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BGH - Entscheidung vom 20.02.2024

2 StR 468/22

Normen:
StGB § 132a

Fundstellen:
NJW-Spezial 2024, 280

BGH, Urteil vom 20.02.2024 - Aktenzeichen 2 StR 468/22

DRsp Nr. 2024/4700

Schuldspruch wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln; Voraussetzungen des bedingten Tötungsvorsatzes; Missbrauch von Titeln und Berufsbezeichnungen

1. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht. Dabei ist zwar die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen. Schließlich muss diese Prüfung stets auf den Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung (durch Tun oder Unterlassen) bezogen sein. 2. Der gesetzliche Tatbestand des Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen gemäß § 132a StGB fasst grundsätzlich eine Mehrheit natürlicher Betätigungen, die auf demselben Entschluss beruhen, zu einer einheitlich bewerteten Straftat zusammen. Erst zeitliche Abstände zwischen den von einem Täter gewählten Gelegenheiten und/oder die Verschiedenheit der Sachlagen können die Annahme einer Mehrheit von Taten begründen.

Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 25. Mai 2022

a)

im Schuldspruch

aa)

dahingehend geändert, dass die Angeklagte hinsichtlich der Fälle II.4 der Urteilsgründe lediglich wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen in einem Fall verurteilt ist,

bb)

hinsichtlich der Fälle II.6 bis II.18 der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bestehen,

b)

im Strafausspruch aufgehoben

aa)

hinsichtlich der vier Einzelstrafen wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen in den Fällen II.4 der Urteilsgründe, von denen drei entfallen,

bb)

im Gesamtstrafenausspruch sowie

cc)

hinsichtlich der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld,

c)

hinsichtlich der Einziehungsentscheidung klargestellt, dass gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 162.979,56 Euro angeordnet ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Normenkette:

StGB § 132a;

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in drei Fällen, versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in zehn Fällen, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln in drei Fällen, Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen in zwei Fällen sowie wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen in vier Fällen zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Außerdem hat es eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erlangte die heute 53-jährige Angeklagte im Jahr 1990 die allgemeine Hochschulreife. Im Anschluss absolvierte sie ein viermonatiges Praktikum in einer Arztpraxis; es folgte ein dreimonatiges Krankenpflegepraktikum beim XXX . Im April 1991 begann sie ein Biologiestudium an der Universität XXX, das sie zwei Jahre später mit der Diplomprüfung erfolgreich abschloss. Anschließend war sie für ein Jahr im Studiengang Biologie an der Universität XXX eingeschrieben. Seit Oktober 1994 war die Angeklagte zudem im XXX für Naturheilverfahren in XXX immatrikuliert. An der Universität XXX war sie ab Mai 1995 im Studiengang Zahnmedizin bis einschließlich September 1996 eingeschrieben. Ab dem darauf folgenden Monat folgte die Immatrikulation im Studium der Zahnmedizin an der Universität XXX. Dort erfolgte zum 31. März 2000 die Exmatrikulation. Im April 2000 wurde ihr von der Stadt XXX die Erlaubnis erteilt, die Heilkunde (ohne als Arzt bestallt zu sein) berufsmäßig auszuüben. Zwischen April 2002 und April 2003 legte die Angeklagte ihre Diplomprüfungen im Fachgebiet Biologie ab; ihre Diplomarbeit fertigte sie im pathologischen Institut des Klinikums XXX. Sie bestand schließlich mit der Gesamtnote "sehr gut", ihr wurde der akademische Grad "Diplom-Biologin" verliehen. Dort fertigte die Angeklagte auch bis zum Jahre 2007 ihre Promotionsschrift. Nebenher arbeitete die Angeklagte in den Jahren 2004 bis mindestens 2007 als Honorardozentin bei der XXX beim Klinikum XXX, wobei sie in den Fächern Anatomie und Krankheitslehre unterrichtete. Die Zusammenarbeit endete, nachdem die Akademie mit der Leistung der Angeklagten nicht mehr zufrieden war.

