. 1 ZPO jederzeit von Amts wegen und auch vom Rechtsmittelgericht (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2021 - IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31 Rn. 36 m.w.N.) berichtigt werden kann. Während im Tenor des Berufungsurteils bei der Feststellung der Unwirksamkeit die Prämienerhöhung im Tarif B B um 26,89 € zutreffend und in Übereinstimmung mit den tatbestandlich en Feststellungen als Erhöhung "zum 01.04.2015" bezeichnet wird, da sie von diesem Datum an wirkte, wird diese bei der Feststellung der fehlenden Zahlungspflicht versehentlich Erhöhung "zum 01.01.2016" genannt. Daher ist der Tenor entsprechend zu berichtigen.

4. Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht damit auch den mit der Revision angefochtenen Rückzahlungsbetrag von 1.613,40 € aus der Prämienerhöhung zum 1. April 2014/1. April 2015 zugesprochen (60 Monate vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2020 à 26,89 €). Ebenfalls zutreffend hat es - dem Grunde nach von der Revision zu Recht nicht angegriffene - vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 € zugesprochen. Der ebenfalls nicht angegriffene Geschäftswert für die Rückzahlungsforderungen aus weiteren Prämienanpassu ngen in Höhe von 3.691,63 € erhöhte sich nach dem oben Gesagten um die bei der Beauftragung im Oktober 2018 begründete Rückzahlungsforderung aus der Beitragserhöhung zum 1. April 2014/1. April 2015 von 1.156,27 € (43 Monate vom 1. April 2015 bis 1. Oktober 2018 à 26,89 €) auf 4.847,90 €. Bei Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr errechnen sich daraus nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung Kosten von 492,54 € (303 € Gebühr x 1,3 + 20 € Pauschale + 78,64 € Umsatzsteuer).

III. Die Abänderung der Streitwertfestsetzung für das Verfahren erster Instanz beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG und berücksichtigt den für die Wertberechnung maßgeblichen instanzeinleitenden Zahlungsantrag, § 40 GKG , sowie den Umstand, dass der auf die Zukunft gerichtete Feststellungantrag nicht die Beitragserhöhungen in den beendeten Tarifen des Klägers umfasste.

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. Januar 2024

Vorinstanz: LG Köln, vom 26.05.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 471/19
Vorinstanz: OLG Köln, vom 05.04.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 9 U 124/21