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BGH - Entscheidung vom 12.03.2024

StB 16/24

Normen:
StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 3

Fundstellen:
NStZ-RR 2024, 155

BGH, Beschluss vom 12.03.2024 - Aktenzeichen StB 16/24

DRsp Nr. 2024/4720

Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung

Eine Störung des Vertrauensverhältnisses im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält. Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein.

Tenor

1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird verworfen.

2. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2024 wird auf seine Kosten verworfen.

Normenkette:

StPO § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 , 3 ;

Gründe

I.

Vor dem Oberlandesgericht ist gegen den Angeklagten ein Strafverfahren wegen des Vorwurfs der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens anhängig.

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat noch im Ermittlungsverfahren mit Beschluss vom 7. Dezember 2022 dem Angeklagten mit dessen Zustimmung Rechtsanwalt R. als Pflichtverteidiger und mit weiterem Beschluss vom 5. Juli 2023 Rechtsanwalt K. als zusätzlichen Pflichtverteidiger bestellt. Rechtsanwalt S. ist durch Vollmacht vom 30. November 2023 als Wahlverteidiger mandatiert.

Mit Schreiben vom 30. November 2023 hat der Angeklagte beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt R. aufzuheben und ihm Rechtsanwalt S. als neuen Pflichtverteidiger zu bestellen, da das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt R. endgültig zerstört sei. Diesen Antrag hat das Oberlandesgericht durch Entscheidung des Vorsitzenden des mit der Sache befassten Strafsenats vom 23. Januar 2024 abgelehnt. Zur Begründung hat es unter näherer Darlegung im Einzelnen ausgeführt, dass es an der für eine konsensuale Umbeiordnung erforderlichen Zustimmung von Rechtsanwalt R. fehle, die Frist nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO abgelaufen sei und kein zerstörtes Vertrauensverhältnis im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO vorliege.

Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat der Angeklagte am 29. und 30. Januar 2024 sofortige Beschwerde eingelegt und erneut vorgebracht, dass das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt R. erschüttert sei. Überdies hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde beantragt. Der Generalbundesanwalt ist den Anträgen mit ausführlich begründetem Schriftsatz vom 13. Februar 2024 entgegengetreten.

II.

Sowohl der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als auch die sofortige Beschwerde bleiben ohne Erfolg.

1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, weil keine Fristversäumnis vorliegt; er ist mithin auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2021 - 3 StR 185/21, NStZ-RR 2021, 344 mwN; vom 12. Januar 2022 - 3 StR 424/21, juris Rn. 2). Nach § 35 Abs. 2 StPO hätte der angefochtene Beschluss förmlich zugestellt werden müssen. Denn es bedarf der Zustellung der Entscheidung, wenn durch ihre Bekanntmachung eine Frist - wie vorliegend die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO - in Lauf gesetzt wird. Eine bloße formlose Mitteilung genügt auch dann nicht, wenn sie nachgewiesen ist. Da die Beschwerdefrist somit noch nicht zu laufen begonnen hatte, hat die sofortige Beschwerde nicht verfristet eingelegt werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 - StB 23/20, juris Rn. 10 mwN).

2. Die statthafte und auch im Übrigen gemäß § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1, § 306 Abs. 1 , § 311 Abs. 1 und 2 StPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der zur Entscheidung berufene Vorsitzende des mit der Sache befassten Oberlandesgerichtssenats (§ 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO ) hat den Antrag auf Verteidigerwechsel zu Recht und mit auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens zutreffender Begründung abgelehnt. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger Rechtsanwalt R. und dem Angeklagten endgültig zerstört, noch ist aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StPO ). Ergänzend zu den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung, auf die Bezug genommen wird, gilt Folgendes:

a) Eine Störung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt. Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält. Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Juni 2021 - StB 24/21, juris Rn. 5; vom 10. August 2023 - StB 49/23, juris Rn. 10, jeweils mwN).

b) Hieran gemessen ist nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Rechtsanwalt R. hielt in ausreichendem Maße Kontakt zu dem seit dem 7. Dezember 2022 inhaftierten Angeklagten. Bereits nach den Darlegungen des Angeklagten suchte der Pflichtverteidiger ihn von Dezember 2022 bis Juni 2023 dreimal in der Justizvollzugsanstalt auf. In diesem Zeitraum beantragte Rechtsanwalt R. für den Angeklagten unter anderem Telefon- und Besuchserlaubnisse und die Überlassung eines Lese-Laptops. Ferner bestand im Zeitraum von Anfang April bis Ende Juni 2023 mehrfacher und kontinuierlicher telefonischer Kontakt zwischen beiden. Rechtsanwalt R. gab zudem im Rahmen der mündlichen Haftprüfung und im Sechs-Monats-Haftprüfungsverfahren umfangreiche schriftliche Stellungnahmen ab. Überdies kümmerte er sich um verschiedene zivilrechtliche und organisatorische Angelegenheiten des Angeklagten. Im Anschluss arbeitete sich Rechtsanwalt R. mit Blick auf die vom Generalbundesanwalt avisierte Anklageerhebung im Oktober 2023 in den äußerst umfangreichen Aktenbestand ein, der zu diesem Zeitpunkt mehr als 200.000 Blatt Papier und eine Datenmenge von 265 Terabyte umfasste. Wenn vor diesem Hintergrund der Besprechungsaufwand durch den Verteidiger vorübergehend eingeschränkt wurde, kann aus Sicht eines verständigen Angeklagten hieraus keine Störung des Vertrauensverhältnisses hergeleitet werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits seit Juli 2023 einen zusätzlichen Pflichtverteidiger und seit November 2023 einen weiteren Wahlverteidiger hat, die sich ebenfalls um die Belange des Angeklagten bemühten. So hat beispielsweise der weitere Pflichtverteidiger im Rahmen der gerichtlich angeordneten Entnahme von Körperzellen sowie des Neun-Monats-Haftprüfungsverfahrens Stellung genommen. Ein letzter persönlicher Besuch des Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt durch Rechtsanwalt R. fand darüber hinaus Ende Januar 2024 statt, nachdem dieser sich in die 600-seitige Anklageschrift aus Dezember 2023 eingearbeitet hatte.

Ebenso begründet der Umstand, dass Rechtsanwalt R. mit dem Angeklagten die aus seiner Sicht niedrigen Pflichtverteidigergebühren im Ermittlungsverfahren erörterte, keine Störung des Vertrauensverhältnisses. Der Angeklagte hat bereits nicht vorgetragen, dass Rechtsanwalt R. auf den Abschluss einer Honorarvereinbarung gedrängt habe. Dieser hat im Übrigen seine Äußerung plausibel erläutert.

Die vom Angeklagten geltend gemachten Gesichtspunkte reichen somit auch in ihrer Gesamtheit nicht aus, um eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses darzutun. Abschließend wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 13. Februar 2024 Bezug genommen.

c) Da kein Grund für eine Aufhebung der Bestellung von Rechtanwalt R. besteht, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass der beantragten Bestellung von Rechtsanwalt S. gemäß § 143a Abs. 2 Satz 2, § 142 Abs. 5 Satz 3 StPO die von ihm mitgeteilten Terminkollisionen entgegenstehen könnten.

Vorinstanz: OLG Stuttgart, vom 23.01.2024
Fundstellen
NStZ-RR 2024, 155