In den Jahren 2007 bis 2010 arbeitete die Angeklagte an verschiedenen Standorten als Heilpraktikerin. Ein ihr im Jahr 2008 verliehener Grad einer Doktorin der Naturwissenschaften wurde ihr im Laufe des Strafverfahrens entzogen, weil es sich bei der Promotionsarbeit um ein Plagiat handelte. Am 1. März 2014 meldete die Angeklagte ein Einzelunternehmen mit der Geschäftsbezeichnung "XXX" an, es wurde zum 31. Oktober 2015 wieder abgemeldet.

Zum 1. November 2015 wurde die Angeklagte als Assistenzärztin im XXX eingestellt. Sie arbeitete dort zunächst in der medizinischen Abteilung für Inneres, sodann in der Anästhesie und zuletzt als Leitende Ärztin im Medizincontrolling. Im November 2017 erhielt sie die Zusatzbezeichnung "Notfallmedizin" und absolvierte in diesem Zusammenhang Bereitschaftsdienste für den Notarztwagen. Im Mai 2018 kündigte die Angeklagte ihre Anstellung im Krankenhaus in XXX aus privaten Gründen. Ab September 2018 bis zu ihrer Kündigung im Dezember 2018 war sie vier Monate XXX in der in der Orthopädie tätig.

2. Im Zusammenhang mit der Aufnahme ihrer ärztlichen Tätigkeit und ihrer späteren Arbeit als Anästhesistin an der Klinik in XXX hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

a) Am 29. September 2015 bewarb sich die Angeklagte unter Vorlage einer gefälschten Approbationsurkunde sowie eines unrichtigen Lebenslaufs, in dem unter anderem der erfolgreiche Abschluss eines Medizinstudiums aufgeführt war, als Assistenzärztin zur Weiterbildung in der internistischen Abteilung des XXX. In der Fehlvorstellung über die ärztliche Qualifikation der Angeklagten schloss die Klinik nach Hospitationen der Angeklagten einen Arbeitsvertrag über die Anstellung als Assistenzärztin ab 1. November 2015 bis 31. Oktober 2020. Der Angeklagten war bei Einreichung der Bewerbungsunterlagen einschließlich der Vorlage der gefälschten Approbationsurkunde bewusst, dass sie ohne Approbation nicht als Ärztin eingestellt worden wäre. Es kam ihr neben der mit der Einstellung verbundenen Reputation auch auf die monatlichen Gehaltszahlungen als Vermögensvorteil an. In der Folge arbeitete die Angeklagte zunächst in der Inneren Abteilung, bevor sie zum 1. März 2016 in die Anästhesie wechselte, wo sie bis zum 1. November 2017 verblieb. Im Rahmen ihrer Tätigkeit dort war sie im Rahmen von Operationen in einer Vielzahl von Fällen als Narkoseärztin eingesetzt; die dabei von ihr begangenen Fehler bei der Narkose sind die Grundlage der ihr angelasteten Körperverletzungs- und Tötungsdelikte.

Ab 1. November 2017 arbeitete sie anschließend als Leitende Ärztin im Medizincontrolling; der mit ihr insoweit abgeschlossene Arbeitsvertrag war nicht befristet, er wurde von ihr zum 31. August 2018 aus privaten Gründen gekündigt (Fall II.1 der Urteilsgründe).

b) Am 1. September 2015 sowie am 30. September 2015 legte die Angeklagte die gefälschte Approbationsurkunde zur Anfertigung beglaubigter Kopien beim Bürgeramt in XXX vor. Dieses nahm die Beglaubigung mit dem Vermerk vor, dass die Beglaubigung nur zur Vorlage bei der Landesärztekammer erteilt werde (Fall II.2 der Urteilsgründe).

