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BGH - Entscheidung vom 06.02.2024

VIa ZR 507/21

Normen:
ZPO § 544 Abs. 2 Nr. 1

BGH, Beschluss vom 06.02.2024 - Aktenzeichen VIa ZR 507/21

DRsp Nr. 2024/3672

Rechtsmittel als Gegenstand einer Erledigungserklärung; Schadensersatzanspruch eines Käufers eines Fahrzeugs gegen den Hersteller wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Eine auf ein Rechtsmittel bezogene einseitige Erledigungserklärung kann zulässig sein, wenn für die Erledigungserklärung ein besonderes Bedürfnis besteht, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung zu erzielen ist. Für eine einseitige Erledigungserklärung besteht jedoch kein anzuerkennendes schützenswertes Interesse, wenn sie dazu dient, der Kostenbelastung durch Verlagerung der Kostenlast des Rechtsmittelverfahrens auf die Beklagte zu entgehen. Denn für die Frage der angemessenen Kostenverteilung ist nach dem das Kostenrecht bestimmenden Veranlassungsprinzip entscheidend, welche Partei die Einlegung des Rechtsmittels veranlasst hat und in wessen Risikosphäre der Eintritt eines erledigenden Ereignisses fällt bzw. wer den Anlass der Erledigung zu vertreten hat.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Feststellung der Erledigung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.

Die als Gegenvorstellung zu behandelnde Eingabe der Klägerin vom 5. September 2023 gegen die Festsetzung des Wertes der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer im Beschluss des Senats vom 8. August 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. Oktober 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt bis 22.000 €.

Normenkette:

ZPO § 544 Abs. 2 Nr. 1 ;

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen auf Schadensersatz in Anspruch.

Mit ihrer im August 2020 erhobenen Klage hat sie zuletzt mit dem Hauptantrag die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr Schadensersatz zu leisten für Schäden, die aus der Manipulation ihres Fahrzeugs durch die Beklagte resultierten. Hilfsweise hat die Klägerin ihren Feststellungsantrag näher spezifiziert. "Hilfshilfsweise" hat sie beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 22.650 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu verurteilen und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihr Schadensersatz zu zahlen für weitere Schäden, die daraus resultierten, dass die Beklagte in dem Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem eingesetzt habe. Zudem hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt. In der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 13. Oktober 2020 hat die Klägerin den Kilometerstand des Fahrzeugs mit 70.564 km angegeben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit der die Klägerin ihre Klageanträge in der zuletzt gestellten Form weiterverfolgt hat, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der dagegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat sie angekündigt, nach Zulassung der Revision ihre Berufungsanträge weiterverfolgen zu wollen. Die Beklagte hat im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren die Nutzungsvorteile der Klägerin auf der Grundlage einer Fahrleistung von 70.564 km und einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 400.000 km auf mindestens 3.995,69 € beziffert.

Der Senat hat am 8. August 2023 unter Berücksichtigung der Bezifferung der Nutzungsvorteile durch die Beklagte im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beschlossen, dass der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt. Die Klägerin hat daraufhin die Nichtzulassungsbeschwerde für erledigt erklärt und hilfsweise für den Fall, dass der Senat eine Erledigung verneinen sollte, die Fortführung der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt. Unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG könne eine Bezifferung des Nutzungsersatzes durch die Beklagte in der Beschwerdeerwiderung auf den Wert der Beschwer keinen Einfluss haben. Die Beklagte ist der Erledigungserklärung entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, es habe zuvor keine Veranlassung bestanden, ihrerseits eine Nutzungsentschädigung zu berechnen und es liege kein außer Streit stehendes erledigendes Ereignis vor.

II.

Die als Antrag auf Feststellung der Erledigung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens auszulegende einseitig gebliebene Erledigungserklärung der Klägerin hat keinen Erfolg. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde ursprünglich zulässig und begründet war und sich erledigt hat. Denn die Klägerin konnte das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht in zulässiger Weise für erledigt erklären.

1. Ob ein Rechtsmittel schlechthin Gegenstand einer Erledigungserklärung sein kann, ist umstritten (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 - XI ZR 219/97, NJW 1998, 2453 , 2454 mwN; Beschluss vom 20. Januar 2009 - VIII ZB 47/08, NJW-RR 2009, 855 Rn. 4). Eine auf ein Rechtsmittel bezogene einseitige Erledigungserklärung soll nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedenfalls dann zulässig sein, wenn das erledigende Ereignis als solches außer Streit steht und für die Erledigungserklärung ein besonderes Bedürfnis besteht, weil nur auf diese Weise eine angemessene Kostenentscheidung zu erzielen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Januar 2009, aaO, Rn. 5 f.; Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19, NJW-RR 2020, 633 Rn. 9; Beschluss vom 21. September 2021 - KZB 16/21, NJW-RR 2022, 209 Rn. 10). Es muss ein anzuerkennendes Interesse des Rechtsmittelführers vorliegen, ohne Kostenbelastung allein das Rechtsmittel zu beenden, und es darf keine andere Möglichkeit als die Erledigung des Rechtsmittels geben, dieses Ziel zu erreichen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, aaO; Urteil vom 27. März 2023 - VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768 Rn. 20 f.; Beschluss vom 12. März 2003 - IV ZR 278/02, NJW 2003, 1609 , 1610; Beschluss vom 20. Januar 2009, aaO, Rn. 4 f.; Beschluss vom 20. Dezember 2018 - I ZB 24/17, juris Rn. 8 ff.; Beschluss vom 21. September 2021, aaO; BeckOK ZPO/Jaspersen, Stand 1.12.2023, § 91a Rn. 95 mwN).

