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BGH - Entscheidung vom 17.01.2024

IV ZR 19/23

Normen:
VVG a.F. § 5a Abs. 1 S. 1
VVG a.F. § 5 Abs. 2 S. 1
BGB § 812 Abs. 1 S. 1
BGB § 242 Cc
VVG § 5a Abs. 1 S. 1

Fundstellen:
WM 2024, 301
MDR 2024, 373
NJW 2024, 965
zfs 2024, 209

BGH, Urteil vom 17.01.2024 - Aktenzeichen IV ZR 19/23

DRsp Nr. 2024/1658

Versagung der Möglichkeit der Ausübung des Widerspruchsrechts; Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von zwei Rentenversicherungsverträgen

Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Tatgericht die Möglichkeit der Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. versagt, wenn - bei gleichzeitiger Übersendung von und Hinweis auf Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen - in der im Policenbegleitschreiben enthaltenen Widerspruchsbelehrung auf den "Zugang dieses Schreibens" als den Umstand verwiesen wird, der den Lauf der Widerspruchsfrist auslöst (Fortführung des Senatsurteils vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, BGHZ 236, 163 ).

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember 2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Streitwert: 3.981,07 €

Normenkette:

VVG a.F. § 5a Abs. 1 S. 1; VVG a.F. § 5 Abs. 2 S. 1;

Tatbestand

Die Klägerin macht - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - aus behauptet abgetretenem Recht Ansprüche auf bereicherungsrechtliche Rückabwicklung von zwei Rentenversicherungsverträgen geltend.

Die Versicherungsnehmerin unterhielt bei der Beklagten zwei Rentenversicherungsverträge; die Verträge wurden nach dem sogenannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden: § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. In zwei Begleitschreiben vom 31. Januar 2003 heißt es auf der jeweils ersten von zwei Seiten:

"Zusammen mit diesem Schreiben erhalten Sie Ihren Versicherungsschein, die allgemeinen Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen. Bitte nehmen Sie sich die Zeit zum Durchlesen und Überprüfen der Angaben im Versicherungsschein auf Vollständigkeit und bewahren Sie die Unterlagen bitte sorgfältig auf."

Auf der zweiten Seite ist in den Begleitschreiben folgende - drucktechnisch hinreichend hervorgehobene - Belehrung enthalten:

"Sie können diesem Versicherungsvertrag innerhalb von 14 Tagen nach Zugang dieses Schreibens widersprechen. Zur Wahrung dieser Frist genügt die rechtzeitige Absendung einer Widerspruchserklärung in Textform (schriftlich oder in anderer lesbarer Form). Selbstverständlich werden wir Ihnen in diesem Falle bereits gezahlte Beiträge zurückerstatten."

Mit den Begleitschreiben wurden der Versicherungsnehmerin jeweils der Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen übersandt. Nachdem die Versicherungsnehmerin ihre Ansprüche aus beiden Versicherungsverträgen an eine GmbH abgetreten hatte, kündigte diese Gesellschaft im Jahr 2015 die Verträge und erhielt anschließend die von der Beklagten errechneten Rückkaufswerte ausgezahlt. Mit Schreiben vom 2. September 2019 zeigte die Klägerin die weitere Abtretung etwaig noch bestehender Rechte aus den beiden Versicherungsverträgen an sich an und erklärte den Widerspruch.

Mit der Klage verlangt die Klägerin im Wege der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung Rückzahlung der eingezahlten Prämien zuzüglich gezogener Nutzungen abzüglich der Risikokosten und bereits ausgezahlter Rückkaufswerte.

Das Landgericht hat - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat einen bereicherungsrechtlichen Anspruch der Klägerin verneint. Die Klägerin habe den im Jahr 2003 geschlossenen Verträgen im Jahr 2019 nicht mehr widersprechen können, weil die Versicherungsnehmerin jeweils ordnungsgemäß über das ihr nach § 5a VVG a.F. zustehende Widerspruchsrecht belehrt worden sei. Zu einem fortdauernden Widerspruchsrecht führe insbesondere nicht, dass nach dem Inhalt des Policenbegleitschreibens die Widerspruchsfrist "nach Zugang dieses Schreibens" beginne, auch wenn diese Formulierung nicht den Anforderungen des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. entspreche. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union komme es für ein Fortbestehen des Widerspruchsrechts darauf an, ob die erteilten Informationen derart unrichtig seien, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit genommen werde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Diese Erwägungen führten im vorliegenden Falle dazu, ein fortbestehendes Lösungsrecht zu verneinen. Die von der Beklagten verwendete Formulierung sei sprachlich nicht unklar. Zu einem Auseinanderfallen zwischen Erhalt der maßgeblichen Schriftstücke und dem Policenbegleitschreiben habe es aufgrund der gebündelten Versendung aller für den Fristablauf erforderlichen Dokumente, die zudem eingangs des Schreibens ausdrücklich aufgeführt seien, nicht kommen können.

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, der Klägerin stehe kein bereicherungsrechtlicher Zahlungsanspruch zu, weil die Versicherungsnehmerin die Prämienzahlungen hinsichtlich beider Versicherungsverträge nicht ohne Rechtsgrund vorgenommen hat. Die Klägerin konnte den Widerspruch nicht noch im Jahr 2019 wirksam ausüben. Auf die von der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage, ob die Klägerin aktivlegitimiert ist, kommt es hier deshalb nicht entscheidungserheblich an.

1. Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts enthielt die nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erforderliche Widerspruchsbelehrung zwar jeweils eine unrichtige Information über die Voraussetzungen des Beginns der Frist für den Widerspruch, indem dort auf den Zugang des Policenbegleitschreiben s als fristauslösenden Umstand verwiesen wurde.

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, aus dieser Unrichtigkeit der der Versicherungsnehmerin erteilten Informationen über den Beginn der Widerspruchsfrist folge hier allerdings nicht, dass die Klägerin d en im Jahr 2003 geschlossenen Verträgen noch im Jahr 2019 widersprechen könne, hält aber revisionsrechtlicher Prüfung stand.

a) Im Einklang mit der neueren Senatsrechtsprechung hat das Berufungsgericht bei der Beantwortung der Frage, ob die Klägerin d as Widerrufsrecht noch wirksam ausüben kann, entscheidend darauf abgestellt, ob der Versicherungsnehmerin die Möglichkeit genommen wurde, ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen auszuüben wie bei zutreffender Belehrung (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13; vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, BGHZ 236, 163 Rn. 16).

b) Keinen Rechtsfehler lässt auch die Annahme des Berufungsgerichts erkennen, der hier zu beurteilende Belehrungsfehler habe der Versicherungsnehmerin diese Möglichkeit nicht genommen. Die Bewertung des Tatrichters, ob ein nur geringfügiger Belehrungsfehler vorliegt, kann in der Revisionsinstanz generell nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13; vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, BGHZ 236, 163 Rn. 19).

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung zu Recht maßgeblich darauf abgestellt, dass trotz des Belehrungsmangels für die Versicherungsnehmerin eine richtige Berechnung der Frist ohne weiteres möglich gewesen sei. Auf der ersten Seite des nur zwei Seiten umfassenden Begleitschreibens wird hier ausdrücklich auf die Übersendung von Versicherungsschein, Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen hingewiesen und der Beginn der Widerspruchsfrist dann an den "Zugang dieses Schreibens" geknüpft. Auch die vollständige Beifügung dieser Unterlagen konnte das Berufungsgericht im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums zur Klärung der Frage heranziehen, ob die Versicherungsnehmerin ihr Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen ausüben konnte wie bei einer ordnungsgemäßen Belehrung. Soweit sich aus den Entscheidungen des Senats vom 24. Februar 2016 ( IV ZR 142/15, r+s 2016, 170 Rn. 12) und 20. Mai 2015 ( IV ZR 502/14, juris Rn. 10) hinsichtlich der Bewertung des hier zu beurteilenden Belehrungsmangels etwas anderes ergeben sollte, wird hieran nicht festgehalten. Die abschließende Überlegung des Berufungsgerichts, bei der hier vorliegenden Fallgestaltung sei ein zeitliches Auseinanderfallen zwischen Erhalt der fristauslösenden Unterlagen einerseits und des Policenbegleitschreibens andererseits ausgeschlossen, so dass die Versicherungsnehmerin nicht durch zuvor bereits erhaltene Unterlagen verwirrt werden könne, lässt ebenfalls keine Verletzung des dem Tatrichter zustehenden Prüfungsmaßstabs erkennen.

Entgegen der Ansicht der Revision kam es für die Entscheidung des Berufungsgerichts mit Blick auf die neuere Senatsrechtsprechung ( vgl. Senatsurteile vom 15. März 2023 - IV ZR 40/21, VersR 2023, 631 Rn. 13; vom 15. Februar 2023 - IV ZR 353/21, BGHZ 236, 163 Rn. 16) und die vom Berufungsgericht in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 19. Dezember 2019 Rust-Hackner u.a., C-355/18, C-356/18, C-357/18 und C-479/18, EU:C:2019:1123 = NJW 2020, 667 ) auch nicht mehr auf die Frage an, ob die Belehrung nur einen "marginalen Fehler" enthält, so dass das Berufungsgericht nicht gehalten war, sich mit zu dieser Problematik verhaltender älterer Senatsrechtsprechung auseinanderzusetzen. Soweit die Revision insoweit auf die Senatsentscheidungen vom 29. Juli 2015 ( IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 ; IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 ) verweist, lagen diesen Entscheidungen jeweils andere - zudem mehrfache - Belehrungsmängel zugrunde. In den dort zur Beurteilung anstehenden Widerspruchsbelehrungen war allein auf den Erhalt des Versicherungsscheins als fristauslösenden Umstand verwiesen worden und die Belehrung war zudem auch hinsichtlich der einzuhaltenden Form unzutreffend (vgl. Senatsurteile jeweils vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 3 und 32; IV ZR 448/14, aaO Rn. 2 und 30).

Von Rechts wegen

Verkündet am: 17. Januar 2024

Vorinstanz: LG Frankfurt/Main, vom 28.10.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 23 O 245/20
Vorinstanz: OLG Frankfurt/Main, vom 21.12.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 7 U 188/21
Fundstellen
WM 2024, 301
MDR 2024, 373
NJW 2024, 965
zfs 2024, 209