c) Am 13. Oktober 2015 meldete sich die Angeklagte bei der Landesärztekammer unter Vorlage der am 30. September 2015 erstellten beglaubigten Kopie der Approbationsurkunde an. XXX Dort wurde sie dann in die Ärztekammer des Landes aufgenommen (Fall II.3 der Urteilsgründe).

d) Im Rahmen ihrer Tätigkeit im Medizincontrolling trat die Angeklagte als Ärztin mit zweifachem Doktortitel auf, obwohl sie zu dieser Zeit nur über einen verfügte und zur Führung der Berufsbezeichnung "Ärztin" nicht berechtigt war. Dies tat sie unter anderem in vier Widerspruchsschreiben an Krankenkassen bzw. Krankenversicherungen zwischen April und Juni 2018 (Fälle II.4 der Urteilsgründe).

e) Mit Schreiben vom 15. Mai 2018 bewarb sich die Angeklagte bei der XXX als Assistenzärztin im Fachbereich Innere Medizin. Dabei legte sie unter anderem eine der durch die Stadt XXX gefertigten beglaubigten Kopien der gefälschten Approbationsurkunde vor. Nach einem Bewerbungsgespräch wurde die Angeklagte zum 1. September 2018 als Assistenzärztin in der Weiterbildung im Bereich der Orthopädie eingestellt. Dabei gingen die Verantwortlichen der Klinik davon aus, dass die Angeklagte tatsächlich ein Medizinstudium erfolgreich abgeschlossen habe. Nach Beginn ihrer Tätigkeit wurde die Angeklagte im Oktober 2018 gebeten, die Approbationsurkunde im Original vorzulegen. Dieser Aufforderung kam sie nach. Ab 10. Dezember 2018 erschien die Angeklagte nicht mehr zur Arbeit. Sie kündigte sodann das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit am 19. Dezember 2018 zum Ende des Jahres (Fall II.5 der Urteilsgründe).

f) Während ihrer Zeit in der anästhesiologischen Abteilung im Krankenhaus in XXX vom 1. März 2016 bis 31. Oktober 2017 war die Angeklagte als Assistenzärztin der Anästhesie in eine Vielzahl von Narkosen eingebunden. Sie führte sie auch in größerem Umfang eigenverantwortlich durch, davon sind 16 Fälle Gegenstand des angefochtenen Urteils.

Bei allen Narkosen unterliefen der Angeklagten Behandlungsfehler, die im Einzelnen hinsichtlich jeder einzelnen Narkose sachverständig nachgewiesen sind. Dazu zählen etwa allgemein eine inadäquate oder zu langsame Behandlung, das Übersehen oder die Verkennung von Krisensituationen mit der Einleitung medizinisch nicht sinnvoller oder dem Unterlassen gebotener Maßnahmen, oder auch das Unterlassen der Herbeiholung von Hilfe durch einen Facharzt. Konkret kam es beispielsweise zu einer zu niedrigen oder zu hohen Dosierung von Medikamenten, zum Verzicht auf das Legen eines im Einzelfall erforderlichen zentralen Venenkatheters oder von Maßnahmen zur laufenden Kontrolle des Blutdrucks oder zur Herstellung einer ausreichenden Sauerstoffsättigung, zum Unterlassen einer notwendigen Antibiose oder auch zur Gabe von Medikamenten, die nicht indiziert waren.