2. Daran fehlt es vorliegend. Die einseitige Erledigungserklärung ist nicht zum Zwecke einer angemessenen Kostenentscheidung erforderlich. Zwar besteht außer der Erledigungserklärung keine andere Möglichkeit, dem Interesse der Klägerin zu entsprechen, die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht unabhängig davon tragen zu müssen, ob die Nichtzulassungsbeschwerde ursprünglich zulässig und begründet war oder nicht. Die Klägerin hat jedoch kein anzuerkennendes schützenswertes Interesse, der Kostenbelastung durch Verlagerung der Kostenlast des Rechtsmittelverfahrens auf die Beklagte zu entgehen. Denn für die Frage der angemessenen Kostenverteilung muss nach dem das Kostenrecht bestimmenden Veranlassungsprinzip (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 1973 - III ZR 67/72, BGHZ 60, 337 , 343; Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 , 325) entscheidend sein, welche Partei die Einlegung des Rechtsmittels veranlasst hat (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2023 - VIa ZR 1140/22, NJW-RR 2023, 768 Rn. 21) und in wessen Risikosphäre der Eintritt eines erledigenden Ereignisses fällt bzw. wer den Anlass der Erledigung zu vertreten hat (vgl. Anders/Gehle/Gehle, ZPO , 82. Aufl. 2024, § 91a Rn. 81).

a) Dass sich erst nach Ablauf der Begründungsfrist für die Nichtzulassungsbeschwerde durch die Bezifferung seitens der Beklagten eine Beschwer ergibt, die den Zulässigkeitswert des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreicht, fällt in die Risikosphäre der Klägerin. Die Klägerin hat ihr Zahlungsbegehren bis zuletzt ausdrücklich dahin eingeschränkt, sie beantrage eine Verurteilung "abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung" für die Nutzung des von ihr erworbenen Fahrzeugs. Damit hat sie die ihr selbst mögliche Bezifferung des Nutzungsersatzes aus der Hand gegeben und sich sehenden Auges dem Risiko ausgesetzt, dass aufgrund eines von der Beklagten bezifferten Nutzungsersatzes der erforderliche Wert der Beschwer von über 20.000 € nicht (mehr) erreicht wird.

Der Streitfall bietet auch im Übrigen keine Anhaltspunkte zur Anerkennung einer einseitigen Rechtsmittelerledigung.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind auch Umstände, die im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu Tage treten, bei der Bemessung des Werts der Beschwer zu berücksichtigen. Die Wertgrenze des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO muss als Voraussetzung für die Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde noch im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel erreicht sein (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2023 - VIa ZR 660/22, juris Rn. 6 mwN).

c) Insbesondere musste der Klägerin auch im Hinblick auf ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, im Anschluss an die Bezifferung des Nutzungsersatzes durch die Beklagte glaubhaft zu machen, dass tatsächlich etwa eine geringere Fahrleistung vorgelegen habe oder von einer zu niedrigen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs ausgegangen worden sei. Denn das Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet jedem Verfahrensbeteiligten zwar einen Anspruch darauf, sich vor dem Erlass einer gerichtlichen Entscheidung zu dem ihr zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern (st.Rspr.; vgl. BVerfG, NJW 2017, 318 Rn. 11 mwN). Dieser Anspruch wurde hier jedoch gewahrt. Denn zu der Höhe des Nutzungsersatzes hat sich die Klägerin bereits insoweit geäußert, als sie durch die Formulierung ihres Zahlungsbegehrens zum Ausdruck gebracht hat, dass sie einen entsprechenden Abzug anerkenne und der Beklagten die Bestimmung der Höhe dieses Abzugs überlasse (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2022 - VIa ZR 205/21, juris Rn. 9). Eines weitergehenden Äußerungsrechts bedurfte es nicht.

III.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, da aus den mit Beschluss vom 8. August 2023 ausgeführten Gründen der Beschwerdewert des § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht erreicht ist.

Die mit Schriftsatz der Klägerin vom 5. September 2023 erhobene Gegenvorstellung gibt dem Senat zu einer Änderung seiner Auffassung keinen Anlass.

1. Die Ausführungen der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 5. September 2023 sind als Gegenvorstellung gegen die Festsetzung des Wertes der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer zu behandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 - VI ZR 316/07, juris).

2. Die mit der Gegenvorstellung erhobenen Einwände der Klägerin gegen den Beschluss des Senats vom 8. August 2023 greifen indes nicht durch, da sie keine Veranlassung zu einer abweichenden Beurteilung geben.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO , die Festsetzung des Gegenstandswerts des Beschwerdeverfahrens auf § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO , § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2023 - VIa ZR 1345/22, juris).

Vorinstanz: LG Oldenburg, vom 06.11.2020 - Vorinstanzaktenzeichen 8 O 1901/20
Vorinstanz: OLG Oldenburg, vom 13.10.2021 - Vorinstanzaktenzeichen 8 U 273/20