Die fehlerhafte Narkosebehandlung führte - nach sachverständiger Einschätzung - in drei Fällen kausal zum Tod des Patienten (Fälle II.6 bis II.8 der Urteilsgründe). In weiteren zehn Fällen starben die meist älteren und an Vorerkrankungen leidenden Patienten, zum Teil in zeitlichem Abstand zu der Narkose, ohne dass (sicher) nachzuweisen war, dass der eingetretene Tod auf die Behandlungsfehler der Angeklagten zurückzuführen war (Fälle II.9 bis II.18 der Urteilsgründe). Schließlich holte die Angeklagte, nachdem sie erkannt hatte, dass sich die Patienten aufgrund ihrer fehlerhaften Behandlung in einem lebensbedrohlichen Zustand befanden, in zwei Fällen fachärztliche Hilfe herbei; dies führte dazu, dass eine neue Kausalkette in Gang gebracht und der später eingetretene Tod nicht kausal auf die Behandlungsfehler der Angeklagten zurückzuführen war (Fälle II.19 und II.21 der Urteilsgründe). In einem weiteren Fall führte die von der Angeklagten veranlasste Hilfe durch einen Facharzt zur Ausräumung ihres Behandlungsfehlers, der lediglich zu einer Kehlkopfschwellung und nicht zum Tod des Patienten führte (Fall II.20 der Urteilsgründe).

In den Fällen II.6 bis II.18 der Urteilsgründe erkannte die Angeklagte, dass die Patienten infolge ihrer fehlerhaften Behandlung versterben könnten, und nahm dies billigend in Kauf. Es ging ihr bei der Durchführung der Anästhesie darum, eine Stellung und ein Ansehen zu genießen, das mit der Tätigkeit als Anästhesiearzt einhergeht. Sie wollte den Status, den sie sich mit der gefälschten Approbationsurkunde erschlichen hatte, aufrechterhalten und so als Retterin und Heilerin dastehen. Die Durchführung von Anästhesien war dafür ein immer wieder notwendiger Zwischenschritt. Sie stellte damit ihre eigene Außendarstellung über das Leben der Patienten.

3. Das Landgericht hat die Angeklagte hinsichtlich der Fälle II.1 bis II.3 bzw. II.5 der Urteilsgründe jeweils wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung und Missbrauch von Berufsbezeichnungen, in den Fällen II.4 der Urteilsgründe wegen Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen in vier Fällen verurteilt. In den Fällen II.6 bis II.8 der Urteilsgründe hat es die Angeklagte wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen, in den Fällen II.9 bis II.18 der Urteilsgründe wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln. Hinsichtlich der Fälle II.19 bis II.21 schließlich hat das Landgericht eine Strafbarkeit wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln angenommen.

Bei allen Taten ist das Landgericht sachverständig beraten davon ausgegangen, dass die Schuldfähigkeit der Angeklagten nicht beeinträchtigt gewesen sei. Bei der Angeklagten liege zwar eine Pseudologia phantastica bei histrionischer und narzisstischer Persönlichkeitsakzentuierung vor, dabei handele es sich aber nicht um eine Persönlichkeitsstörung.

II.

Die Revision der Angeklagten hat teilweise Erfolg, im Übrigen ist sie als unbegründet zu verwerfen.

1. Der Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt.

2. Als sachlich-rechtlich fehlerhaft erweisen sich die Verurteilungen in den Fällen II.6 bis II.18 der Urteilsgründe. Die Überprüfung des Schuldspruchs deckt hinsichtlich der Fälle zu II.4 der Urteilsgründe einen Rechtsfehler bei der konkurrenzrechtlichen Bewertung auf, die zu einer Schuldspruchkorrektur führt. Im Übrigen haben sich durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben.

a) Die Verurteilung wegen Mordes bzw. versuchten Mordes in den Fällen II.6 bis II.18 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat den bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht tragfähig begründet.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung ist bedingter Tötungsvorsatz gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement) (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 , 186; vom 14. August 2014 - 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382 , 3383; vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 67; vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 351/16, NStZ 2017, 277 , 279; vom 27. Juli 2017 - 3 StR 172/17, NStZ 2018, 37 , 38). Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (vgl. BGH, Urteile vom 16. Oktober 2008 - 4 StR 369/08, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 63; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 , 186; vom 30. April 2014 - 2 StR 383/13, StV 2015, 300 , 301; vom 14. Januar 2016 - 4 StR 72/15, NStZ 2016, 211 , 215; vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17, BGHSt 63, 88 , 93).

Ob der Täter nach diesen rechtlichen Maßstäben bedingt vorsätzlich gehandelt hat, ist in Bezug auf beide Elemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 - 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25 , 26; vom 19. April 2016 - 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 ; vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, juris Rn. 14).

Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und dessen psychische Verfassung bei der Tatbegehung, seine Motivation und die für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 , 186 f.; vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 , 80). Dabei ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes (vgl. BGH, Urteile vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242 , 243; vom 14. Januar 2016 - 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79 , 80; Beschluss vom 26. April 2016 - 2 StR 484/14, NStZ 2017, 22 , 23). Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind jedoch keine allein maßgeblichen Kriterien für die Entscheidung, ob ein Angeklagter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat; vielmehr kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an (vgl. BGH, Urteil vom 15. Oktober 1986 - 2 StR 311/86, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 1; Beschluss vom 7. März 2006 - 4 StR 25/06, NStZ 2006, 446 ). Dabei hat der Tatrichter die im Einzelfall in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in seine Erwägungen einzubeziehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2014 - 2 StR 54/14, NStZ 2015, 516 , 517; Beschlüsse vom 10. Juli 2007 - 3 StR 233/07, NStZ-RR 2007, 307 ; vom 27. August 2013 - 2 StR 148/13, NStZ 2014, 35 ). Diese Prüfung muss stets auf den Zeitpunkt der jeweiligen Tatbegehung (durch Tun oder Unterlassen) bezogen sein (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2023 - 5 StR 80/23, NStZ 2023, 729 , 731; Beschluss vom 25. September 2019 - 4 StR 348/19, NStZ-RR 2020, 79 ).

bb) Diesen Anforderungen wir die tatrichterliche Vorsatzprüfung nicht gerecht.

(1) Zum einen hat das Landgericht den Tötungsvorsatz allein hinsichtlich des Getöteten M. umfassend begründet und hinsichtlich der anderen Tötungsdelikte jeweils darauf verwiesen. Dies genügt den rechtlichen Anforderungen bezogen auf die Taten zum Nachteil der vor und nach dem 8. Dezember 2016 (Narkose des Getöteten M. ) durchgeführten Narkosen nicht. Die erste Tat fand am 24. Mai 2016, die letzte am 30. Oktober 2017 statt. Die objektive Befundlage bei Durchführung der Narkose im Mai 2016 unterscheidet sich von derjenigen im Oktober 2017, so etwa, was einerseits die Fähigkeiten der Angeklagten zu Beginn des Tatzeitraums und andererseits ihre Erfahrungen betrifft, die sie zumindest im Laufe der Zeit im Zusammenhang mit den Folgen ihrer Behandlung gemacht hat. Ob und welchen Einfluss dies auf die Bewertung der subjektiven Tatseite gehabt hat, lassen die Urteilsgründe nicht erkennen.

Im Übrigen erweist sich auch die Begründung des Tötungsvorsatzes für die Narkose des Getöteten M. selbst als durchgreifend fehlerhaft. Denn das Landgericht stützt sich umfassend auf Erkenntnisse, die - wie etwa Zeugenangaben zu allgemeinen Erfahrungen im Umgang mit der Angeklagten - den gesamten Tatzeitraum betreffen (können) und die deshalb für den Tatzeitpunkt des 8. Dezember 2016 keine oder nur eine begrenzte Aussagekraft haben.

(2) Zum anderen fehlt es an der für die Vorsatzprüfung erforderlichen Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände. Zutreffend ist das Landgericht im Grundsatz zwar von der besonderen Gefährlichkeit der von der Angeklagten begangenen Tathandlungen ausgegangen. Ohne Rechtsfehler hat es weiter angenommen, der Angeklagten sei aufgrund ihres Ausbildungsstands bewusst gewesen, dass die Durchführung einer Narkose eine höchst gefährliche Handlung ist und bei vorerkrankten Personen lebensgefährliche Risiken birgt. Es hat aber bei seiner Prüfung vorsatzkritische Gesichtspunkte nicht in ausreichendem Maße in den Blick genommen.

Das gilt zunächst für den festgestellten Umstand, dass die Angeklagte zu Beginn ihrer Tätigkeit von einem Fach-, Chef- oder Oberarzt begleitet worden und anschließend alleine tätig gewesen ist, "als das Vertrauen entsprechend vorhanden gewesen sei". Zu erörtern gewesen wäre, ob dieser Umstand das subjektive Zutrauen der Angeklagten zu ihren eigenen Fähigkeiten in einer für die Vorsatzprüfung maßgeblichen Weise beeinflusst hat. Dies näher zu beleuchten bestand auch deswegen Anlass, weil die Angeklagte zwar von Kollegen auf "Defizite" hingewiesen wurde, es aber nach den Feststellungen keinerlei offizielle Reklamationen oder Auffälligkeiten gegeben hat, die aus Sicht der Angeklagten (objektiven) Anlass gegeben hätten, trotz fehlender Approbation an ihren um Fortbildung und Erfahrung ergänzten "Fähigkeiten" durchgreifend zu zweifeln, dies auch vor dem Hintergrund, dass sämtliche der zur Aburteilung gelangten Fälle erst nachträglich bei Auswertung der Anästhesieprotokolle durch zwei Sachverständige aufgedeckt wurden.

Weiter lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob das Landgericht in den Blick genommen hat, dass die Angeklagte in einigen Fällen kritische Situationen wahrgenommen und Hilfe durch einen Facharzt herbeigeholt hat. Zu erörtern gewesen wäre, ob dies ein Hinweis darauf war, dass die Nichteinbeziehung eines Facharzts in anderen Fällen einer den bedingten Tötungsvorsatz ausschließenden Fehleinschätzung der Situation geschuldet war.

Schließlich verhalten sich die Urteilsgründe nicht hinreichend zu der Frage, welche Schlüsse von der festgestellten Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten auf das Vorhandensein bedingten Tötungsvorsatzes zu ziehen sind. Das Landgericht beschreibt die Angeklagte einerseits als narzisstische Person, die ein "extremes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, Anerkennung und Bewunderung" habe und die "Kritik und Misserfolg nur schwer ertragen könne", und andererseits als "sehr häufig unsichere und häufig zitternde Assistenzärztin", die "lieber jemand zu Rate ziehe, als selbst Verantwortung zu übernehmen", die aufgeregt gewesen sei und auch öfter geweint habe. An diese Einschätzungen anknüpfend hätte sich das Landgericht ein klareres Bild von der Persönlichkeit der Angeklagten machen und sich dabei auch mit der Möglichkeit befassen müssen, dass die Angeklagte im Rahmen der von ihr durchgeführten Narkosen alles daran gesetzt hat, um negative Einflüsse auf ihre Außendarstellung, etwa durch ihr zuzurechnende Todesfälle, zu vermeiden und infolgedessen auf das Ausbleiben des tatbestandlichen Erfolgs vertraut hat.

Angesichts der aufgezeigten Würdigungsmängel kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Wertung vor allem für Taten zu Beginn der Anästhesietätigkeit der Angeklagten einen bedingten Tötungsvorsatz ausgeschlossen hätte.

b) Überdies hält die konkurrenzrechtliche Bewertung des Landgerichts in den Fällen II.4 der Urteilsgründe revisionsrechtlicher Überprüfung insoweit nicht stand, als es von vier jeweils selbständigen Taten des Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen ausgegangen ist. Es liegt nur eine einzige Tat vor.

Der gesetzliche Tatbestand des § 132a StGB fasst grundsätzlich eine Mehrheit natürlicher Betätigungen, die auf demselben Entschluss beruhen, zu einer einheitlich bewerteten Straftat zusammen, wobei zeitliche Abstände zwischen den von einem Täter gewählten Gelegenheiten und/oder die Verschiedenheit der Sachlagen die Annahme einer Mehrheit von Taten begründen können (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2022 - 2 StR 567/21, juris Rn. 7 mwN). Die Feststellungen des Landgerichts zu den in der Zeit vom 21. Februar 2018 bis 27. Mai 2018 verfassten Schreiben belegen weder maßgebliche zeitliche Abstände noch liegen unterschiedliche Sachlagen vor. Das Gepräge einer einheitlich zu bewertenden Straftat ergibt sich daraus, dass die Angeklagte als Leitende Ärztin in der Abteilung "Controlling" tätig war, es dabei auch ihre Aufgabe war, gegenüber Kostenträgern Erklärungen abzugeben, und sie in diesem Zusammenhang eine Reihe von Schreiben an verschiedene Krankenversicherungen verfasste, in welchen sie als Ärztin und mit doppeltem Doktortitel auftrat.

3. Die Sache bedarf unter Aufhebung der Feststellungen hinsichtlich der Taten II.6 bis II.18 der Urteilsgründe neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen zum objektiven Kerngeschehen der einzelnen Taten (Anästhesietätigkeit der Angeklagten während der jeweiligen Operation) sind von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und können bestehen bleiben, hingegen sind die die subjektive Tatseite mittragenden Feststellungen zur Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten und zu ihren Verhaltensauffälligkeiten von der Aufhebung miterfasst. Insofern wird der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter umfassende neue und in sich widerspruchsfreie Feststellungen, zweckmäßigerweise auch unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, zu treffen haben.

Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II.6 bis II.18 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der dazugehörigen Einzelstrafen und entzieht sowohl dem Gesamtstrafenausspruch als auch der Feststellung der besonderen Schwere der Schuld die Grundlage.

Der neue Tatrichter wird, sollte er den bedingten Tötungsvorsatz erneut bejahen, bei der Prüfung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe für jede einzelne Tat zu beachten haben, dass bei der Beurteilung der Frage, ob Beweggründe vorliegen, die nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und besonders verachtenswert erscheinen, eine Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren, für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren vorzunehmen ist. Er wird dabei nach Maßgabe der hierzu neu zu treffenden Feststellungen sowohl die Persönlichkeitsstruktur der Angeklagten als auch ihre Verhaltensauffälligkeiten im Allgemeinen wie auch im unmittelbaren Zusammenhang mit den von ihr durchgeführten Operationen in den Blick zu nehmen haben.

In den Fällen II.4 der Urteilsgründe ändert der Senat den Schuldspruch hin zu einer einheitlichen Tat des Missbrauchs von Titeln und Berufsbezeichnungen. Der Änderung des Schuldspruchs steht § 265 Abs. 1 StPO nicht entgegen, da die Angeklagte sich gegen die konkurrenzrechtliche Bewertung nicht wirksamer hätte verteidigen können. Die Schuldspruchkorrektur hinsichtlich dieser Fälle führt zur Aufhebung der vier dort verhängten Einzelstrafen, von denen drei entfallen. Der neue Tatrichter kann für den einheitlichen Verstoß gegen § 132a StGB - ohne Verstoß gegen den Grundsatz des Verbots der reformatio in peius (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO ) - eine höhere als die bisher verhängte Einzelstrafe von 90 Tagessätzen verhängen. Schließlich ist der der Einziehung unterliegende Betrag - wie im Antrag des Generalbundesanwalts ausgeführt - als Gesamtsumme auszuweisen.

Von Rechts wegen

Vorinstanz: LG Kassel, vom 25.05.2022 - Vorinstanzaktenzeichen 1622 Js 24089/19
Fundstellen
NJW-Spezial 2024, 280